Odyssee eines jungen Mannes
- Oder: "Der Ausreisser" -





Odyssee eines jungen Mannes (2)




Ich entschuldigte mich für mein zu spät kommen. Vater sagte: Ist
schon gut, keine Ursache.
Es kam jetzt leider öfter vor, das ich verschlief, ich saß jetzt abends
oft lange am Computer, studierte Reisen, schweifte immer in der
Ferne.
Am liebsten hätte ich online eine Reise gebucht, irgendwohin.
Bei der Arbeit konnte ich mich nur schlecht konzentrieren, meinem
Bruder fiel das als erstem auf. Was ist los mit dir, träumst du wieder,
fragte er.
Ich gab keine Antwort.
Mittags fragte mich Vater, ob ich Liebeskummer hätte. Nein, nein,
sagte ich, alles in Ordnung.
Irgendwie spürte mein Vater, dass eine Veränderung in mir vorging,
ich mich mit etwas beschäftigte.
Aus meinem PC erfuhr ich vieles über die große weite Welt.
Alles schien so greifbar nahe. Das Leben in einer Großstadt musste
Toll sein. Ich sah immer noch den Trubel von Berlin vor meinem
geistigen Auge. Da war was los.
Ich erinnere mich noch an das Lichtermeer am Abend.
Man müsste mal im Lotto gewinnen, dachte ich. Ich würde
sofort eine Weltreise machen.
So verstrickte ich mich immer mehr in meinen Träumen.
Ich träumte von Freiheit, von Leben, von Freude, Spaß und
Vielem mehr.
Eines Morgens las ich in der Zeitung einen Artikel, ein junger
Mann hatte sich sein Erbteil vorzeitig auszahlen lassen, weil
er sich selbstständig machen wollte.
Von Pflichtteil hatte ich schon mal gehört, aber das man sich sein
Erbe vorzeitig auszahlen lassen konnte, hatte ich noch nie gehört.
Ich dachte… nein, ich wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.
Ich ging an meine Arbeit, fuhr mit dem Traktor aufs Feld, die Anhänger
waren schon beladen.
Beim Rückwärtsfahren fuhr ich eine mächtige Beule in einen VW
Transporter, welcher hinter mir stand.
Mist, sagte ich, auch das noch. Mein Bruder rief: Idiot, hast
du keine Augen im Kopf?
Ich merkte, dass ich mit meinen Gedanken woanders war.
Abends nach dem Abendbrot bat mein Vater um ein Gespräch
mit mir. Ich ahnte, wegen der Karambolage heute Nachmittag, es
gibt ein Donnerwetter.
Doch nichts von alledem. Ganz ruhig fragte Vater: Was ist los mit
Dir Junge, du bist in letzter Zeit immer so „abwesend“?
Hast du Probleme, ist es ein Mädchen? Oder fehlt dir irgendwas?
Nein, nein, alles in Ordnung sagte ich, mir fehlt nichts.
Vater merkte wohl, dass ich log.
Ich möchte mich wohl ein wenig hinlegen sagte ich, und ging
auf mein Zimmer.
Ich packte mich aufs Bett und starte an die Decke.
Dann muss ich eingeschlafen sein.
Am nächsten Morgen ging ich lächelnd runter in die Küche, bloß
nichts anmerken lassen.
Aber sie waren schon alle weg, gingen ihren Arbeiten nach.
Ich ließ das Frühstück stehen und ging auch aufs Feld.
Ach, ich sollte ja zur Genossenschaft und Dünger holen.
Fast hätte ich es vergessen.
Während der Fahrt in den Ort quälte mich der Gedanke: wie
sag ich es ihm?
Der Gedanke an mein Erbteil hatte mich ergriffen.
Ich wollte meinen Vater aber nicht kränken, nein bloß nicht.
Er sollte auch durch mein Ansinnen keinen Schaden erleiden.
Vielleicht erzähle ich ihm, dass ich mich selbstständig machen
möchte und dazu etwas Kapital brauche?
Ich verwarf den Gedanken wieder. Ob ich mich mit meinem
Bruder mal beratschlagen sollte?
Ach was, der würde das ganze wieder als Spinnerei abtun.
Als ich mit dem Dünger ankam, stand mein Vater schon auf der
Anhöhe und hielt Ausschau nach mir.
Wo warst du so lange, Junge, fragte er?
Viel los in der Genossenschaft sagte ich.
Beim Abendbrot wurde heute nicht viel geredet, mein Bruder
war müde und Vater sagte, er müsse noch einiges an
Schreibkram erledigen.
Ich ging auf mein Zimmer.
Wieder kam es in mir hoch, wie sage ich es ihm?


