Die wichtige Aufgabe des alten Mannes
- christliche Kurzgeschichte -





Die wichtige Aufgabe des alten Mannes





Ich sitze auf der Parkbank unter einer großen, schattenspendenden Kastanie und genieße jeden noch so kleinen Windhauch, der mir bei sommerlichen 32 Grad um die Ohren weht.
Im Büro ist es stickig, zu Hause unter dem Dach wird es seit Tagen nicht mal mehr in der Nacht kühl... wie gut es tut, die Vögel singen und ich habe meine strenge Arbeitskleidung gegen T-Shirt und Schlabberhose eingetauscht... Tagesende, Zeit für natürliche Ruhe und Erholung...

Während meine Blicke ziellos umherschweifen, fällt mir plötzlich ein kleines Mädchen auf der anderen Seite des Parkweges auf. Sie wirkt traurig, die beiden Zöpfe hängen schwer auf den Schultern.
Sie kommt näher und scheint niemanden um sich herum wahr zu nehmen.
Als sie an mir vorüberkommt, höre ich ein leises Tuscheln, doch kann kaum verstehen, was sie sagt. Es klingt, als übe sie eine Entschuldigung in Worte zu fassen...
Ob sie Ärger in der Schule hatte und sich nun schwerfällig nach Hause schleppt?
Oder vielleicht hat sie sich mit ihrer Freundin gestritten... und nun tut es ihr schon wieder leid?
Mit meinen Blicken begleite ich dieses Mädchen und merke dadurch erst verspätet, dass sich ein alter Mann zu mir auf die Bank gesetzt hat.
„Guten Tag“ grüßt er mich freundlich und sein Gesicht wirkt sehr liebevoll.
Er lehnt seinen Gehstock an den neben der Bank stehenden Mülleimer und faltet seine rauen Hände ohne weitere Worte.

Minutenlang ist nur das Rauschen des knorrigen Baumes zu hören, begleitet von der Melodie der Vögel...
Seltsam- das kleine Mädchen kniet betend vor einem alten, fast vom Wetter zerfressenen Holzkreuz... und dieser Mann neben mir betet, als gäbe es die Welt um ihn gar nicht...
Eigenartige Stille und ich sitze mittendrin.

„Sie heißt Anja.“ setzt mein Banknachbar plötzlich an.
„Kennen sie das Mädchen?“
„Ja und nein, aber wenn sie wollen, dann werd ich Ihnen gern unsere Geschichte erzählen. Nur, jetzt muß ich erst mal da rüber gehen und meine Aufgabe tun.“
Mit einem Lächeln stützt sich der alte Mann auf den Stock und schlurft Schritt für Schritt hinüber zu dem unscheinbaren Holzkreuz, das wohl außer ihm und dem Mädchen gar keiner mehr wahr nimmt, obwohl hier täglich hunderte von Menschen vorüber gehen.
Das Mädchen, Anja, ist schon gegangen, als der alte Mann sich schmerzverzehrt zum Boden beugt und etwas auf zu heben scheint.
Seltsam...
Und so steigt in mir Neugier auf, die Erklärungen des alten Mannes zu hören, der sich mir mit jedem Schritt inzwischen wieder nähert.
Mit einem Stöhnen aus Erschöpfung lässt dieser sich wieder neben mir nieder, und hält viele kleine bunte Zettel in seiner rechten Hand.
Wieder falten sich seine zittrigen Finger fest zusammen, nachdem er die Kinderhandschrift gelesen hat. Während er betet drücken sich die Zettelchen in seine Hände hinein.

„Wir kennen uns nicht persönlich, doch uns verbindet jemand.“ beginnt der alte Mann wenig später an zu erzählen:

Ich arbeitete bis vor ein paar Monaten noch stundenweise bei der Stadt, war hier im Park unterwegs, um den Müll am Abend zu entsorgen, den all die Menschen im Laufe des Tages so hinterließen.
Meine Frau Sarah starb in dieser Zeit und der Abschied war schwer, auch wenn wir uns nur für kurze Zeit nicht sehen werden...“
Der alte Mann atmet schwer, hält einen Moment lang inne.

