Odyssee eines jungen Mannes
- Oder: "Der Ausreisser" -





Odyssee eines jungen Mannes (4)




Der Barkeeper wartete gar keine Bestellung ab, sondern schenkte
gleich nach.
So verging die Zeit, ich unterhielt mich mit der reizenden Dame
ausgezeichnet, wir lachten viel und redeten viel blödes Zeug.
Du hast aber eine tolle Uhr, sagte sie. Ja, ja.
Ich wurde immer gesprächiger, kippte einen nach dem anderen.
Plötzlich schoss es aus mir heraus, ich zeigte mit dem Finger
auf den Barkeeper und sagte: eine Lokalrunde für alle!
Einige schauten erstaunt zu mir, andere klatschten.
Übrigens, Rita hieß meine Nachbarin.
Plötzlich zeigte sie auf einen Tisch, an dem zwei offensichtlich
fremdländische Herren saßen. Da sind Freunde von mir, sagte
Rita, setzen wir uns zu ihnen.
Ok, schon schwankenden Ganges begab ich mich an den Tisch.
Ich winkte dem Barkeeper, während wir uns miteinander bekannt
machten.
Rita legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel und ich bemerkte,
wie sie einem der Herren mit Kopfnicken etwas andeutete, dem
ich aber keine Bedeutung beimaß.
Plötzlich verabschiedeten sich die zwei Herren, sie hätten noch zu
tun.
Rita machte plötzlich ein bekümmertes Gesicht, während der
Barkeeper wieder mit der Flasche ankam.
Ich fragte Rita, ob es ihr nicht gut gehe. Doch, doch sagte sie.
Dann plötzlich erzählte sie mir von ihrer kranken Mutter, welche
Sie pflegen müsse, was alles viel Geld koste, denn die Krankenkassen
zahlen ja nichts. Und sie, Rita sei mit drei Monatsmieten
in Verzug, man habe ihr schon die Zwangsräumung angedroht.
Innerhalb einer Woche müsse sie zahlen, und sie weinte.
Das ist ja schrecklich sagte ich und versuchte zu trösten, lallte
dabei mehr als ich sprach.
Wie viel ist es denn fragte ich sie. Ach so um die drei tausend
sagte sie. Waas – und da machst du so ein Theater drum.
Ich griff in meine Jackentaschen und zog etliche Scheine heraus.
Zähl mal mit sagte ich, denn ich konnte die Scheine kaum noch
erkennen.
Fünftausend, ein paar Zehner und fünf 5.-Euro Scheine.
Ich deutete ihr an, das sie sich 3000.- Euro für ihre Mietschulden
nehmen solle. Waas, rief sie, das tust du für mich. Sie fiel mir um
den Hals, küsste mich, darauf trinken wir einen sagte sie.
Sie winkte dem Barkeeper, der hatte schon verstanden und kam
mit einer Flasche Wodka.
Und noch eine Lokalrunde lallte ich, aber dalli.
Ich konnte kaum noch die Augen aufhalten, so voll war ich.
Rita sagte, das es schon sehr spät sei, sie habe oben ein
Zimmer und ich könne auf der Couch schlafen. Ich nickte mit dem
Kopf, mir war alles scheißegal.
Rita nickte mit dem Kopf zum Barkeeper, der zurück nickte.
Plötzlich kamen zwei stämmige Herren und deuteten mir an, dass
Sie mich auf Ritas Zimmer bringen wollten, denn in meinem Zustand
würde ich die Treppen kaum schaffen.
Rita schnappte sich die Wodka Flasche und die beiden Herren
hoben mich von meinem Platz gingen mit mir direkt zur Bar und
deuteten dem Barkeeper, das ich zahlen wolle.
Mir verschwamm alles vor den Augen, einer der Herren griff in
meine Jackentasche und legte einige Scheine auf die Theke.
Der Barkeeper nahm das Geld und die beiden Herren schleppten
mich eine Treppe hoch in Ritas Zimmer.
Rita schenkte mir noch einen Wodka ein, es sollte der letzte
heute sein. Sie zog mir mein Jackett und die Schuhe aus, dann
schleppte sie mich zu einem Bett, es war mit roter Bettwäsche
überzogen. Das war das letzte, was ich wahrnahm, denn ich
schlief sofort ein.
Erschrocken wachte ich am Morgen auf, die fremde Umgebung.
Langsam dämmerte mir, wo ich war und wie ich hier hergekommen
war. Und ich schaute auf meinen linken Arm, wollte wissen, wie spät
es sei. Aber meine Uhr war nicht am Handgelenk, möglich, dass sie
auf dem Tisch lag. Ich schaute nach, aber sie lag nirgends.
Plötzlich bemerkte ich, dass auch mein Ring weg war.
Instinktiv ging ich zu meiner Jacke, welche über einem Stuhl hing.
Ich nahm sie hoch und griff in alle Taschen – nichts, kein Cent.
Das Miststück hatte mich ausgeplündert, angelogen und wohl
auch besoffen gemacht.
Ich fasste an meine Brust, der Brustbeutel war noch da, den hatte
das Biest wohl übersehen. Ich schaute rein, es waren noch einige
Hunderter drin.
Ich brauchte jetzt mal einen Kaffee.
Mit meiner Jacke in der Hand ging ich runter. Eine große Uhr
Über der Theke zeigte 11.30 Uhr an, der Sekundenzeiger ging
weiter.
Ich bestellte einen Kaffee, ich war der einzige Gast.
Dem Barkeeper erzählte ich von den Vorgängen, er zuckte nur
mit der Schulter, das Mädchen habe heute Morgen seine Sachen
gepackt und würde wohl nicht mehr wiederkommen.
Und ihm, dem Wirt, könne man nichts vorwerfen, die Leute
müssten auf ihre Sachen selber aufpassen, ich sollte nicht soviel
saufen. Ich merkte, hier war nichts zu holen. Vergiss es sagte ich zu
mir, trank meinen Kaffee und ging.
Ich ging zu Fuß, Richtung Hotel.