Die Flucht
Der Traum von der großen weiten Welt hatte mich ergriffen.
Ich wollte hier weg.
Ich frage ihn, sagte ich mir, denn mehr wie nein sagen, kann
er nicht. Fragen kostet nichts.
Ja plötzlich spürte ich Freude und gelöst sein in mir, ich werde
Ihn fragen.
Am nächsten Morgen, beim Frühstück, fragte ich, Vater kann
ich dich nachher mal kurz sprechen?
Aber ja, bekam ich zur Antwort.
Nun gab es kein zurück mehr, mein Entschluss stand fest.
Mein Herz pochte und ich spürte, wie mir die Kehle zugeschnürt
war, als der Moment kam.
Na mein Sohn, womit kann ich dir dienen, fragte Vater.
Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, ich suchte nach
Worten.
Vater, sagte ich, es ist so, ich möchte mich mal verändern, etwas anderes
machen.
Mal raus aus dieser Einöde, mal selbstständig werden.
Kannst du mir einen Teil meines Erbes vorab auszahlen, ohne das
ich dich damit in Schwierigkeiten bringe?
Hast du dir alles gut überlegt, mein Junge?
Wir diskutierten noch eine halbe Stunde in herzlicher Atmosphäre.
Dann sagte mein Vater: In Ordnung, wenn du denn meinst, morgen
gebe ich dir das Geld.
Ich umarmte ihn und ging auf mein Zimmer.
Mir war ein Stein vom Herzen gefallen, ich hätte vor Freude
aufschreien können.
Ich fing an, einige meiner Sachen zusammen zu kramen.
Viel wollte ich nicht mit rumschleppen, ich bekam ja morgen Geld
und konnte mir dann kaufen was ich brauchte.
Als erstes würde ich mir ein Auto zulegen, damit ich unabhängig
sei.
Es war spät geworden, ich packte mich aufs Bett, träumte von der
großen weiten Welt und schlief ein.
Sichtlich erleichtert stand ich am Morgen auf, pfiff vor mich hin
und begab mich nach unten.
Vater und ich frühstückten zusammen, mein Bruder war schon
wieder bei seiner Arbeit.
Mein Vater sagte an diesem Morgen nicht viel, fragte nur, ob ich
mir alles gut überlegt hätte, das ich auf mich aufpassen sollte und
so weiter.
Dann legte er mir sage und schreibe 100000 Euro auf den Tisch,
teils in Bar, teils als Schecks.
Ich war von den Socken, das hatte ich nicht erwartet. Mein Herz
raste, musste meine Erregung unterdrücken.
Eilenden Schrittes ging ich nach oben, holte meine Sachen.
Innerlich jubelte ich, hurra, ich bin frei.
Ich schulterte meinen Rucksack, umarmte meinen Vater, küsste
ihn und machte mich auf den Weg in den Ort, ich wollte den Zug
nicht verpassen.
Ein letzter Blick zurück, da stand er, auf der Anhöhe und winkte.
Pass gut auf dich auf sagte er und melde dich mal.
Du weißt, du kannst jederzeit zurückkommen.
Das waren seine letzten Worte.
Pah, Zug fahren, dauert viel zu lange. Ich nahm mir ein Taxi
und lies mich direkt nach Berlin fahren, zum Ku'Damm.
Der Taxifahrer staunte nicht schlecht, das kam nicht alle Tage
vor, das er solch eine Tour hatte, es waren immerhin fast 400 km.
Er fragte noch, ob ich das auch bezahlen könnte.
Ich legte ihm einen Tausender hin.
O ha, haben sie im Lotto gewonnen? Nein sagte ich, ich habe geerbt.
Was ich denn in Berlin wolle? Ich bin geschäftlich unterwegs
sagte ich.
Nach fast 3 Stunden bat ich um eine Pinkelpause und wir steuerten
eine Raststätte an.
Ich bestellte mir einen Kaffee und einen Cognac und eine Currywurst.
Die Kellnerin wollte kassieren, ich besaß kaum Kleingeld, legte ihr
einen 50 Euro Schein hin und sagte: Stimmt so!
Sie bekam den Mund nicht mehr zu und starrte mich ungläubig an.
Ich ging jetzt noch mal runter, auf die Toilette.
Da saß dieser arme Kerl an einem kleinen Tisch, vor sich einen
Teller mit ein paar Münzen.
Armes Schwein dachte ich und legte ihm einen 20.- Euro
Schein auf den Teller.
Er stand auf, bedankte sich tausendmal und war wie weggetreten.
Die Fahrt ging weiter. Bald haben wir es geschafft, sagte der
Taxifahrer.
Ich war müde, machte die Augen zu und döste ein wenig, bis ich
einschlief.
Der Taxifahrer weckte mich durch einen sanften Stoß und sagte:
Wir sind gleich da.
Ich schaute nach links und rechts, Mensch, hier war was los.
Da, die Gedächtniskirche. Ich ließ halten, um auszusteigen.
Der Taxifahrer wollte mich zurückhalten, junger Mann, sie kriegen
noch Geld zurück von ihrem Tausender. Ich winkte ab und stieg aus.
Der Taxifahrer rief noch irgendwas, was ich aber nicht mehr verstand.
Nun brauchte ich erst einmal ein Hotel.
Es waren nur ein paar Schritte, auf der Ecke war ein 4 Sterne Hotel.
An der Rezeption musste ich meinen Ausweis vorlegen.




Wolfgang Müller
Fortsetzung:
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Vom selben Autor: Gedanken eines Synodalen

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