Das Gemälde des Tyrannen
- das Kreuz kann auch ein hartes Herz erweichen -





Das Gemälde des Tyrannen

(manchmal ist unser Blick verstellt durch Erlebtes, Verletzendes, Wut, Trauer, Hass...
manchmal sehen Menschen mit den falschen Augen, weil es eben nun mal Menschen sind...)





Es hing schon lange an keiner Wand mehr.
Wer wollte es schon noch sehen, oder gar den Gästen des Hauses zeigen?

Dieser „alte Schinken“ - wie Papa Tom ihn etwa einmal im Jahr bezeichnete, wenn er in der Adventszeit direkt über dieses hässlich und verstaubte Gemälde auf dem Dachboden stolperte, um die Weihnachtsdekoration hinunter zu bringen- dieser alte „Schinken“ also störte eigentlich nur, war bis zur Unkenntlichkeit zerkratzt, die Farben kaum noch vom schmutzigen Grau des Staubes zu unterscheiden...
Uninteressant, unwichtig, eigentlich eher verhasst wegen des Platzes, das dieses Gemälde auf dem Dachboden unnütz einnahm.
So moderte der Zedernholzrahmen an seinen Schrammen vor sich hin, während das keinen Menschen mehr interessierte.
Jedes Mal, wenn Menschen daran vorbei gingen, traten sie gelangweilt, wütend, unwissend, manche aber auch einfach nur so, als sei es sein einziger Zweck, gegen dieses Bild.

Timi war der Jüngste im Haus, von Natur aus nun ein neugieriger 9 jähriger Junge, der von den „verbotenen Ecken“ gerade zu anzogen wurde.
Am Esstisch kam oft das Gespräch auf den Dachboden, auch auf jenes Gemälde, dass sich dort oben zwischen Umzugskisten und so manchen ausgemusterten Möbelstücken herumtrieb. Und wenn es so war, dann beobachteten Timis Augen die seltsamsten Reaktionen.
„ Das ist irgendein Gemälde von einem Vater, der schrecklich streng gewesen sein muss.“ , ließ seine ältere Schwester dabei abwertend hören.
„Der alte Schinken und der grausame Ur- Vater, na das passt ja. Warum schmeißen wir ihn eigentlich nicht weg?“ - Vater Tom war nie interessiert an diesem Bild, wie seinen Worten leicht bei solchen Diskussionen zu entnehmen war.
„Oh, lasst uns von etwas anderem reden!“, versuchte Mutter Doris auf ihre ruhige Art solche Themen zu vermeiden.
„Schrecklich muss er gewesen sein. So ganz ohne Liebe, schlug die, die nicht das taten, was er sagte oder wollte. Seine Gesetze und Regeln waren unmöglich alle zu erfüllen...“ Andrew, der Onkel aus England, war, sagen wir, seit Jahren unfreiwilliges Familienmitglied in diesem Haus, der nach einem Urlaub nicht mehr auszog und nun schon lange das Gästezimmer unter dem Dach bewohnte.
Die furchtbaren Bemerkungen der Erwachsenen schürten lange, sehr lange, Timis Forschertrieb.
Gerade solche Berichte eines Ur- Vaters, der derartig schlecht und streng, ja gerade zu unberechenbar und angsteinflößend gewesen sein sollte, dass scheinbar selbst nach so langer Zeit von seinem Gemälde Schrecken und Furcht ausging - mal ehrlich, das klang für Timi wie eine Einladung, den
verbotenen Dachboden heimlich zu betreten und wenigstens einen winzig kleinen Blick auf dieses „grausame Bild dieses Vaters“ zu werfen...

Wie war er, dieser Vater? Wieso hatte er, wenn Timi den Erzählungen der Anderen glauben durfte, so viel Angst und Schrecken über alle verbreitet, die ihn umgaben?
Hatte er wirklich so viel Macht, dass Menschen, die ihm nicht gehorchten, zum Tode verurteilt worden waren? War dieser unbekannte Vater vielleicht noch viel schlimmer und unberechenbarer, verletzender und zerstörerischer, als Timi sich das hätte in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen können?