„Wir sind gläubig und sind nicht lange getrennt, denn irgendwann werde auch ich heim zu meinem Herrn gehen. Und doch war in dieser Zeit meine Trauer groß.
So saß ich oft auch abends, wenn die Arbeit schon erledigt war, noch hier auf dieser Bank und suchte nach Ruhe, Trost und Sinn. Denn ohne meine Sarah war es still und einsam zu Hause in unserer Wohnung. Wir hatten 47 Jahre lang alles gemeinsam, gute Dinge und dunkle Zeiten, gemeinsam hatten wir uns und unseren Glauben.
An einem dieser Abende wurde es mir besonders schwer ums Herz, denn es war Sarahs Geburtstag.
Ich saß hier und bat Gott doch um Hilfe und wünschte mir in meiner Trauer, doch auch zu ihm kommen zu dürfen.
Doch dann kam Anja. Sie weinte, schluchzte so laut, als sie an mir vorüber ging, dass sogar meine alten Ohren es hören konnten.
Ich fühlte ihren Schmerz, ihre Trauer, obwohl ich damals nicht wusste, was der Grund dafür war.
Als sie sich vom Kreuz da drüben erhob, sah ihr Gesicht damals noch immer so traurig aus.
So fragte ich Gott, was ich tun könnte und plötzlich wusste ich- das war der Grund, die Aufgabe, die ich von da an haben sollte.
Ich sprach die Kleine nie an, denn sie sollte ja keine Angst bekommen. Ich war und bin ihr ja ein fremder Mensch. Doch ich versuchte ihr zu zeigen, wie Jesus auf ihre Gebete schaut und wie unbegreiflich er sie liebt.
Seit diesem Abend sind wir beide immer ungefähr zur gleichen Zeit hier.“

„Was schreibt sie auf die bunten Zettel... ich verstehe noch nicht so ganz...“
Mein Banknachbar schmunzelt mich an, legt seine Hand auf meine, bevor er mir erklärt:

„Ja, verstehen kann man vieles nicht gleich, Sie sind noch jung...
Auf diesen Zetteln schreibt dieses Mädchen alles, was sie bedrückt: ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Fehler und die Streiterein mit anderen Kindern...
Als Anja am ersten Abend von hier nach Hause ging, lies sie zwar nach dem Gebet die Zettel am Kreuz liegen, die ich später aufhob, doch ihre Sorgen und ihre Schuld nahm sie innerlich wieder mit nach Hause. Deshalb blieb ihr Gesicht und ihr Herz traurig, obwohl sie von Jesus wusste und ihn um Verzeihung gebeten hatte.
Doch ihr kindlicher Glaube war echt, ihre Hoffnung auf Jesus zeigte sich, weil sie hier herkam mit allen Sorgen.
So nehme ich nun seit jenem Abend die Kleine in mein Gebet. Wir beten zusammen und doch jeder auf seine Weise; gemeinsam und doch sind wir diese wenigen Meter voneinander getrennt... aber wir beten beide zu dem, der Schuld vergibt, Tränen trocknet und Freude schenkt.“

Während ich staunend überlege und versuche, das Gehörte zu verstehen, treffen mich liebevolle Blicke aus dem Gesicht des Mannes neben mir.
„Anja kommt oft schwer betrübt und traurig hier her, denn wer könnte heute, in dieser Zeit, schon noch von sich sagen, dass das Leben einfach wäre...
Aber manchmal, wenn sie geht, lächelt sie und hüpft wie ein Vogel, der gerade eben seine Last verloren und wieder fliegen gelernt hat... und Sie, wissen Sie, junger Freund, wer ihnen hilft?“

Ohne Worte zieht er einen purpurroten Zettel aus seiner Jackentasche und schreibt in wackeligen Buchstaben:
„ Alle Schuld hat Jesus getragen für dich, du bist frei. 'Denn ich habe dich je und je geliebt' sagt Gott zu dir“

Schwer schleppt er sich wieder zu dem Kreuz, legt den Zettel unter einen Stein und verabschiedet sich mit einem freundlichen Lächeln, als er noch einmal an der Bank vorbei kommt.


Gaby Klaus



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