Ein seltsamer Gast
- christliche Kurzgeschichte -





Ein seltsamer Gast




Alles lief ganz normal an diesem Tag. Nichts Außergewöhnliches, kein Lottogewinn, keine Beförderung, auch keine schlimme Nachricht: „Krebs, hast du schon gehört?“

Alles lief ganz normal, bis er in ihr Haus eintrat. Sie bat ihn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen, aber er wünschte, in der Küche zu sitzen. Sie war nicht auf Besuch eingestellt und so dauerte es eine kleine Weile, bis sie sich auf ihn einlassen konnte.

Er hatte es nicht eilig. Seine Augen, seine Ohren, sein Herz ruhten. Die Stille schien ihm vertraut. Dann begann er auszusprechen, wonach ihr Geist schon so lange Jahre hungerte und dürstete:

„Frau, mein Herz schaut dich so gerne an. Es lächelt, wenn es deine Stimme hört. Du riechst nach Himmel, meine geliebte Braut, nach deinem zukünftigen Zuhause. Ich genieße deine Gegenwart so sehr.“

Sie erschrak. Doch dann sog sie seine Worte tief in sich hinein. Hatte der Fremde ihre verborgenen, heimlichen Sehnsüchte gesucht und gefunden? Woher wusste er? Ihr Herz brannte. Sie schaute ihn an. Er schaute sie an. „Wie schön er ist“, dachte sie und schämte sich sogleich.

„Wie schön du bist“, hörte sie ihn sagen. „Ich sehe einen Schleier meiner Gegenwart über dir. Gnade und Frieden bedecken dein Haupt. Da ist so viel innere Herzensarbeit meines Geistes. Das ist so köstlich in meinen Augen, Töchterchen. Ich freue mich so sehr.“

Sie lauschte. Eine Zeit verstrich. Als sie wieder aufschaute, überfiel sie ein leises Bangen: „Ich darf diese Worte nie wieder aus meinem Sinn bekommen. Nie wieder. Ich brauche sie so sehr. Mich hungerte. Mich dürstete. Ich muss sie notieren, in mein Büchlein, mein Lebensbuch.“

Die Küche war erfüllt von Wärme und Wohlgefallen. Vergessen waren der Berg von ungewaschenem Geschirr und die Fliesen, die auf einen Besen warteten. Auch ihr ganz spezielles Problem, mit dem sie sich in regelmäßigen Abständen immer wieder herumschlug, interessierte nicht. Oder?

Auf einmal stand sie auf, um ihr Büchlein zu holen. Eigentlich hielt sie es vor jedermann sorgsam verborgen. Niemand durfte hineinschauen. „Wenn ich nicht mehr bin“, hatte sie ihren Lieben gesagt, „dürft ihr gucken. Vorher nicht.“

Warum hatte sie das Bedürfnis, dem Fremden in ihrer Küche ihr Innerstes zu offenbaren? Obwohl sie sich irgendwie wunderte, wusste ihr Geist sehr wohl, warum sie es tat. Die ungelesenen Seiten ihres Lebens trieben sie dazu. Ihr überaus seltsamer Gast sollte sie das Lesen lehren. Er würde es können. Wer sonst?

Sie nahm ihr Buch zur Hand, pustete den Staub von dem Buchdeckel und schlug es auf. Langsam blätterte sie die Seiten zurück. „Kindheit“, las sie ihre eigene Schrift und schaute auf.

Wo war der Fremde? War er noch da? Natürlich. Es schien ihr, als hätte er genau auf diesen Moment gewartet. Er hatte alle Zeit der Welt. Kein: Ich muss noch schnell... Dies und das müssen fertig werden. Sofort.

„Lass los“, ermutigte er sie nach etlichen Minuten. „Warum?“ brach es aus ihr heraus. „Wo warst du? Bist du nicht Liebe? Hättest du nicht eingreifen können, mich beschützen? Damals. Alles wäre ganz anders gekommen in meinem Leben. Ganz anders.“

„Weiter“, ermutigte er. Alle ihre Not brach aus ihr heraus. Sie machte ihrem Herzen Luft, klagte an. In den kurzen Momenten des Atemholens vergewisserte sie sich seiner Gegenwart. Wie konnte er sie aushalten? Warum ging er nicht? O, nein, jetzt weinte sie auch noch. Vor einem fremden Mann. Warum ging er nicht? „Weiter“, ermutigte er. „Weiter, bitte!“

Nichts lief normal an diesem Tag. Gar nichts. Alles war außergewöhnlich. Sie schaute ihn an. Er schaute sie an. „Punkt“, sagte sie auf einmal, völlig unvermittelt. Über das plötzliche Ende des Gesprächs war er keineswegs verwundert.

Er nahm ihr Lebensbuch in seine Hände, bat um einen Stift und begann darin zu schreiben. Nach einer Weile legte er beides beiseite und sprach:

„Gib mir immer wieder und wieder deine Not. Gib mir alles, was dich beschwert. Schütte dein Herz bei mir aus. Jeden Tag. Geliebte Tochter, meine Speise ist es, den Willen meines Vaters zu tun. Sein Wille ist es, dir Gutes zu tun. Tue ich seinen Willen, wird meine Seele satt.

