Odyssee eines jungen Mannes
- Oder: "Der Ausreisser" -





Odyssee eines jungen Mannes (6)




Der eine fragte, warum ich auf der Straße gelandet sei. Ich erzählte
meine Geschichte. Dann warst du aber ganz schön blöd, sagte
einer von ihnen.
Und ich, sagte einer, meine Firma hat pleite gemacht, finde mal mit
55 eine neue Stelle, dann kamen die Schulden, meine Frau hatte
sich von mir getrennt. Die Miete konnte ich nicht mehr zahlen, meine
Frau verlangte Unterhalt.
Ja Junge, so ist das. Keine Arbeit, keine Wohnung, keine Wohnung,
keine Arbeit. Ein Teufelskreis.
Meine Frau hatte einen anderen, hat alles unter die Leute gebracht,
erzählte der andere, dann schwieg er.
Also, das hier waren keine Stadtstreicher, Penner oder so, das waren
Obdachlose und gescheiterten Existenzen.
Der Alkohol sollte nur vergessen machen und das Los mildern.
So tranken wir noch einige Dosen Bier und den Weinbrand.
Wir machen hier Platte, sagte der eine, er guckte zu mir rüber, hast
Du nichts zum zudecken? Ich verneinte. Die beiden krochen in ihre
Schlafsäcke. Hier, nimm meinen Mantel, sagte der eine. Ich deckte
mich damit notdürftig zu.
Wenn die „Bullen“ kommen, müssen wir hier weg, sagte eine
Stimme.
Ich schlief ein.
Am anderen Morgen sah ich die beiden schon in ihren Sachen
Rumkramen. Beide tranken schon eine Dose Bier. Unser
Frühstück sagte der eine, doch ich winkte ab.
Nun trennten sich unsere Wege, ich gab beiden die Hand und sagte:
Alles Gute!
Dann stieg ich die Böschung herauf um meinen Weg weiter zu gehen.
Richtung Rostock, Schwerin, warum, weiß ich nicht mehr.
An einem Zaun sah ich ein Fahrrad stehen, ich schaute nach links
und nach rechts, schnappte mir das Ding und radelte los.
Nach einer halben Stunde war ich aus der Stadt raus und befand
mich auf der Landstraße. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich meinen
Rucksack unter der Brücke hatte liegen gelassen. Schöne Scheiße.
Zu spät, meine Papiere, alles futsch.
Nach gut zweieinhalb Stunden hielt ich an und setzte mich auf eine
Wiese am Wegesrand. Mir knurrte der Magen. Das würde er in
Zukunft wohl öfter tun. Es waren noch ca. 26 km bis zum nächsten
Ort, und den wollte ich noch im Laufe des Nachmittag erreichen, dann
würde ich weitersehen.
Ich radelte weiter, als ich nach einer Weile merkte, dass das Treten
schwerer wurde. Ich hielt an und sah, dass mein Hinterrad platt war.
Auch das noch. Ich legte das Rad in den Straßengraben und ging
zu Fuß weiter. Hunger und Durst quälten mich und alle Knochen taten
mir weh.
Spät am Abend kam ich in dem Ort an, ein Dorf mit wenigen Häusern
und Höfen. An einer Weg kurve war ein Gasthaus, ich blickte auf
den Hinterhof und sah einige Abfalltonnen stehen. Vorsichtig ging
ich hin und öffnete eine Tonne. In der Tonne lagen etliche Speisereste.
Hier muss vor kurzem eine größere Gesellschaft gefeiert haben.
Die Speisen waren noch nicht lange in der Tonne.
Gierig wühlte ich darin herum und fischte mir Koteletts Reste und
anderes heraus. Ich schlang die Sachen runter und steckte mir
etliches in die Jackentasche, dann ging ich weiter. An der Hauswand
sah ich einen Wasserhahn, vorsichtig näherte ich mich, drehte den
Hahn langsam auf und genoss das kühle Nass.
Nun aber nichts wie weg, sagte ich mir.
Inzwischen war es dunkel geworden, als ich das Dorf verließ, sah
ich auf der Weide eine alte Hütte stehen, offenbar eine Viehunterkunft.
