Das Puzzle
- Vielen fehlt das Wichtigste noch im Leben -





Das Puzzle




„Das geht nicht mehr, da fehlt ein Teil- das müssen wir wegwerfen.“
Große, enttäuschte, rehbraune Augen blicken auf die bunte Schachtel aus Karton.
Fini drückt dem Vater sein Puzzle in die Hand, winkt ab und dreht sich zum Gehen um.
„Warum, willst du es denn gleich wegwerfen?“ fragt der Vater nach.
Weiß er doch zu gut, dass Fini dieses Puzzle so sehr liebt. Er hat es letztes Jahr zum Geburtstag bekommen, inzwischen schon bestimmt hundert Mal voller Begeisterung zusammen gebaut und sich gefreut, wenn es dann vollständig und in seinem knallbunten, farbenfrohen Motiv vor ihm auf dem Tisch lag...

Der Vater beginnt, ihn neu motivieren zu wollen, nicht gleich auf zu geben, sondern das fehlende Teil zu suchen oder wenigstens das Puzzle mit dem kleinen Fehler dennoch zu mögen und wert zu schätzen...

Doch Fini schluckt immer schwerer an den Tränen, steht bedrückt in der Tür und nichts, was er ihm sagt, scheint ihn zu trösten.
„Wirf es weg, es ist nichts mehr wert, denn es fehlt das schönste Teil. Damit kann man nichts mehr anfangen.“

Die Traurigkeit steckt ihm wie ein Knoten im Hals.
„Nie mehr will ich eins haben, nie mehr!“
„Aber du hattest es doch so gern.
Hast du denn allen Spaß daran vergessen?“
„Nein, das hab ich nicht, das ist es ja, was mich so traurig macht.!“

Schließlich sitzt der Junge auf dem Schoß des Vaters.
Flink, hundert mal geübt, setzen die kleinen Finger die Teile ein letztes Mal zusammen. Es entsteht ein buntes Bild mit Tieren, Blumen und einer Sonne, deren Strahlen sanft die Regentropfen auf den saftig grünen Blättern klitzern lassen...
Doch als alle Puzzleteile eingesetzt sind, sinken die Hände entmutigt auf die Tischplatte, denn das fehlende Teil hinterlässt noch immer ein auffälliges Loch in der Mitte des Bildes.
„Siehst du- es ist nicht richtig, weil etwas fehlt.“
Der Vater betrachtet das Werk, doch auch er kann es drehen und wenden, wie er es will, Fini hat recht; das wichtigste Teil im Bild hinterlässt ein deutlich sichtbares Loch.
„Wirf es weg, es ist wertlos ohne dieses Teil, da kann man nichts machen!“
Fini dreht sich an jenem Abend traurig weg und nimmt Abschied von seinem Lieblingspuzzle.

Als alle im Haus schlafen, steht der Vater noch einmal auf, schleicht leise, um niemanden zu wecken, ins Wohnzimmer.
Die Uhr tickt leise. Die Zeit vergeht.
Alle schlafen, nur durch das Schlüsselloch dringt ein dünner Lichtstrahl in den Flur, der verrät, dass der Vater noch immer an der Arbeit ist.
Ob er über die Tränen seines Jungen nachdenkt?
Schade, dass das wichtigste Teil verloren ging, doch daran kann man nichts mehr ändern.
Fini hatte doch schon seit Tagen überall danach gesucht. Doch nirgends war es zu finden: nicht unter dem Bett, nicht im Kleiderschrank, nicht in der Autokiste; selbst in der Fußballtasche war kein Puzzleteil zu finden.
Das ganze Puzzle war verloren, weil das schönste, das farbigste und wichtigste Teil verschwunden war, irgendwann im Laufe der Zeit.
Doch der Vater tat etwas, unbemerkt von allen Familienmitgliedern im Haus...

Während er arbeitete, dachte er sicher immer wieder an Finis Tränen, seine Enttäuschung über sich selbst, weil er dieses Teil nicht hatte finden können; die Trauer, weil er selbst nicht gut genug hatte darauf aufgepasst, um das Lieblingspuzzle so zu behalten, wie es von Anfang an gedacht war...
Vielleicht hat der Vater all seine Kraft da hinein gesteckt, weil er Fini unbedingt helfen wollte...?


