Rabbea
- christliche Kurzgeschichte -





Rabbea




Jedes Mal, wenn Rabbea von einem Besuch bei ihren Eltern zurück kam, war sie deprimiert. Ihr Vater hielt ihr ständig vor, dass sie noch nicht verheiratet war. Als sie gerade mal zehn Jahre alt war, wurde sie dem Sohn des Nachbarn versprochen. Beide Väter waren Fischer und kannte sich schon seit ihrer Kindheit.
Rabbea hatte nichts gegen diese Abmachung einzuwenden, denn sie mochte Nachem, den Sohn des Nachbarn, gut leiden.
Es wäre auch alles gut ausgegangen, wenn Nachem nicht eines Tages am See Genezareth gefischt hätte.
Dort war ein Prediger aufgetaucht, von dem Nachem so begeistert war, dass er ihm bedenkenlos folgte. Von einer Stunde zur anderen hatte er sein bisheriges Leben aufgegeben und seine Eltern verlassen.
Das ging nun schon fast drei Jahre so. Selbst zu dem angesetzten Heiratstermin war er nicht erschienen. Für Rabbea war das alles sehr peinlich.
Die beiden Familien waren seit dieser Zeit zerstritten.
Nachem war nicht der einzige, der mit diesem neuen Propheten durch die Lande zog. Es wurde erzählt, dass dieser Jesus von mindestens siebzig Jüngern begleitet wurde.
Rabbea war zwar enttäuscht von Nachems Verhalten, aber sie hätte gerne verstanden, was eigentlich mit ihm geschehen war.
Was brachte die Menschen dazu von einem Tag zum anderen alles liegen und stehen zu lassen und diesem Mann zu folgen?