Ich ging hin, der Stall war leer und so beschloss ich, die Nacht hier
zu verbringen.
Am Morgen machte ich, dass ich schnell wegkam, ziemlich am Ende
des Ortes war ein Supermarkt, dort entdeckte ich mehrere Container,
unter anderem auch solche für Altkleider. Ich begab mich dorthin, weil
ich sah, dass etliche Plastiktüten und Kartons neben den Containern
standen, weil diese offenbar voll waren. Da es noch recht früh war,
war noch keiner zu sehen. Ich wühlte in den Sachen herum und
fand auch halbwegs passendes. Ich musste endlich meine Klamotten
loswerden, welche ich nun schon viel zu lange am Leibe trug.
Hinter einem parkenden LKW zog ich mich rasch aus und zog die
„neuen“ Sachen an, alles ohne Unterwäsche, denn die konnte ich
nicht auftreiben. Meine alten Sachen warf ich unter den LKW.
Bei den Containern konnte ich auch noch ein paar Schuhe erwischen,
etwas zu groß, aber heile.
In einem anderen Container entdeckte ich Lebensmittelabfälle,
wohl die, wo das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war. Ich angelte
mir einiges heraus und setze mich vor dem Supermarkt neben einer
Telefonzelle auf eine Bank.
Ein Ehepaar mit Hund ging an mir vorbei, schütteln den Kopf, gehen
weiter und drehen sich noch einige Mal um.
Ich gehe weiter. Am Ortsausgang ist rechter Hand ein Friedhof, oben
eine kleine Kirche. Bleibe stehen und überlege, soll ich? Ja, ich gehe
hinauf, die Kirche ist auf, gehe hinein und setze mich hinten auf eine
Bank. Vorne, der Altar, der Kruzifix, Jesus schaut mich an.
Da fällt mir eine Geschichte ein, welche ich im Konfirmanden-Unterricht
einmal lernen musste, es ist die Geschichte vom verlorenen Sohn.
Ach ich doch nicht, sage ich zu mir, wird schon alles wieder werden.
Nach Tagen des Hungern und Dürsten, kalter Nächte, denn es wird
herbstlich, erreiche ich eine kleine Stadt. Ich lese ein blaues
Schild: Diakonie. Unwillkürlich zieht es mich dorthin.
Ich werde freundlich begrüßt. Man staune: ich bekomme etwas zu essen
und einen heißen Kaffee. Dann kann ich duschen und mich rasieren,
aus einer Kleiderkammer bekomme ich neue Klamotten, auch
Unterwäsche. Ich bin wieder wer. Setze mich an den Tisch und
bekomme wieder einen Kaffee. Bitte, kommen sie nachher mal in
mein Büro, damit ich ihre Personalien aufnehmen kann, sagt der
freundliche Herr. Ich zucke zusammen, habe doch keine Papiere.
Was ist, wenn der die Bullen holt, weil er denkt ich sei ein entlaufender
Sträfling?
Also verschwand ich klammheimlich und bewegte mich schnellen
Schrittes weg.
So ging mein Leben noch fast eine Woche weiter, ich wanderte,
ich hungerte, hatte Durst, die Schuhe waren abgelaufen, die
beginnende Herbstkühle machte mir zu schaffen. Das immer währende
Übernachten im Freien, hatte auch meine Gesundheit in Mitleidenschaft
gezogen.
Ich fing langsam wieder an nach Gott zu fragen, nach dem Sinn
meines Lebens. Wo bin ich nur gelandet? Wie konnte es soweit
kommen? Fing an mich zu verfluchen. Ich haderte mit meinem
Schicksal. Und wieder fiel mir die Geschichte vom verlorenen Sohn
ein, verdrängte sie aber. Nein, der bin ich nicht.
Ich dachte an zu Hause, warum bin ich bloß abgehauen?
Vollidiot, sagte ich zu mir.
Hinter mir kam ein Trecker langsam näher, mit einem Miststreuer
dran, als er an mir vorüber war, hing ich mich hinten dran. Es stank
bestialisch, aber ich brauchte nicht zu laufen.
Nach einem Kilometer bog er links ab, ich sprang ab und wanderte
wieder.