Geliebte Braut, nur du vermagst es, mich zu sättigen. Darum gib mir zu essen! Gib mir zu trinken! Meinen Hunger stillst du mit deiner Gegenwart. Meinen Durst löscht du, wenn wir echte Gemeinschaft miteinander haben.

Lass mich nicht hungern, nicht dürsten. Erzähle mir dein Herz. Das ist der Wille meines Vaters im Himmel, der mich zu dir schickte. Seinen Willen tue ich so gerne. Immerzu möchte ich sein Werk vorantreiben, auch in dir. Immerzu...


Eine erfundene Geschichte?

Vielleicht. Oder könnte sie sich so oder ähnlich in dir abgespielt haben? Ein ganz normaler Arbeitstag. Du bist allein zu Hause. Alle sind außer Haus. Nur du nicht. Du arbeitest stundenlang in deiner Küche.

Es stimmt, dein Hausfrauendasein empfindest du oft als öde und langweilig. Tag aus, Tag ein das Gleiche, nur Kochen, Putzen, Wäsche waschen... Dabei sehnst auch du dich nach dem vollen Leben, möchtest hineinbeißen, es schmecken und spüren.

Jawohl, manchmal beneidest du andere Frauen, besonders die Alleinstehenden, ohne Verpflichtungen. Wie gerne würdest du einmal ausbrechen. Irgendwohin, wo mehr ist...


„Moment“, höre ich gerade eine Stimme von irgendwoher:
Und was ist mit mir? Bin ich nicht dein allerbester Freund? Ich habe versprochen, bei dir zu sein. Und das ist auch so. Ich bin immerzu bei dir, in deinem Haus, bei deinen vielen hausfraulichen Arbeiten. Doch du nimmst kaum Notiz von mir, behandelst mich wie einen Fremdling, wie einen Gast, der ab und zu bei dir vorbeischauen darf.

Weißt du, wie ich mich dabei fühle? Meine Gegenwart scheint dir nicht zu genügen. Das verletzt mich. Bin ich ein Langweiler für dich? Du wechselst kein Wort mit mir, obwohl ich mich nach jedem Wort deiner Lippen verzehre. Es muss doch einmal ausgesprochen werden. Alles. Vor mir. Wie sonst könnten wir eine persönliche Beziehung pflegen?

Weißt du gar nicht, wer ich bin? Ich kenne nicht einen einzigen Menschen, dem du so viel Missachtung entgegen bringst wie mir. Alle anderen sind dir wichtiger. Du suchst Anerkennung und Wertschätzung bei Menschen? Was denken sie von mir? Was reden sie? Und ich?

Dabei bin ich deine einzige Hilfe. Und eigentlich weißt du das auch. Wo du hingehst, da gehe ich auch hin. Ich bin dir immer einige Schritte voraus und zwar so weit, dass wir zwei Blickkontakt halten könnten. Immer, vorausgesetzt, du würdest meine Augenleitung wollen, was ich leider selten erkennen kann.

Du bist von mir enttäuscht? Ich wünschte, dich besser führen, leiten und beschützen zu können. Doch du lässt mich nicht. Wenn es hart auf hart kommt, dann, ja dann, rufst du mich. Habe ich dir geholfen, bist du schon wieder weg, oftmals ohne dich zu bedanken.

Bin ich es nicht, der dich bis ins Ziel bringt? Oder meinst du, den Weg alleine zu finden? Kein einziger Mensch auf der ganzen Welt findet den Weg nach Hause, mag er sich auch noch klug vorkommen. Niemand auf eurem großen Erdball. Ärgert dich das?

Du bist mir so wertvoll. Ich liebe dich über alles. Ich habe mein ganzes Leben für unsere gemeinsame Zukunft gegeben. Zur Zeit kümmere ich mich um deine Wohnung im Himmel. Dir werden die Augen übergehen. Ich kenne alle deine Wünsche und Vorlieben. Ich habe mich total auf sie eingestellt und noch viel mehr. Viel, viel mehr.

Tag und Nacht träume ich von einem gemeinsamen Leben mit dir. Siehst du das nicht? Ich eifere um dich. Ich möchte dich durch alles, was dir geschieht, zu mir ziehen, auch wenn du deine Ohren verstopft hältst und eigene Wege vorzieht. Kommen wir uns näher, wird deine Seele heil. Darum ist es mir unmöglich, dich in Ruhe zu lassen. Ich kann dich doch dich aufgeben. Ohne mich wärest du hoffnungslos verloren. Darum klopfe ich an deine Herzenstür. Ich freue mich jedes Mal auf’s Neue, wenn du mir öffnest, wir zwei Zeit zusammen verbringen, uns austauschen...

Willst du einmal über das alles nachdenken?


Annegret Vietor



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