War Jesus Mensch oder Gott?
- Oder war er beides zugleich? -





War Jesus Mensch oder Gott?




Oder war er Gott und Mensch zugleich?

Jesus = Gott

Mein Glaube sagt mir, dass Jesus Christus Mensch und Gott zugleich war. "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen", sagt Jesus uns im Neuen Testament (Johannes 14,9). Aber man muss zugeben, dass es über diese Frage schon so manchen Streit in der Kirchengeschichte gegeben hat.


Wer war Jesus?

Während in Rom der Kaiser Trajan regierte, zwischen den Jahren 98 und 117, starb in Ephesus, einer bedeutenden Hafenstadt an der Küste der heutigen Türkei, ein alter Mann. Er war Christ, genauso wie die Menschen, die an seinem Sterbebett um ihn trauerten. Aber dieser Mann war ein besonderer Christ. Er war der letzte Mensch, der Jesus von Nazareth noch erlebt hatte. Nach seinem Tod gab es, einmal abgesehen von den Jüngern, denen Jesus kurz nach seinem Tode als Auferstandener erschien, keinen Augenzeugen mehr - keinen Menschen, der aus eigener Erfahrung und Anschauung etwas über Jesus von Nazareth berichten konnte. Der Mann hieß Johannes - Apostel Johannes.

Er hat uns das nach ihm benannte Johannes-Evangelium hinterlassen. Er wird daher auch Evangelist Johannes genannt. Auch das apokalyptische Buch der Offenbarung stammt aus seiner Feder.

Seit der Apostel Johannes tot ist, hat noch jede neue Menschengeneration bis hinauf in unsere Zeit eine Antwort auf die Frage gesucht: Wer war Jesus von Nazareth? Bis heute hat niemand eine Antwort gefunden, die alle Frager zufrieden stellt. Diese entscheidende Frage hat mehr als einmal den Gang der Weltgeschichte beeinflusst. Und die Antworten waren so unterschiedlich, wie die Menschen verschieden waren, die fragten.
Als in Amerika während der Hippie-Zeit »Blumenkinder« mit lang-wallenden Haaren herumgingen, bildeten Menschen, denen das nicht recht war, Jesus mit einer kurz geschorenen Armee-Haartracht ab. Und bei uns in Deutschland gab es zur Zeit des Dritten Reichs sogar Theologen, die allen Ernstes zu beweisen versuchten, dass Jesus kein Jude, sondern arischer Abstammung gewesen sei.
Durch die Evangelien erfahren wir aus erster Hand etwas über Jesus. Der Apostel Paulus, einer der frühesten christlichen Autoren, hatte zudem seine berühmte Vision auf der Reise nach Damaskus, als der schon gekreuzigte, auferstandene und in den Himmel aufgefahrene Jesus ihm in einem Licht erschien.

Streit und Spaltungen



Unter den Religionsstiftern hat Jesus eine besondere Stellung. Für die Christen in der ganzen Welt ist er nicht nur ein Prophet, nicht bloß ein von Gott inspirierter Mensch. Nein, er selbst ist Gott. Gott in der Gestalt eines Menschen.
Es gibt verschiedene Religionen, in denen Menschen verehrt werden, die zu Göttern wurden. Sogar die römischen Kaiser wurden ja als »göttlich« gefeiert. Das Christentum ist aber die erste Religion, in der Gott - der Schöpfer des Weltalls - die Gestalt eines Menschen annimmt. Das ist der Kein des christlichen Glaubens und die Grundlage, die Ursache der hitzigen und manchmal gewalttätigen Kontroversen, die es gab, während sich dieser Glaube entwickelte.
Von den frühesten Zeiten des Christentums an wurde Jesus Christus mit Bezeichnungen versehen, deren Zweck es war, den Menschen ein bestimmtes Bild von ihm zu vermitteln. Der Apostel Paulus nennt ihn »Gottes Sohn«. Dieser Name verbindet Jesus direkt mit Gott im Verhältnis eines Sohnes zu seinem Vater. Dieses Verhältnis, sagte Paulus, ist so eng, dass Jesus für Gott sogar das Wort »Abba« gebraucht. Dieses Wort bedeutete in der aramäischen Sprache - der Umgangs- und Alltagssprache jener Zeit in Palästina - nicht etwa Vater, sondern Papa. Paulus nennt Jesus auch Kyrios. Dieses griechische Wort bedeutete Herr. Es wurde aber auch benützt, um in den griechischen Übersetzungen des Alten Testaments Gott zu bezeichnen. Daraus wird klar, dass die Menschen, die Paulus zuhörten, unweigerlich Jesus mit dem Namen Gottes in Verbindung bringen mussten.