Das Ende
Am späten Nachmittag kam ein einsamer Hof in Sicht. Ich war kaputt.
Ich dachte, da gehst du jetzt hin, vielleicht hat der was zu beißen
und vielleicht auch einen heißen Tee. Im Stall schlafen, ein paar
Tage dort bleiben, denn mir taten alle Knochen weh.
Vorsichtig näherte ich mich dem Hof, ich hatte Angst, das mich da
noch so ein Köter anfallen könnte, aber nirgends schien ein Hund zu
sein. Plötzlich kam ein hünenhafter Mann aus dem Stall.
Er schrie laut los: Was willst du hier? Und fuchtelte mit seiner
Forke wild herum.
Ich schilderte ihm meine Not, möchte gerne ein paar Tage hier
Arbeiten, wenn ich nur etwas zu essen und einen Schlafplatz
bekäme. Aber er sagte nur, dass ich verschwinden solle und zwar
sofort. Ich ging auf die Knie und beschwor ihn, er wolle mich doch
nicht auf dem Gewissen haben. Ich würde ja nichts verlangen, außer
einen Happen und einen Schlafplatz. Dafür würde ich ihm auch zur
Hand gehen.
Mit einem Mal wurde er ruhiger, deutete auf den Schweinestall
und sagte: da kannst du pennen, aber wehe, du machst Ärger.
Ich bedankte mich mehrmals und ging auf den Stall zu. Der Gestank
im Stall machte mir nichts aus. Ich setzte mich auf einen Strohballen
und sann nach. Mit einem Mal ging die Tür auf, der Bauer kam herein
und kippte wortlos einen Eimer Schweinefutter in den Trog. Beim
hinausgehen sagte er: treib die Schweine in den Stall, bevor es
dunkel wird, und ging. Ich wartete einen Moment, dann kroch ich
zum Trog, ein angenagtes Kotelett, ein paar Kartoffeln, ich langte
zu und aß schnell, bevor der Bauer noch einmal kommen würde.
Mir war alles egal, ich hatte Hunger. Dann sagte ich zu mir:
soweit hast du es also gebracht, das du deinen Hunger am Schweine
Trog stillen musst.
Es wurde dämmrig, Zeit, die Schweine in den Stall zu treiben.
Am nächsten Morgen ließ ich die Schweine wieder raus, ich sollte
mit ihnen weiter oben auf eine Wiese gehen und sie gut bewachen.
Den ganzen Tag hielt ich mich bei ihnen auf, bis zur Dämmerung, dann
trieb ich sie wieder in den Stall. Der Bauer war schon da gewesen,
hatte eine unförmige Masse in den Trog gekippt. Ich suchte nach
geeignetem, fand aber außer ein paar trockenen und verschimmelten
Brotscheiben nichts.
Dann sagte ich zu mir selbst: Gott, führe mich aus diesem Elend.
Ich fing wieder an zu beten, mich an Jesus zu wenden.
Dann sagte ich mir, alle Arbeiter meines Vaters haben eine Wohnung,
haben Arbeit und zu essen und ich verkümmere in diesem Dreckloch
und fresse Schweinefutter. Ich will nach Hause, mich entschuldigen,
irgendeinen Job annehmen als einfacher Arbeiter. Ich werde um
Vergebung bitten. Entweder mein Vater wirft mich raus, oder er nimmt mich
an. Fragen kostet nichts.
Morgen früh würde ich mich davonmachen.
Gott, stehe mir bei.




Wolfgang Müller
Fortsetzung:
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Vom selben Autor: Gedanken eines Synodalen

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