Wenn die Nacht vorbei ist
- Gesellschaft & Soziales -





Wenn die Nacht vorbei ist




Normalerweise sollte es einen erfreuen, wenn man an einem schönen Frühlingsmorgen erwacht und die ersten Sonnenstrahlen Lust auf den neuen Tag machen. Nicht aber, wenn man Depressionen hat. Ich habe keine dauerhafte, krankhafte Depression. Sondern depressive Schübe stellen sich bei mir anlassbezogen ein. Wenn irgend etwas Negatives im Leben passiert, im privaten oder beruflichen Bereich, dann fängt so eine Phase an. Sie kann mehrere Wochen lang andauern. Dann fängt das Grübeln an, die Machtlosigkeit das Geschehnis aus dem Kopf zu kriegen. Oder aus der Seele. "Meine Seele ist sehr betrübt", heisst es in der Bibel. Man kann problemlos auch an etwas anderes denken, sich vorübergehend mit etwas anderem beschäftigen, doch dieses Gefühl einer betrübten Seele überdeckt alles. Das ist einfach immer da, den ganzen Tag, und es lässt einen einfach nicht los.
Ich bin in solchen Phasen daher immer sehr froh, wenn ich müde genug bin, um einzuschlafen. Im Schlaf ist die Depression nicht ganz so schlimm. Glücklicherweise kann ich noch einigermaßen schlafen, wenn auch nur sehr leicht und mit Unterbrechungen. In den Schlafphasen kurz vor dem Aufwachen ist der Schmerz der Seele selbst im Schlaf spürbar. Doch es ist immer noch ein Segen noch nicht aufgewacht zu sein, sondern sich noch im halbwegs bewusstlosen Zustand zu befinden.

Doch wenn die Nacht endgültig vorbei ist, dann ist mir klar, dass jetzt wieder ein Tag beginnt, der keine Freuden für mich bereithält und an dem ich bis zur nächsten Nacht den Seelenschmerz als ständigen Begleiter haben werde. Die Antriebslosigkeit ist bei mir immer sehr ausgeprägt. Ich kann mich zu nichts aufraffen. Die Gedanken kreisen, immer und immer wieder um die Angelegenheit, um deretwillen ich die Depressionen bekommen habe. Es ist so, als würde man das selbe Brot immer und immer wieder schmieren, ohne es je zu essen. Die Butter lässt sich schließlich immer noch irgendwie anders verteilen, kein Zustand will passen, hinten und vorne und an den Seiten stimmt es nie völlig. So ist das auch bei den Gedanken. Man kaut alles nochmal durch, zum zehnten, zum zwanzigsten und zum hundertsten Mal. Man kann es nicht abstellen. Wenn doch mal eine Abwechslung kommt, ein Anruf zum Beispiel, dann kann man sagen, was man will und gesagt bekommen, was man will - im Hintergrund ist immer dieser Schmerz, diese Resignation und Traurigkeit. Das Telefonat ist eine reine Tortur. Warum bin ich überhaupt rangegangen? Warum musste ich heute Morgen aufwachen?

Leider bin ich generell ein Mensch, der alles in sich hineinfrisst, sehr introvertiert. Da ist man schon sehr anfällig für depressive Phasen. Manchmal beneide ich meinen kleinen Sohn, der noch so unbeschwert durch die Welt geht. Ich versuche alles, ihn meinen Schmerz nicht spüren zu lassen. Und tatsächlich ist er derjenige, der manchmal, in lichten Augenblicken dafür sorgt, dass ich alles andere rundherum vergessen kann. Dann ist sogar die Seele still. Ja, Kinder sind ein Segen. Doch dann denke ich wieder, dass sie auch nicht dazu erschaffen wurden, um der Mutter den Schmerz zu lindern. Aber doch tun sie es, ganz natürlich und ohne Hintergedanken. König Saul aus dem Alten Testament litt auch unter Depressionen. Ihm hat Musik geholfen. Oft ließ er sich etwas vorspielen oder vorsingen. Dann verließen ihn die Geister der Trübsal wieder. Doch zu Musik kann ich mich nicht aufraffen. Das ist es ja. Es gäbe einige Lieder, die mir gefielen, aber ich zögere sie zu spielen. Warum? Vielleicht weil ich denke, dass mein Zustand dann auf unnatürliche Weise verbessert würde. Eigenartige Sicht, nicht wahr? Da leide ich lieber, weil ich denke, das ist authentischer, weil nur durch reines Musikhören die Zustände ja auch nicht anders werden. Werden sie auch nicht. Aber vielleicht ändert sich meine Sicht auf das Ganze, vielleicht kann ich alles etwas gelassener betrachten. Mal sehen, vielleicht werde ich mir jetzt doch ein schönes Lied anhören. Am besten hörte es nie auf und am Ende stünde ich als Erlöste vor dem Herrn.



© Inge








Startseite: www.christliche-autoren.de
Übersicht gesellschaftspolitische Texte: Politik und Gesellschaft
Übersicht Liebesgedichte: Liebesgedichte


In christliche-autoren.de suchen:

www.christliche-autoren.de - Ein evangelistisches Projekt gläubiger Christen.
In Kooperation mit christliche Texte & Bibelleser & Liebesgedicht