Der Evangelist Markus, der Verfasser des Markus-Evangeliums, nannte Jesus »Menschensohn«. Die Leser, für die das Markus-Evangelium bestimmt war, nämlich Christen jüdischer Abstammung, kannten diesen Begriff sehr gut. Im Alten Testament, im Buch Daniel, wird der Messias, der Gesandte Gottes und Erlöser Israels, ebenfalls »Menschensohn« genannt.
Von Beginn an wurde Jesus von seinen Anhängern »Christus« genannt. Das ist griechisch und bedeutet wörtlich »der Gesalbte« - im übertragenen Sinn aber auch Messias. Die Christen, die diesen Namen gebrauchten, müssen also überzeugt gewesen sein: Er ist der Auserwählte, er das Leiden des jüdischen Volkes beenden wird.
Von den frühen Christen (mit Ausnahme der ursprünglichen Judenchristen in Palästina) waren die meisten Frauen, Sklaven oder Menschen ohne römisches Bürgerrecht. Das bedeutet: Die christliche Religion war für die Angehörigen der unterdrückten Schichten besonders attraktiv. Solche Schichten gab es überall. In kurzer Zeit entstanden christliche Gemeinden in Kleinasien, Nordafrika, Griechenland, Rom selbst und sogar in Spanien. Keiner der neuen Christen hatte Jesus zu seinen Lebzeiten in dieser Welt kennen gelernt oder konnte ihn noch kennen lernen. Das hatte Folgen. Viele hielten die Person des Erlösers einfach für eine ausgedachte Figur oder für den Teil einer kulturellen Überlieferung. So begannen sich ganz verschiedene Meinungen zu bilden.
Meinungsverschiedenheiten sind demnach so alt wie die Kirche selbst. Schon in den ersten Jahrzehnten gab es Spaltungen in der Gemeinschaft. Der Apostel Paulus schrieb an die Korinther, also die Christen in Korinth, über eine solche Spaltung. Die war gleich mehrfach. Einige Gemeindemitglieder nannten sich Paulisten, andere Christisten, wieder andere Apollisten (nach einem Bischof namens Apollos) und wieder andere Kephisten - nach Petrus oder auch Kephas, der in der Gemeinde eine führende Rolle spielte.
Der Apostel Paulus hörte von diesen Abspaltungen und schrieb energische Sätze dagegen: »Wie?«, fragte er. »Ist Christus nun zertrennt? Ist denn Paulus für Euch gekreuzigt? Oder seid Ihr auf des Paulus Namen getauft?« Für die Entwicklung des Christentums waren solche Missverständnisse freilich wenig wichtig. Sie ließen sich durch ein Apostelwort leicht korrigieren. Das war nicht möglich, wenn es um die zentrale Frage ging: Wer war Jesus Christus?

Ein englischer Philosoph, Alfred North Whitehead, hat erklärt, warum diese Frage auch von Theologen - also gelehrten und in Kirchensachen erfahrenen Männern - nicht ohne weiteres entschieden werden konnte. Der Philosoph schrieb nämlich:
»Buddha gab seine Lehre, um die Welt zu erleuchten - Jesus gab sein Leben. Die Lehre des Christentums ist Aufgabe der Christen.« Das heißt: Das den Christen anvertraute Gut – das Evangelium – muss verbreitet werden bis in die tiefsten Winkel dieser Welt. Und das geschieht. Wohl kaum jemand, der noch nie etwas von Jesus gehört hätte. Niemand hat die Geschichte so beeinflusst wie er.