Der Anfang vom Ende
Als ich das Hotel betrat, glotzte mich der Mann hinter dem Tresen
blöd an und sagte: Was ist denn mit ihnen los, wie sehen sie denn
aus?
Erst als ich an mir herunter schaute, sah ich das Übel. Meine
Kleidung war völlig zerknittert, überall Flecken von den Getränken
und Speisen, dazu hatte ich noch immer eine ganz schöne „Fahne.“
Ich schnappte meinen Zimmerschlüssel und hastete die Treppe hoch.
Auf meinem Zimmer angekommen schaute ich erst einmal in den
Spiegel, in der Tat, ich sah aus wie ein Schwein.
Neue Klamotten mussten her. Die Kombination meines Zimmersafes,
ah, ich hatte sie im Rucksack.
Es waren noch drei Bündel Scheine mit Banderolen versehen da.
Mehrere Bündel Tausender und zwei fünfhunderter.
Ich steckte das Bündel mit den fünfhunderter in die Tasche und
schlich mich langsam die Treppe herunter.
Der Mann an der Rezeption telefonierte gerade und schaute nach
hinten, so konnte ich ungesehen entkommen.
Nach einer knappen Viertelstunde hatte ich den Herrenausstatter
Hugo Boss erreicht.
In der Anzugabteilung wurde ich sogleich von einem jungen Herrn
empfangen, der mich anfangs ein wenig kritisch musterte. Ich
schilderte ihm mein Missgeschick und er lachte, ja, das kann alles
passieren, wenn man zu viel getrunken hat.
Nach einer guten halben Stunde hatte mich der Mann neu
eingekleidet, ich behielt die Sachen an, auch Unterwäsche.
Alles vom feinsten. Ich nahm aber alles in dreifacher Ausgabe,
damit ich auch was zum Wechseln hatte. Drei volle Tüten hatte
ich da. Ich fragte den Verkäufer, ob er meine alten Sachen
entsorgen könne? Eigentlich nicht, sagte er, aber bei Ihnen mache
ich eine Ausnahme, wir haben auf dem Hinterhof einen Container,
da werde ich die Sachen entsorgen. Danke sagte ich, vielen Dank
und drückte ihm einen Schein in die Hand, den er mit einem kurzen
„Danke“ in die Tasche steckte, ohne hinzuschauen.
Ehrlich gesagt, ich weiß selber nicht, wieviel ich ihm gab.
Es ging zur Kasse, fast 800.- Euro kosteten die neuen Klamotten.
Ich legte zwei 500.- Euro Scheine hin und bedeutete der schon
etwas älteren Dame an der Kasse: Stimmt so!
Drehte mich um und verließ den Laden.
Schräg gegenüber war der Juwelierladen, ich brauchte ja noch eine
neue Uhr und einen Ring.
Im Laden war ein junges Paar, sie suchten offenbar Trauringe.
Ich hörte nur so heraus, dass ihnen alles zu teuer schien. In mir
kam der Gedanke, doch eine gute Tat zu tun. Verzeihen sie, mischte
ich mich einfach ein, welche Ringe würden sie denn nehmen, wenn
sie das Geld hätten? Die Frau zeigte auf zwei Ringe aus Weißgold
mit Brillanten und lachte dabei.
Ok, sagte ich zur Verkäuferin gewandt, wickeln sie sie ein und
knallte dabei zwei Tausend Euro auf den Tresen. Die kosten aber
2300, 60 Euro, sagte die Verkäuferin. Na denn, sagte ich und legte
noch einen 500.- Euro Schein drauf.
Das junge Paar sagte kein Wort, nur ein „Oh“ der jungen Frau
vernahm ich, dann gingen die beiden Leute, völlig Baff aus dem
Laden.
Haben sie im Lotto gewonnen, fragte die Verkäuferin. Ja, wenn
Sie so wollen, kann man es so nennen, sagte ich, um dem ganzen
noch etwas Nachdruck zu verleihen.
Inzwischen legte sie mir eine Kollektion von Uhren und Ringen vor.
Ich entschied mich schnell, tippte mit dem Finger auf eine Rolex und
legte sie gleich an meinen linken Arm. Die kostet? 2450.- Euro.
Ich zögerte, dann sagte ich. Ok.
Bei den Ringen ging es auch ziemlich schnell, ich nahm wieder
einen mit einem blauen Stein. Er war nicht so teuer, etwas über
700.- Euro.
Ich legte 4000.-Euro hin und sagte zu der Verkäuferin: machen
Sie sich vom Rest einen schönen Tag und verließ den Laden.
Obwohl es zum Hotel nur knappe 10 Minuten waren, winkte ich
einem Taxi am Straßenrand.
Am Hotel angekommen drückte ich dem Taxifahrer irgendeinen
Schein in die Hand, verließ das Taxi und ging ins Hotel.
Rein zufällig schaute ich auf einen Schriftenständer nahe der
Rezeption, ein Prospekt mit der Aufschrift „Spielcasino“ fiel mir
auf. Ich nahm den Prospekt an mich und ging mit meinen Tüten
die Treppen hoch zu meinem Zimmer.
Ich warf meine Tüten aufs Bett und nahm mir aus der Zimmer-Bar
einen Whisky, ah, der tat gut.




Wolfgang Müller
Fortsetzung:
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Vom selben Autor: Gedanken eines Synodalen

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