Maria
- biblisch orientierte Kurzgeschichte -





Maria, die schmerzhafte




Nun sitze ich hier, mit dir, meinem toten Sohn, auf dem Schoß. Du bist zurückgekehrt, wovon du ausgingst. Meine Tränen tropfen auf deinen geschundenen Leib mit den vielen Wunden. Seit deiner Geburt warst du mir nicht mehr so nahe. Es war nicht deine Schuld. Du hattest einen Auftrag zu erfüllen. Ich wusste das, aber manchmal fiel es mir schwer, es zu akzeptieren. Besonders schlimm war es, als die Menschen anfingen, dich zu hassen. Zwar habe ich mich, nach Josefs Tod, den Frauen angeschlossen, die dich begleiteten. Beschützen konnte ich dich nicht. Wenigstens war ich dir nahe. Viele Gedanken stürmen auf mich ein. Am stärksten sind die, wie alles anfing.
Damals lebte ich noch in meinem Elternhaus.
Nachdem ich meiner Mutter bei den täglich anfallenden Arbeiten geholfen hatte, zog ich mich in mein Kämmerlein zurück. Es war für mich die schönste Stunde des Tages. Endlich war ich allein und konnte in Zwiesprache mit meinem Gott treten. Ich kniete auf meinem Schemel, verdeckte das Gesicht mit den Händen und begann mein Gebet.
Für diesen Tag hatte ich den Lobpsalm auf Gottes Schöpfermacht ausgewählt. Dieser Text gefiel mir besonders gut. Entsprach er doch genau dem Bild, das ich von meinem Schöpfer und seinen Werken in mir trug.
‚Wie kann ein Mensch Gott leugnen, wenn er sich mit dem Inhalt dieser Zeilen beschäftigt?’
Wenn ich zwei Strophen gebetet hatte, hielt ich inne und lies die Bilder auf mich wirken.
Als ich bei den Zeilen:
„zu Boten schufst du dir die Stürme,
und Feuerflammen dir zu deinen Dienern“
glaubte ich ein Rauschen zu hören und statt dem Dämmerlichtes in meiner Kammer fiel ein heller Strahl vom Himmel genau auf mich. Ich erschrak, denn in dem Licht sah ich eine Gestalt, die genau meiner Vorstellung von einem Engel entsprach. Was wollte er von mir?
Ich hörte seine Botschaft und meine eigenen Worte, die absolute Zustimmung auf seine Verheißung waren. Das war der Beginn deiner Menschwerdung. Sie geschah verborgen in einem großen Geheimnis.
Von diesem Tag an ging ich in mich gekehrt mit einem Lächeln umher. Ich vertraute mich niemand an. Nur meine Base Elisabeth sagte es mir auf den Kopf zu. Ich wies alle Preisungen weit von mir, denn ich war ja nur die Magd des Herrn.

Josef, mein Verlobter, fragte nicht. Er nahm mich einfach zu sich.
Wundersame Zeichen gab es bei deiner Geburt. Himmlische Gesänge versprachen den Frieden auf Erden. Weise Männer brachten Geschenke und einfache Hirten staunten über dich. Alle diese Geschichten bewahrte ich in meinem Herzen. Sie gaben mir Kraft in trüben Stunden.
Ich habe dir nie davon erzählt, dass wir bei deiner Darstellung im Tempel einen alten Mann trafen. Er war ein Seher und prophezeite mir, dass ein Schwert meine Seele durchdringen würde. Beinahe wärest du aus meinem Arm gerutscht. So stark war mein Schrecken wegen seiner Worte. Später habe ich oft an diesen Tag gedacht.
Der erste Grund war unsere Flucht nach Ägypten. Herodes wollte dich töten lassen. Was blieb uns anderes übrig als zu fliehen? Lange habe ich unter dem Tod der unschuldigen Kinder gelitten, die er an deiner Stelle umbringen ließ. Ob ihre Mütter die Zusammenhänge kannten und dich und mich deswegen hassten?
Herodes starb und wir konnten zurückkehren. Du wuchsest heran und warst ein aufgeweckter Junge. Eine Zeit lang vergaßen wir, dass du ein besonders Kind warst, bis an dem Tag, als wir in Jerusalem waren. Wie es Brauch war, hatten auch wir das Passahfest dort verbracht. Auf dem Heimweg vermissten wir dich und suchten dich überall. Dabei trat offen zutage, wie auch Josef an dir hing und dich liebte. Dein irdischer Vater war der treueste Mensch, der mir je begegnet ist.

Als wir dich endlich im Tempel gefunden hatten, konntest du unsere Sorge nicht verstehen. Ich war über deine Antwort erschrocken. Sie zeigte mir deutlich, dass du nun wusstest, wer du warst und, dass du eine Aufgabe zu erfüllen hattest. Wir, deine irdischen Eltern, waren nur Werkzeuge. Zwar gingst du brav mit uns nach Hause, aber deine Kindheit war- für mich viel zu früh - vorbei. Von diesem Tag an sahen wir dich mit anderen Augen. Nachts lag ich oft wach und hatte Angst, dass du uns, ohne etwas zu sagen, verlassen könntest. Ich freute mich über jede Stunde, die du bei uns weiltest. Eines Tages war es so weit, du gingst fort.
Auf der Hochzeit zu Kana machtest du mir deutlich, dass ich keinen Einfluss auf dein Tun hatte. Ich wäre so stolz gewesen – wie wahrscheinlich alle Mütter in ähnlicher Lage – wenn du auf mein Geheiß ein Wunder gewirkt hättest. Ich wusste ja, dass du das konntest. Erst, als deine Stunde gekommen war, hast du es getan.
Wie hast du die Menschen begeistert durch deine Liebe zu ihnen. Du gabst ihnen neue Hoffnung und heiltest so manchen von seinen Gebrechen.

Viele verließen alles und folgten dir. Sie liebten dich und jubelten dir zu, denn sie erhofften von dir politischen Einfluss. Später forderten sie deinen Tod.
Tief in meinem Herzen wusste ich von der Weissagung um dein Ende. Welche Mutter hofft nicht auf ein Wunder, um ihr Kind von allem Unheil zu bewahren?
Mir war das nicht vergönnt. Das Schwert durchbohrte meine Seele erneut, als ich dir auf deinem Kreuzweg begegnete.
Später, unter dem Kreuz, legtest du mein Schicksal in die Hände von Johannes. Er wird deinen Wunsch erfüllen und sich um mich kümmern, wie ich ihm eine Mutter sein werde.
Wenn mich jemand fragen würde, ob ich die Botschaft des Engels aus meiner jetzigen Sicht ablehnen würde, so muss ich ihn enttäuschen. Wieder und immer wieder würde ich Ja sagen.
Nun bleibt mir noch das letzte Stück unseres gemeinsamen Weges. Ich werde dabei sein, wenn man dich ins Grab legt. Leb wohl mein geliebter, geliehener Sohn.
Nur noch drei Tage, und wir sehen uns wieder, wie du es hast gesagt hast.
Auf ewig preise meine Seele Gott den Herrn. Er hat Großes an mir getan.



Regina Hesse



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