Gnostiker und andere Glaubensauffassungen



Die wichtigste Frage war dabei: War Jesus ein Mensch oder ist er Gott? In den ersten Jahrhunderten gab es drei ganz verschiedene Antworten auf diese Frage,
Bevor sie genannt werden, muss daran erinnert werden, dass es vor fast 2000 Jahren noch keine Massenmedien gab - keine Zeitungen, selbstverständlich auch kein Internet. Informationen gab es nur handschriftlich oder mündlich. Neuigkeiten verbreiteten sich nur so schnell, wie Schiffe segeln oder rudern, Menschen reiten oder laufen konnten. Geschichtsschreibung und Biographie waren keine exakten Wissenschaften wie heute. Die Menschen lebten in einer mythologischen Welt - sie war voll von Zauberei, Dämonen und Aberglauben jeder Art. Geschichten über Wunder oder übernatürliche Ereignisse weckten nicht Zweifel, wie meistens heute, sondern wurden wortwörtlich geglaubt. Was und wie die Menschen dachten, wurde davon beeinflusst, wie sie sich die Welt vorstellten. Und in dieser Welt spielten Geister, Wunder, Hexerei und anderer Spuk eine große Rolle.

Da überrascht es uns, wenn wir nun erfahren, wie sich die Menschen damals die Natur des Jesus Christus vorstellten. Es gab drei Antworten, wie schon gesagt, drei Richtungen also. Erstens den Modalismus, zweitens den Adoptionismus und drittens den Subordinationismus. Alle drei Wörter klingen leblos, abstrakt, hochgestochen. Aber in jenen Zeiten waren sie frisch und lebensvoll - so lebensvoll, dass zwischen den Anhängern jeder der drei Richtungen immer wieder heftiger Streit ausbrach.
Die Anhänger des Modalismus wurden im Altertum auch »Gnostiker« genannt. Gnostiker sind Menschen, die überzeugt sind, eine besondere Erkenntnis zu besitzen, erlösendes Wissen für »Eingeweihte« über Gott und Welt. Gnostiker gibt es auch heute. Die Anthroposophen gehören dazu, ebenso die Theosophen und die Rosenkreuzer. Gnostiker glauben daran, dass es nur ein Weltall gibt, dass in diesem Ordnung herrscht, und dass in dem geordneten Weltall Gott das Ganze und die Einheit darstellt. Die Gnostiker der Ur-Christenzeit waren überzeugt: Jesus ist einfach nur ein Aspekt, ein »Modus«, eine von vielen möglichen Erscheinungsformen Gottes. Man kann Jesus von Gott nicht trennen, denn Jesus löst sich im Göttlichen auf.
Es ist bezeichnend, dass der Apostel Paulus in seinem Brief an Timotheus auf die Gnosis eingeht:

„Timotheus, bewahre das anvertraute Gut, indem du die unheiligen leeren Reden und Einwände der fälschlich sogenannten Erkenntnis*) meidest, zu der sich einige bekennen und von dem Glauben abgeirrt sind! — Die Gnade sei mit euch! (1 Tim. 6,20.21)

*) Dies ist sehr wahrscheinlich ein Hinweis auf die Irrlehre der Gnosis (= Erkenntnis), deren Vertreter in urchristlichen Zeit Eingang in die christlichen Gemeinden suchten. Die Gnosis machte den Versuch, Gott und die Welt denkend zu erklären.