Das fehlende Teil im Mittelpunkt des Puzzles- wie sieht dein Puzzle aus? Dein Leben, deine Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung, nach Ruhe und Frieden?
Fehlt dir nicht auch etwas?
Weißt du, warum du so bist, wie du bist? Oder stecken Teile deines Lebenspuzzles vielleicht sogar verkantet an Stellen, wo sie gar nicht hingehören? Hast du versucht, dieses Teil mit irgendwelchen anderen Teilen zu ersetzen- Liebe und Aufmerksamkeit von Menschen, Leistung, Erfolg...?
Doch dieses Mittelteil, was alles zusammenhält, dieses eine Teil, das fehlt dir trotzdem?
Macht dein Lebenspuzzle wenig Sinn, weil du Teile nicht mehr findest oder gar nie gefunden hast?
Nutzlos, sinnlos- vielleicht liegen die Teile deines Lebens vor dir. Willst du es wegwerfen, so wie Fini?



Im Morgengrauen öffnet sich die Tür zum Wohnzimmer. Der Schatten des Mannes fällt in den Hausgang, dann löscht der Vater müde das Licht. Die Müdigkeit der schlaflosen Nacht hat Spuren hinterlassen auf seinem Gesicht, doch ein warmes Lächeln strahlt aus seinen Augen hervor...

Draußen beginnen die Vögel den Tag zu begrüßen mit hellen, klaren Stimmen.
Gleich wird ein neuer Tag für Fini beginnen nach einer Nacht, in die er am Abend traurig mit all den Eindrücken von gestern eingetaucht war.
Sachte streichelt der Vater über das Gesicht seines Jungen.
„Fini wach auf, ein neuer Tag hat begonnen.“
Der Junge sieht in die Augen des Vaters, verschlafen schlingt er seine Arme um dessen Hals.
Der Vater trägt den Jungen ins Wohnzimmer und setzt ihn auf den Sessel.
Fini wischt sich die Überreste des Schlafes aus den Augen.
Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch das Fenster auf den Tisch.
Fini reißt die Augen plötzlich auf...
„Das ist.... das ist...!“
„Dein neues Puzzle, das ich für dich gemacht habe.“
Fini zittert mehr vor Aufregung als vor Kälte.
Seine Blicke haften voller Staunen auf der Tischplatte.

Sein Vater hat in der Nacht mit den alten Teilen seines Lieblingspuzzles ein völlig neues, buntes, selbstgemaltes Bild gemacht.
Es ist nicht wie das alte- nein, viel kräftigere Farben, viel deutlicher und klarer ist das Bild.
Kein Teil fehlt mehr, denn der Vater hat in das Loch des fehlenden Teils, mit eigener Hand das passende Teil eingefügt.
„Gefällt es dir?“ fragt der Vater gespannt auf die Reaktion seines Jungen.
„Ob es mir gefällt? Aber ja, es ist viel schöner, es ist wunderschön, es ist viel bunter, es ist ohne Fehler und...“
Fini hält einen Moment lang inne, bevor beide, Vater und Sohn, wie aus einem Mund ergänzen:
„es ist einmalig,
weil es von dir für mich ist!“

Fini drückt sich dankbar an den Hals des Vater, denn jetzt hat er ein neues Puzzle, einmalig und ohne Loch.

Einmalig, ohne fehlendes Mittelteil - nur der Vater kann dir ein solches Leben, solch ein Puzzle schenken, damit auch dein Leben vollständig wird mit dem Wichtigsten, in den wunderbarsten Farben, sichtbar wird für dich, für alle, die dich anschauen.
Gott schenkt dir nicht nur einen Ersatz für das fehlende Teil, die fehlende Geborgenheit und Liebe - nein, er macht ein völlig neues Bild daraus.
Das wünsche ich dir; besonders für dich; aus der Hand und dem Herzen Gottes - für dich.



Gaby Klaus



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