Odyssee eines jungen Mannes
- Oder: "Der Ausreisser" -





Odyssee eines jungen Mannes




Oder: "Der Ausreisser"
Nach einer „wahren“ Begebenheit
Lukas: 15, 11-32

Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater,
gib mir das Erbteil, das mir zusteht.

Gewidmet allen jenen, welche unsere Kirche, die Heimat verlassen,
aus dem Vaterhause davon laufen.
Namen und Orte sind frei erfunden.



Eigentlich wollte ich ihnen diese Geschichte, welche uns
Jesus da erzählt hat auslegen.
Doch dann dachte ich mir, der junge Mann könnte uns seine
Geschichte ja auch mal selber erzählen.
Also, lassen wir ihn zu Worte kommen:


Die Kindheit
Also, mein Name ist Manfred, ich bin mittlerweile 27 Jahre alt
und habe noch einen älteren Bruder, er ist Landwirt. Ich selbst
bin von Beruf Kaufmann, die Landwirtschaft liegt mir nicht, jedenfalls
nicht der praktische Teil.
Als Kaufmann erledige ich den ganzen geschäftlichen Papierkram
für den Hof meines Vaters, seit einigen Jahren.
Das macht mir mittlerweile viel Spaß.
Aufgewachsen bin ich auf einem großen Gut, mein Vater besitzt
den größten Hof in der ganzen Gegend. Wir haben viele Angestellte,
Traktoren und Maschinen.
Heute leitet mein Bruder das Unternehmen. Wir verstehen uns
prächtig, es war auch schon mal anders. Er ist für alle praktischen
Dinge verantwortlich.
Meine Kindheit verlief eigentlich ohne Komplikationen.
Es war ein christliches Elternhaus, wir beteten vor dem Essen
und fuhren sonntags in die Kirche.
Leider hatte ich nicht viele Spielkameraden, denn der nächste Hof,
auf dem Kinder waren, war weit weg.
Alles änderte sich, als ich eingeschult wurde.
Nun lernte ich auch andere Kinder kennen, sie waren fast alle aus
der Stadt.
Ich stellte fest, dass sie alle anders gekleidet waren, etwas modischer.
Mich nannten sie gelegentlich Bauerntölpel.
Einige meinten auch, ich hätte die letzten Klamotten an.
Nicht einmal Markenschuhe hätte ich.
Ich hörte zum ersten Mal was von Nike, Adidas, Hugo Boss, Kevin Kline
und vieles andere.
Einige Mädchen meinten ich trage den letzten Haarschnitt.
Ja es wurde oft über mich getuschelt. Auch die Lehrer waren mir
nicht immer wohlgesonnen, glaubte ich jedenfalls.
Zu Hause habe ich davon nichts erzählt, aber oft in meinem
Zimmer geheult.
Und oft träumte ich abends von der großen weiten Welt.
Raus aus diesem Kaff.
Einmal Millionär sein.
Das mal so in Kürze.