Was heißt das nun praktisch?
Nichts anderes als dies: Die Gnostiker bestritten, dass Jesus ein richtiger Mensch gewesen sei. Ein Gnostiker, er hieß Valentinian und lebte im zweiten Jahrhundert, drückte sich am deutlichsten aus. Er behauptete »Jesus ging durch den Körper seiner Mutter Maria wie das Wasser durch einen Kanal.« Das heißt: Das ungeborene Kind Jesus hatte mit seiner Mutter gar nichts zu tun.
Jetzt stand die junge Kirche vor einem Problem. Wenn die Gnostiker Recht hatten, wenn Jesus gar kein richtiger Mensch gewesen war, dann verlor die ganze Kreuzigungsgeschichte ihren Sinn. Darin geht es um Demütigung, um Schmerzen, um schlimmstes Erleiden und um die anschließende Auferstehung von den Toten. Wenn Jesus kein richtiger Mensch war, dann war - dann ist - er Gott, Wie aber kann Gott leiden, wie kann Gott körperliche Schmerzen empfinden? Christen, die nicht Gnostiker waren, fanden den Modalismus gefährlich - gefährlich für den Bestand der Kirche. Die Gnostiker wurden gezwungen, die Kirche zu verlassen. Hier zeichnet sich bereits ab, dass die Kirchen nicht identisch sein müssen mit dem Glauben an Jesus Christus. Nicht der ist ein Christ, der in einer Kirche Mitglied ist, sondern derjenige, der wahrhaft an Jesus Christus, den Sohn Gottes, glaubt und ihm nachfolgt. Ein Christ kann durchaus in einer kirchlichen Gemeinde Mitglied sein, und oft ist dies sinnvoll, doch müssen tut er es nicht. Das Gezänk der Kirchen sollte also niemanden davon abhalten, Jesus als persönlichen Herrn und Erlöser anzunehmen.

Am anderen Extrem standen die Adoptionisten. Nach ihrer Überzeugung war Jesus ein ganz normaler Mensch, der sich von anderen Menschen nur dadurch unterschied, dass er ein Leben ohne Sünde geführt hatte. Zu einem bestimmten Zeitpunkt adoptierte Gott Jesus als seinen Sohn - erst in diesem Moment wurde er Christus.
Auch das ging einigen frühen Kirchenvätern entschieden zu weit. Diese störten sich an zwei Dingen. Erstens: Jesus konnte einfach nicht ein ganz gewöhnlicher Mensch gewesen sein. Und zweitens: Wenn Jesus nur ein Mensch war, dann war er nicht ewig, dann hatte sein Leben erst im Augenblick der Zeugung begonnen.
Der berühmteste Adoptionist war Arius. Er stammte aus der Stadt Antiochien in Kleinasien (heute: Türkei), Was Arius glaubte, hat er selbst aufgeschrieben: »Der Sohn ist Gott nicht gleich. Er ist auch nicht gleichen Wesens mit ihm. Er ist vor Zeiten und Äonen durch den Willen Gottes geschaffen, doch nicht so, dass er gewesen wäre, ehe er geschaffen wurde... Gott hat niemand, der ihm gleich oder ähnlich oder von gleicher Herrlichkeit wäre ... Christus ist ein Geschöpf aus dem Nichts.«
Arius glaubte das nicht allein. Viele andere Kirchenväter hatten die gleiche Überzeugung. Die Kirche war in dieser Frage tief gespalten.
Die Spaltung wurde beendet, als die Subordinationisten siegten. Subordination bedeutet Unterordnung. Die Subordinationisten dachten es sich so: Jesus ist Gott und Mensch; während er Mensch war, hat sich seine Göttlichkeit freiwillig seiner menschlichen Natur untergeordnet. Diese Antwort auf die große Frage »Gott oder Mensch?« erwies sich als praktikabler Kompromiss. Sie ist heute die offizielle Lehre der christlichen Kirche. Danach hat Jesus immer existiert. Er ist eine Form Gottes und wurde in der Gestalt eines Menschen auf die Erde geschickt, um die Menschheit zu erlösen. In dieser Gestalt wird ihm der Name Logos beigefügt - ein griechisches Wort, das »Wort« bedeutet. Die Subordinationisten beriefen sich auf das Johannes-Evangelium, in dem es heißt: »Das Wort ist Fleisch geworden.« So glaubten sie, dass Jesus gleichzeitig Gott und Mensch war und ist.