Nächte hindurch versuchte der 9 jährige Knabe, sich das Gesicht vorzustellen-
Es war kalt; so viel war wohl sicher; eisig und sein Atem musste einfach so angstmachend gewesen sein, dass niemand sich mehr in seine Nähe wagte, außer den armen Würmern, die täglich mit diesem Ungeheuer hatten leben müssen...
Timi hatte so einiges gehört, wenn auch nur mit vorgehaltener Hand, über diesen Tyrann und seine unmöglich erfüllbaren Forderungen nach Leistung, die so manchen in den sicheren Tod getrieben haben muss...
In so einigen Träumen hörte Timi die grellen Schreie des „Monster-Vaters“ durch das Haus brausen, die eine Welle von Unsicherheit, Furcht, Hektik und Panik mit sich brachten.
Schweißgebadet, aufschreiend hielt diese Welle bis in seine Seele, wenn er endlich den Albtraum der Vergangenheit verschlafen vom wirklichen Leben seiner Gegenwart wieder unterscheiden konnte...
Nach eben einer solch schrecklichen Nacht war auch Timis friedliebende Seele so voller Wut und Angst, dass er beschloss, noch am selben Abend, wenn die anderen im Haus schliefen, den Dachboden heimlich zu betreten.

„Diesem „grausamen Vater“ musste man doch endlich ein Ende setzen. Den brauchte doch keiner, wirklich nicht!“, schrie er entschlossen in sein Spiegelbild und übte für den Rest des Tages, da er schulfrei hatte, wie er die kräftigsten Tritte für dieses grausame Gemälde zustande bekam.
Zerstören, zertreten, nie wieder sollte sich ein Mensch hier an diesen „Vater“ erinnern müssen, nie wieder erleben, was sich damals in diesem Haus und Nacht für Nacht in Timis Träumen abspielte...
Als es Abend wurde, hatten Timis Tritte richtig Kraft, auch wenn seine Füße schmerzten, die Zehenspitzen allesamt blutig geschlagen und vor Schmerz zusammen gezogen im Schuh auf die befreienden Tritte warteten.

Die Uhr tickte im Wohnzimmer und schon bald erlosch auch im Elternschlafzimmer das letzte Licht im Haus.
Timi wartete nun noch eine halbe Stunde, um sicher zu gehen, dass alle Familienmitglieder, einschließlich der Katze Mimi, schlafen würden, während er seine „große Abrechnung“ mit diesem „grausamen Ur- Vater“ haben würde.


Der dünne Lichtstrahl der Taschenlampe durchbrach zaghaft und doch zielgerichtet die Dunkelheit im Treppenhaus.
Die Dunkelheit seiner eigenen Gedanken, einer Mischung aus Angst, Hass und angestauter Wut, durchbrach in Timis Seele nur die siegessichere Entschlossenheit, in dieser Nacht all dem schrecklich finsteren Treiben ein Ende zu setzen.

Die schmale Holztreppe am Ende des langen Ganges knarrte, so dass Timi ein paar Momente lang seinen Herzschlag wie einen Klumpen bis an den Hals schlagen fühlte.
Doch den winzigsten Zweifel daran, dass sein Vorhaben berechtigt war, löschte der Junge sofort aus.
„Du warst grausam zu meinen Großeltern oder deren Eltern! Du hast es nicht verdient, noch hier auf einem Gemälde zu finden zu sein. Du wirst nie wieder Gespräch am Tisch sein, nie wieder!“, schien Timi sich nun frei schreien zu müssen, unhörbar im schlafenden Haus, als er die ruckelnde Tür zum verstaubten Dachboden aufschob...
Er zog nicht einmal die modrig riechende Plane vom Bilderrahmen, schon brach sein Hass, seine Wut, sein Ekel vor all diesen Taten des „erbarmungslosen Vaters“ aus vergangenen Zeiten in den kräftigsten Tritten aus, die seine kleinen, schmerzenden Füße je hervor gebracht hatten.
„Nie wieder!“, schrie er innerlich bei jedem Brechen des Holzrahmens unter der Wucht seiner Beine.
Erst als Timi mit beiden Beinen planlos auf die reißende Leinwand des zerstörten Gemäldes stampfend, ergriffen von Erschöpfung in die Knie ging, kehrte Stille ein.
Der Junge hatte sich, in Schweiß und Tränen aufgeweicht, niedergebeugt, noch immer außer Atem.
Stille-
Ruhe-
Minuten später, als Timi mit zittrigen Fingern die Plane an einer Ecke der zertrümmerten Teile verschob , hob das Rascheln die Totenstille im stickigen Dachboden auf.
Jetzt, wo der Jüngste im Haus endlich seine Wut an dem Gemälde ausgelassen hatte, fühlte er sich stark genug, um diesem „tyrannisch, unberechenbaren Vater seiner Vorfahren“ in die gemalten Augen zu schauen.
Doch als die Taschenlampe über das niedergetretene Bild huschte, stockte der Atem des „Rächers“.
Erdrückende Stille.

