Es ist ein seltsamer Tag
- doch er brachte uns die Gnade -





Es ist ein seltsamer Tag





Es ist ein seltsamer Tag: überall so viel Unruhe und so viele Menschen sind auf der Straße.
Aufgeregt reden sie durcheinander und drängen sich dicht und dichter zusammen.
Ich kann nichts sehen von dem, was irgendwo da vorn passiert. Ich kann nichts verstehen von dem, was die Menschen vor mir reden.
Die Wolken hängen tief.
Dann höre ich Rufe aus der Menge: „Wir wollen ihn nicht! Schaut ihn doch an, wie er da steht!“
„Er ist doch der größte Verbrecher!“...
Lautes Lachen geht durch die Menschenmenge.
Ohne zu verstehen, lächle auch ich, denn ich will nicht auffallen.

Peitschenschläge lassen mich erschrocken zusammenfahren.
„Weg mit ihm, er meint wohl, er sei besser als wir, dabei ist er doch auch nur ein Mensch!“
Ein Raunen geht um.
Ich raune mit, will als graue Maus in der Masse verschwinden.

Dann setzt sich die Menge in Bewegung. Ich werde mitgeschoben, mitgezogen, weiß gar nicht, wohin die alle gehen, kann nichts außer hasserfüllte Menschengesichter sehen.
Die Gasse wird enger.
Links von mir fällt eine Frau zu Boden. Zusammengekauert versucht sie sich vor den Tritten anderer zu schützen.
Zu meiner Rechten weint eine ältere Frau.
„Warum?“ frage ich. Doch sie schaut mich nur an und stammelt: „Sie werden ihn töten und er schweigt schon seit Stunden.“

Inzwischen sind wir auf einem Hügel angekommen. Ich hole tief Luft, denn das Gedränge in der Straße war schrecklich und machte mir Angst.
„Weg mit dem, der ist doch nicht wie wir!“
Dann Hammerschläge, Schmerzensschreie in der Luft.
Der Himmel ist noch trüber geworden.
Langsam gehen die Menschen auseinander. Ich kämpfe mich vorsichtig nach vorn durch.
Gehe an weinenden Frauen vorbei und bleibe stehen.

Die Sonnenstrahlen werfen auf mich den schwarzen Schatten eines Kreuzes.
Mir ist kalt, meine Kleidung ist durchnässt.
Ich ahne, was meine Augen sehen, als ich vorsichtig den Blick in den Himmel richte.
Sein Körper ist voller Striemen, Blut und Schweiß...
Riesige Wunden an den Füßen, an denen ich lieber vorbei schauen möchte.

Plötzlich reißt es mich im Innersten - ich war gerade eben mit all den schreienden, beschimpfenden Menschen mitgelaufen, war Teil der Menge, die IHN beschimpfte.
Ich falle hart auf die Knie und schreie: „Es tut mir leid. Ich sah nicht, wer du bist, wem diese Schläge galten!
Tausend Tränen und ich zittere, weil mir klar wird, was ich tat...
Ich wage nicht, in sein Gesicht zu schauen, denn ich weiß, wer es ist, der vor mir hingerichtet ist.
Ich höre seine Schreie, höre seinen schweren Atem. Seine Stimme ruft nach seinem Vater, dem heiligen und gerechten Gott.
Der Himmel wird immer dunkler, die Menschen werden immer weniger.
Die meisten sind gegangen, denn sie sahen, was sie sehen wollten.
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen.
Neben mir nimmt ein Mann eine gebeugte, weinende Frau liebevoll in den Arm.

SEIN Atem wird schwerer, seine Schmerzen größer...
Plötzlich höre ich SEINE Stimme: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Nein, ich wusste nicht, was ich tat. Habe nicht gewusst, was mein Handeln zur Folge hat...oder wusste ich es doch und wollt es nicht verstehen...? Was hab ich getan, nur um in der großen Menge mit zu gehen?

Wärme durchzieht für einen Moment mein Herz. Hat er für mich gebetet?
Gilt diese Liebe für mich, trotz all meiner Schuld? Hat er so viel Liebe und Geduld?
Ich wage den Blick vorbei an SEINEN Wunden und dann trifft mich sein Blick.

Unendlich liebevoll trotz Schmerzen.
Voller Wärme und Geduld- Augen, die aus Liebe glänzen,...
selbst als er mich plötzlich ansieht und sagt:
„Es ist vollbracht!“
Sie fallen zu, diese Augen, die mir Hoffnung gerade eben gaben...
Ich möchte schreien „Nein!“, das darf doch nicht sein, jetzt, wo ich endlich beginne, zu sehen, zu verstehen...nicht jetzt, wo ich beginne, IHN wirklich zu lieben...
Habe ich gerade eine Liebe gefunden, die so anders ist, als alles auf dieser Welt... und schon soll es wieder vorbei sein?...


Ich schrecke auf, habe im Traum geweint.
SEINE Stimme sagt leise zu mir: „Das tat ich aus Liebe für dich - glaubst du mir?
.........
„Hab keine Angst - es ist nicht vorbei - meine Liebe kaufte dich für unser gemeinsames, ewiges Leben frei.“



Gaby Klaus



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