Das Konzil von Nicäa

Wir sind jetzt am Beginn des vierten Jahrhunderts nach Christus. Die Gnostiker haben fast ihren ganzen Einfluss in der Kirche verloren. Sie sind ausgeschaltet. Weiter in der Kirche sind die Adoptionisten. Ihr wortgewaltiger Führer ist Arius. Ihm gegenüber stehen die Subordinationisten, an ihrer Spitze ein Bischof namens Athanasius. Noch ist die Kirche eine Untergrundorganisation im Römischen Reich. Es ist illegal, ein Christ zu sein - wenn auch die örtlichen Behörden manchmal ein Auge zudrücken. Trotzdem ist schon jeder zehnte Einwohner des Römischen Reiches Christ. Alle Verfolgungen durch den Staat und aufgebrachte Anhänger anderer Glaubensrichtungen haben das Anwachsen der Kirche nicht verhindern können. Sie erweist sich als anziehend, vor allem bei den unteren Schichten der Bevölkerung.

Nun geschieht etwas Überraschendes. Rom bekommt einen neuen Kaiser, der Konstantin heißt. Als er sein Amt übernimmt, steht er vor einer beinahe aussichtslosen Situation. Das Reich: ebenso riesig wie korrupt. Die Grenzen: immer unsicherer, bedroht von Hunnen hier und Germanenstämmen dort. Das öffentliche Leben: ein Chaos von Parteiengezänk und Machtintrigen.
Der neue Kaiser ist ein begabter Mann mit einem klaren Kopf. Er sagt sich: Wir brauchen ein stabilisierendes Element im Staat. Wir brauchen eine Kraft, die imstande ist, im Innern des Reiches für Einheit zu sorgen. Es gab nur eine Kraft, die in Frage kam: die christliche Kirche. Also hatte Kaiser Konstantin die Idee, die man mit folgendem Slogan ausdrücken kann: »Ein Kaiser, ein Reich, eine Kirche.« Nur: Diese Kirche war selbst nicht einig und geschlossen, sie war hin- und her gerissen durch den Kampf zwischen Arianern und Anti-Arianern. Da berief der Kaiser ein Konzil ein. Ein Konzil ist eine Versammlung der Bischöfe - aller Bischöfe. Das erste Konzil der Weltgeschichte versammelte sich am 20. Mai des Jahres 325 in der Stadt Nicäa. Der Kaiser besaß dort einen Sommerpalast, den er als Tagungsstätte zur Verfügung stellte. Konstantin selbst hielt die Eröffnungsrede - in lateinischer Sprache - und gab darin seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Bischöfe sich einigen würden.
Diese Versammlung hatte ein Ergebnis, das heute in der katholischen Kirche - und auch in vielen protestantischen Kirchen - offizieller Gottesdiensttext ist: das nicäanische Glaubensbekenntnis. Darin wird der Standpunkt der Arianer zurückgewiesen.*)

*) Im nicäanischen Glaubensbekenntnis heißt es: Und (ich glaube) an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, der vor aller Zeit aus dem Vater geboren wurde. Gott von Gott; Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.
Das Konzil verlief in einer hektischen Atmosphäre. Es wurde intrigiert, es wurde taktiert, sogar Verrat wurde begangen. Aber der Kaiser setzte sich durch. Die Kirche war nun eine Einheit. Den Arianern blieb nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Exkommunikation (Ausschluss aus der Kirche).
Unglücklicherweise blieb die Kirche aber nicht einig - unglücklicherweise für Konstantin und seine kaiserlichen Nachfolger. Der Machtkampf zwischen Arianern und Subordinationisten ging noch 100 Jahre lang weiter. Und das, obwohl die beiden Parteien, was ihre religiösen Überzeugungen betraf, nun gar nicht mehr so weit auseinander waren. Aber Religion war damals, was heute die Politik ist. Sogar die Menschen auf der Straße unterhielten sich über diese Probleme und vertraten den Standpunkt ihrer jeweiligen Partei.