Rabbea war nicht sehr religiös. Sie nahm zwar an den Zeremonien teil, die in jedem jüdischen Haus und auch bei ihren Eltern üblich waren. Sie fand, dass es eine sehr strenge und hauptsächlich eine Religion für Männer war. Mit Nachem hatte sie nie über dieses Thema gesprochen. Vielleicht suchte er bei Jesus etwas, was er bei dem herkömmlichen Glauben vermisste. Jeden Tag gab es andere Gerüchte um diesen Propheten. Das neueste war, dass er der von allen Juden so sehnlichst erwartete Messias sein sollte.
Rabbeas Vorstellungen von einem Messias hatten nichts mit dieser Person gemein. Sie erwartete einen mächtigen Mann, größer als König Herodes, nicht den Sohn eines gewöhnlichen Zimmermanns.
Außerdem waren seine Predigten sehr umstritten, denn er verkündigte eine völlig andere Lehre, als es die Urväter getan hatten.
Er verlangte die Feinde zu lieben und verachtete die Pharisäer. Deren großer Einfluss schien ihn nicht zu beeindrucken.
Er hatte sich auch nicht gescheut, zahlreiche Verkäufer aus dem Tempel zu verjagen.
Bei den Hohen Priestern war dieser Jesus sehr unbeliebt. Sie fürchteten seinen Einfluss auf das Volk und sie bangten um ihre Stellungen.
Rabbea wusste so viel über diesen Jesus, da sie als Magd im Hause des Hohen Priesters Hannas arbeitete.
Sie hatte diese Stelle angenommen, um den mitleidigen Blicken ihrer Eltern und Nachbarn zu entgehen, die sie als alte, kinderlos bleibende Jungfrau betrachteten. Ihr Vater war zunächst nicht damit einverstanden gewesen, aber letzten Endes hatte er für einen Esser weniger zu sorgen. Außerdem war Rabbea im Haus des Hohen Priesters gut aufgehoben und würde ihren Eltern keine Schande machen.
In den Tagen vor dem Fest der ungesäuerten Brote hatte Rabbea viel zu tun.
Das ganze Haus wurde in Ordnung gebracht, denn es war eines der bedeutesten Feste und wurde von ganzen Judenvolk gefeiert.
Rabbea säuberte den Raum neben dem Zimmer des Hohen Priesters, als sie Zeuge einer Unterhaltung wurde, die nicht für ihre Ohren bestimmt war.
Der Hohe Priester sprach mit mehreren Ältesten über die Gefangennahme Jesu.
Es sollte noch vor den Festtagen geschehen, denn sie fürchteten einen Aufruhr im Volk.
Jesus wurde des Hochverrats und der Gotteslästerung beschuldigt.
Rabbea frohlockte. Wenn dieser Jesus gefangen würde, könnte mit ihr und Nachem noch alles gut werden. Endlich würden ihre Träume in Erfüllung gehen. Sie malte sich ihr künftiges Leben an seiner Seite aus. Als sie dann Kinderlachen von der Straße her hörte, war sie so glücklich wie lange nicht mehr. Sie sang sogar ein frohes Lied. Das war noch nie geschehen, seit sie im Haus des Hohen Priesters diente.
Dann war es tatsächlich passiert: Die Knechte hatten ihren Auftrag ausgeführt, diesen Jesus gefangen genommen und in das Haus des Hohen Priesters gebracht
Rabbea wollte sich gerade zur Ruhe begeben, als sie den Tumult auf dem Hof hörte. Neugierig sah sie aus dem Fenster. Sie hatten Jesus schon hereingeführt.
Wo kamen die vielen Menschen wohl her? Ob Nachem auch dabei war?
Rabbea nahm sich einen Krug und ging hinaus um Wasser zu holen. So konnte sie unauffällig vielleicht etwas über Nachem erfahren.
Langsam ging sie zum Brunnen. Sie ließ ihre Augen hin und her gehen. Von Nachem keine Spur.
Gehörten diese Menschen alle zu Jesus?
Als sie ihren Krug gefüllt hatte, blickte sie auf und sah geradewegs in das Gesicht eines Mannes, der sich an einem der Öfen wärmte.
Sie erkannte ihn. Es war Simon. Er war Fischer wie ihr Vater und die beiden waren früher öfter zusammen hinaus gefahren. Es ging das Gerücht, dass auch er zu den Jüngern Jesu gehörte. Vielleicht wusste er etwas über Nachem.
Rabbea sagte zu ihm:
„Warst du nicht auch einer von seinen Jüngern?“
Zu ihrem Erstaunen bestritt er das heftig.
„Ich kenne diesen Menschen nicht.“
Daraufhin ging er schnell weg, so dass Rabbea nicht weiter nach Nachem fragen konnte.
Dieser Simon hatte wohl Angst vor einer Verhaftung, die wahrscheinlich allen Anhängern dieses Jesus drohte.
Schlagartig wurde ihr klar, dass auch Nachem in dieser Gefahr schwebte. Wenn sie doch nur wüsste wo er war. Sie würde schon eine Möglichkeit finden ihn zu verstecken, bis sich die ganze Aufregung über diesen Jesus gelegt hatte.
Heute würde sie wohl nichts mehr über Nachem erfahren. Frierend ging sie ins Haus zurück.
Am folgenden Tag war Rabbea mit den Vorbereitungen des Festessens beschäftigt. Sie dachte pausenlos an Nachem, aber sie hatte keine Gelegenheit nach ihm zu forschen. Wen im Haus sollte sie auch fragen? Sie würde sich nur verdächtig machen. Gegen Mittag wurde sie von ihrer Herrin zum Markt geschickt. Es fehlte ein wichtiges Gewürz, das für die Zubereitung des Lammbratens benötigt wurde. Eilig machte sich Rabbea auf den Weg.
Als sie von der Seitenstraße in die Hauptstraße bog, sah sie eine große Menschenmenge.
Sie drängte sich vor um zu sehen was da los war. Eine Frau die vor ihr stand antwortete auf ihre Frage:
“Dieser Jesus ist zum Tode verurteilt worden. Er wird gekreuzigt.“
Genau in diesem Augenblick bog ein Mann um die Ecke, der ein Kreuz trug.
„Ist das Jesus?“ fragte Rabbea die Frau, von der sie vorhin Antwort bekommen hatte.
Also, nach einem neuen König der Juden sah er wahrhaftig nicht aus. Er ging schwer gebeugt unter der Last, die er zu tragen hatte. Manchmal strauchelte er und war kurz davor zu stürzen. Seine Stirn war blutverkrustet, er war wohl geschlagen worden. Er trug ein Gebilde auf dem Kopf, das wie eine Krone aus Dornen aussah.
Einige der Frauen begannen bei seinem Anblick laut zu weinen.
Der Zug mit dem Kreuztragenden näherte sich ihnen.
Als er genau bei den weinenden Frauen angekommen war, blieb Jesus stehen und sprach zu ihnen.
Rabbea konnte nicht verstehen was er sagte.
Langsam schleppte sich Jesus weiter.
Als er unmittelbar an Rabbea vorbei ging, blickte er sie an, ganz kurz, nur einen Lidschlag lang.
Dieser Blick bewirkte, dass Rabbea ihren Korb zur Erde gleiten ließ. Wie selbstverständlich folgte sie dem Zug zum Kalvarienberg.
Jetzt war sie Nachem sehr nahe.



Regina Hesse



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