Jeder Atemzug fühlte sich an wie von schweren Hanteln beladen.
Mit dem grausamsten Bild hatte Timi gerechnet- der furchterregendste Blick wäre für ihn keine Überraschung gewesen...
Stille.


Ein fürchterliches Wimmern hatte Onkel Andrew geweckt und aus dem Dachzimmer gelockt.

Timi lag schluchzend zwischen den Leinwandfetzen, als Andrews warme Hände ihn aufhoben und umarmten.
Als der kräftige Onkel den Lichtschalter drückte, zeigte es das ganze Ausmaß der hasserfüllten, nächtlichen Attacke.
Überall ragten Holzsplitter aus Timis Beinen, Knien, Armen.
Onkel Andrew sagte nichts, keine Vorwürfe, keine Fragen, kein Erschrecken. Timi zeigte mit blutig gerissenen Händen auf einen übrig gebliebenen Bildrest und brach erneut wortlos in Tränen aus.
Der starke, dunkelhaarige Mann brauchte keine Erklärung, als auch seine Blicke jenes Bild trafen:







Zerstört war der Holzrahmen.
Die Tritte derer, die über all die Jahre immer wieder gegen den „verhassten, alten Schinken“ getreten waren allein, hatten genügend Risse, unübersehbar zerstörende Löcher und Fußabdrücke hinterlassen.
Doch trotz all die Verwüstung, die Timis Rache nun noch hinzu gefügt hatte, war beim Hochheben der Plane ein Bild zum Vorschein gekommen, das nun auch Tränen der Beschämtheit in die hartgesottenen Augen des Onkel trieb.

Statt des erwarteten „grausamen Vater der Vergangenheit“ blickten zwei unvorstellbar liebevolle, warme Augen sie an.
Timi hatte mit den nackten Armen die Splitter und Leinwandrisse vom eigentlichen Gemälde gewischt und nun war es deutlich zu sehen:
Ein Kreuz am dunklen Bildrand.
Im Vordergrund saß ein alter, zerbrochener Mann, seinen Kopf auf die Arme gestützt. Dieser Mann las in einem Buch.
Am linken, oberen Bildrand strahlte ein ruhiges, warmes Licht, in dem ein Mann mit Wunden an den Händen und Füßen doch mit einem freundlichen Lächeln stand, der dem alten, müden Mann auf dem Bild zu zuwinken schien, als wolle er ihn einladen, mit ins Licht zu kommen.


Und unter all dem stand mit zittriger Hand geschrieben:
„Hätte ich doch nur viel eher den wahren Vater gekannt
- hätte ich auch nur einen Tag eher von SEINER Liebe gewusst;
- geliebte Kinder, ich hätte euch Brot gegeben statt Steinen und Liebe statt Wut über meine Einsamkeit. So hoffe ich, dass die Liebe des einzig wahren Vaters eure Wut und euren Hass gegen mich weit mehr überstrahlt, als ich es zu hoffen wage.“






„Der Herr aber richte eure Herzen auf die Liebe Gottes...“
„Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“
(die Bibel, Johannes 3,16)



Gaby Klaus








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