Der Kirchenvater Gregor von Nyassa war Teilnehmer eines späteren Konzils in Konstantinopel. Was er dort erlebte, hat er selbst berichtet: »Alles ist voller Leute, die von unbegreiflichen Dingen reden, in Hütten, auf Straßen, Plätzen, Märkten und Kreuzwegen. Erkundige ich mich, wieviel Obolen (Obolus = griechische Kupfermünze) ich zu zahlen habe, philosophieren sie über Geborenes und Ungeborenes. Wünsche ich den Preis eines Brotes zu erfahren, so antwortet einer: Der Vater ist größer als der Sohn. Ich frage, ob mein Bad schon fertig ist, da heißt es: Der Sohn ist aus dem Nichts erschaffen worden.«
Aber trotz aller Kontroversen wurde die Kirche immer stärker, und die orthodoxe Glaubensrichtung setzte sich durch. Die Arianer verloren ihre Bedeutung, der Subordinationismus wurde zur stärksten Kraft in der Kirche.

War das nun das Ende der großen Auseinandersetzung um die Frage »Gott oder Mensch«?



Keineswegs. Im fünften Jahrhundert fing der Streit von vorne an. Das Problem war jetzt: Wie verhält sich der Gott Christus zum Menschen Jesus? Neue Parteien bildeten sich.
Auf der einen Seite standen die sogenannten Monophysiten. Ihr Anführer war ein hochbetagter Bischof namens Eutyches, der am ganzen Körper zitterte und in Tränen ausbrach, als man ihm sagte, er sei exkommuniziert worden. Die Monophysiten glaubten: In der Natur des Jesus Christus sind die Göttlichkeit und die Menschlichkeit vollständig miteinander vermischt. Diese Überzeugung - der gnostischen ähnlich - schwächte in den Augen der offiziellen Kirchenvertreter die menschlichen Eigenschaften des Mannes Jesus zu sehr ab und betonte die Göttlichkeit zu sehr. Der Monophysitismus wurde zurückgewiesen.
Auf der Gegenseite gab es die Nestorianer. Nestorius, nach dem sie sich nannten, war Patriarch von Konstantinopel gewesen, also ein Bischof mit hohem Rang. Nestorius weigerte sich, Maria »Mutter Gottes« zu nennen, Nach seiner Meinung verdiente sie nur den Titel »Mutter Christi«. Das sollte die Unterscheidung zwischen Gott und Christus deutlich machen. Mit Vehemenz verdammten die Bischöfe an der Kirchenspitze auch diese Glaubensrichtung. Der Grund: Der Nestorianismus unterschied zu scharf zwischen dem Menschen und dem Gott. Nicht weniger als ein Vierteljahrhundert lang wogte der Kampf zwischen den Anhängern der Mutter Gottes und den Gefolgsleuten der Mutter Christi. Wieder zeigte sich die Kirche gespalten.
Nicht nur die Kirche. Zur selben Zeit drohte das Römische Reich vollständig zusammenzubrechen. Die politische Situation war chaotisch. Eine ganze Reihe schwachköpfiger Kaiser bestiegen den Thron in Rom (West-Rom) und den in Konstantinopel (Ost-Rom) - nur um nach kurzer Zeit ermordet und durch einen ebenso schwachköpfigen Nachfolger ersetzt zu werden. Die christliche Kirche stand plötzlich als die einzige verlässliche Größe im ganzen Reich da. Das hatte eine schwerwiegende Folge. Rein kirchliche Probleme wie die Frage nach der Natur von Jesus bekamen eine machtpolitische Bedeutung. Ein ehrgeiziger Kirchenfürst, der sich mit seiner Überzeugung durchsetzte oder die richtige Partei unterstützte, konnte eine steile Karriere machen - auch im Staat.

Das zeigte sich, als ein neuerliches Konzil in die Stadt Ephesus einberufen wurde - dieselbe Stadt in der 300 Jahre zuvor der Apostel Johannes gestorben war, der letzte Zeitgenosse von Jesus Christus. Einberufen war der Bischof von Alexandria, Kyrill, ein Feind des Patriarchen Nestorius. Der Meinungsstreit verlief sehr kurz. Als die letzten Kirchenväter eintrafen, unter ihnen viele Anhänger von Nestorius, hatte Kyrill längst abstimmen lassen - und die Wahl natürlich gewonnen. Der Nestorianismus war» erledigt«, seine Anhänger sahen sich exkommuniziert.
Auch dabei blieb es natürlich nicht. Im Jahr 451 kam es zu einem neuen Konzil. Die Bischöfe trafen sich in einem Vorort von Konstantinopel, in Chalcedon. Diesmal wurden sowohl die Nestorianer verdammt als auch die Monophysiten. Die Kirchenväter entschieden sich für eine völlig neue Idee. Sie war ein Kompromiss. Der Beschluss hieß: Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Diese beiden Naturen sind in ihm »unvermischt und unverwandelt« (das ging gegen die Monophysiten). Sie sind aber auch »ungetrennt« und »ungesondert« (das ging gegen die Nestorianer).