Der Teenager
Aber ich war nicht der schlechteste in der Schule, im Sport bekam
ich eine eins, aber auch in den anderen Fächern lag ich oft über dem
Durchschnitt. Das passte natürlich einigen nicht, das der blöde Bauer
auch noch gut in der Schule war.
Inzwischen hatte ich aber doch auch viele Freunde.
Ich kam auf die Realschule. Da ich nun auch älter geworden war,
bekam ich ein Mofa. So konnte ich wenigstens nachmittags oder
am Abend mal in die Stadt und Freunde treffen.
Erstmalig kam ich hier auch mit Zigaretten in Berührung. Als ich
meinen ersten Zug machte, bekam ich einen Hustenanfall und
hätte fast gekotzt. Die anderen lachten sich halbtot.
Zu Hause natürlich kein Wort davon, Vater war Nichtraucher.
Auch gekifft habe ich mit Freunden.
Meine Konfirmandenzeit habe ich auch halbwegs gut hinter mir gebracht.
Die Gottesdienste waren langweilig. Der Unterricht war locker, wir
hatten einen jungen Pastor.
Spaß haben immer die Konfirmandenfreizeiten gemacht.
Nachts sind wir Jungens mal zu den Mädchen rüber geschlichen, der
Pastor hatte es aber gemerkt und uns zurück auf unsere Zimmer
geschickt.
Ein Junge wurde erwischt, weil er Bierdosen dabei hatte. Fast hätte
man ihn nach Hause geschickt, der Pastor hat ordentlich geschimpft.
Mein größtes Erlebnis war die Fahrt zu einem Kirchentag nach
Berlin . Ich war zum ersten Mal in einer so großen Stadt. Meine Güte,
da war was los. Der Kirchentag war toll, die Musik, die vielen
Bläser und Menschen, so viele hatte ich noch nie gesehen. Nein, das
war alles toll. In Begleitung unseres Pastors haben wir uns auch in
Berlin ein wenig umgesehen. Das Brandenburger Tor, die Mauer
und vieles mehr. Auch U-Bahn sind wir gefahren, nein ich war wie
von den Socken von den vielen Eindrücken.
Geschlafen haben wir in einer Schule. Wehe dem, der mit Alkohol
erwischt wurde.
Seid der Deutschen Einheit kann man ja ohne Probleme nach
Berlin fahren.
Als ich zurückkam, sah ich meinen Vater schon von weitem, er stand
auf einer kleinen Anhöhe vor dem Haus.
Er stand dort übrigens sehr oft, wenn ich mal weg war.
Er war irgendwie immer in Sorge um mich, albern.
Irgendwer spöttelte mal, ich sei ein Papa Söhnchen, das hat mich
doch gekränkt.
Zu Hause habe ich dann meinem Vater alles erzählt und natürlich
auch ein wenig übertrieben, weil mein Bruder zuhörte.
Und ich dachte, warum kriegen die das in unserer Gemeinde nicht
hin, was da auf dem Kirchentag geboten wurde.
An einem Abend fuhr ich mit meiner Mofa ins Dorf, ich wollte Freunde
treffen. Ich sah Timo auf einer Bank sitzen und mit seinem Handy
hantieren. Er schrieb eine SMS.
Ach ja, das Handy, ist inzwischen so eine Art Statussymbol geworden.
Alle Jugendlichen haben ein Handy.
Ich hatte mir eines zum Geburtstag gewünscht. Vater meinte, so
etwas sei für Notfälle ganz nützlich.
Leider waren diese XTRA Karten schnell alle. Die vielen SMS und
Telefonieren tat ich auch, wofür hat man das Ding denn?
Aber mein Taschengeld reichte oft nicht.
Dann musste ich oft wieder einen Monat warten.
Eine Freundin hatte ich mir auch mittlerweile zugelegt. Und die
Mädchen kosten auch Geld.
Ne Cola oder so, muss schon drin liegen.
Unsere Clique hat sich noch lange über Berlin unterhalten, das das
einfach toll war.
Da könnte ich gerne wohnen sagte ich, da ist wenigstens was los.
Die anderen stimmten mir zu.
Abends saß ich auch gerne am PC.
Dann klickte ich Berlin an, toll so eine Stadt.
Es ist Ferienzeit, da muss ich auf dem Hof mithelfen. Echt mies,
Timo fliegt mit seinen Eltern nach Mallorca.
Und die Carmen, meine Freundin, fährt mit ihren Eltern nach
Tirol.
Unsere Kirchengemeinde macht eine Jugendfreizeit nach Schweden.
Ehrlich, ich habe meinen Vater noch nie um eine Urlaubsreise
gebeten. Ich trau mich nicht, weil ich denke, auf dem Hof gebraucht
zu werden.
Hoffentlich muss ich nicht immer in der Nähe meines Bruders
arbeiten, der ist nämlich ein Arbeitstier.
Der klotzt nur ran, wo er kann.
Wenn ich mal nicht schnell genug bin, dann schreit er gleich los:
Ich trete dir gleich in den Hintern du lahme Krücke.
Ich war immer froh, wenn Feierabend war.
Dann legte ich mich erst einmal auf das Bett und träumte von
Berlin. Das Fernweh packte mich.
Fortan träumte ich von der großen weiten Welt. Berlin hatte seine
Wirkung auf mich nicht verfehlt.
Ob ich zur See fahren sollte? Oder Pilot werden sollte?
Ach könnte ich doch raus aus diesem Kaff. Aber einfach von zu
Hause fortlaufen, nein, auf keinen Fall.
Ich war noch zu jung und Geld hatte ich auch keines. Also weiter
Träumen.
Ich war nun in dem Alter, wo man seinen Führerschein machen
konnte. Mein Vater hat mir das ermöglicht.
Abend für Abend habe ich dann gebüffelt und nach einem dreiviertel
Jahr war ich stolzer Besitzer eines Führerscheins.
Und da ich jetzt 18 bin, bin ich auch volljährig!
Gelegentlich durfte ich nun mit Vaters Auto mal in den Ort fahren.
Wenn ich zurückkam, stand Vater schon wieder auf der Anhöhe
um mich zu empfangen.
Ach, mit dem Auto einmal um die Welt fahren.
Oder noch einmal nach Berlin.
Es ist spät geworden heute, ich schmeiße mich auf das Bett,
und träume wieder von der großen weiten Welt.
Heute Morgen habe ich glatt verpennt, mein Bruder war schon
auf dem Felde, Vater stand draußen und sprach mit einem unserer
Angestellten.




Wolfgang Müller
Fortsetzung:
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