Das hätte die Frage nun endgültig klären können. Aber spätere Generationen von Christen stießen auf immer neue Probleme, Im siebten Jahrhundert stritt man sich um den Willen von Jesus: Hatte er einen Willen? Hatte er zwei Willen? Konnte also der Mensch Jesus anders entscheiden als der Gott? Im achten Jahrhundert erregten sich die Gemüter über Abbildungen von Jesus: Darf man Jesus malen, oder ist das Gotteslästerung? Als die letzten Überreste des Römischen Weltreichs zerschlagen wurden, entwickelten sich Ost und West immer weiter auseinander, bis die griechische Kirche und die römische sich trennten und von da an eigenständige Organisationen bildeten.
Aber: Wer Jesus war, wer Jesus ist, was er für die Menschen bedeutet - diese Frage ging über Konzilsäle, philosophische Debatten und politische Absichten weit hinaus. Einzelne Menschen haben Jesus immer wieder neu entdeckt - und sich um die offizielle Lehrmeinung der Kirche nicht gekümmert. Thomas von Kempen zum Beispiel hatte den Gedanken, das ganze Leben sollte eine Nachahmung, eine Nachfolge Christi sein. Eine biblisch absolut richtige Einstellung. Franz von Assisi sagte das nicht nur, sondern lebte danach. Der Reformator Martin Luther schrieb Bücher voll mit der Idee, dass Christus menschlich sei und in Wirklichkeit als Mensch gelitten habe.

Jede Generation interpretierte Christus neu. Im 19. Jahrhundert fanden es Geschichtsforscher wichtig, dem geschichtlichen Jesus näher zu kommen, dem Mann Jesus also, der in Palästina gepredigt hat. Im 20. Jahrhundert nahmen Psychoanalytiker den psychologischen Christus wichtig. Und ein weltbekannter Theologe, Rudolf Bultmann, wollte von der Person Jesus gar nicht mehr viel hören und interessierte sich lieber für den »Mythos Christus«. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Bücher des französischen Jesuitenpaters Pierre Teilhard de Chardin weltbekannt. Für ihn wurde Christus zum Symbol der Evolution. Das bedeutet: Alles Leben und alles Lebendige entwickelt sich in Richtung auf die Christus-Natur. Jeder dieser Autoren beschrieb Jesus nach seinem eigenen, ganz persönlichen Ideal.

Und nun - was wissen wir wirklich über ihn? Er hat kein Buch geschrieben. Er hat kein Haus gebaut. Er hat kein Bild gemalt. Wir wissen nur, dass er gelebt hat - und auch das wissen wir nur, weil es uns andere Menschen gesagt haben. Er ist ein Geheimnis, und er ist dennoch der menschlichste aller Menschen. Ungezählte Male wurde die Weltgeschichte, von Menschen beeinflusst, die zu definieren versuchten, wer Jesus Christus ist. Darüber wurde Tausende von Male diskutiert, daran haben sich die schärfsten Verstandeskräfte versucht - bis hin zur Haarspalterei. Sogar Macht wurde eingesetzt und Blut vergossen. Aber hat uns irgend jemand sagen können, wer er ist? Das kann uns letztendlich nur Gott selbst durch seinen Heiligen Geist beantworten. Wer Jesus Christus als seinen Erlöser angenommen hat, wer aufrichtig an ihn glaubt, der wird entdecken, dass Jesus tatsächlich Mensch und Gott zugleich war. Er ist der Herr, das Alpha und das Omega, letztlich der Sinn alles Lebens.




Peter Mooser




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