Dein Wille geschehe
- Autorenwettbewerb Platz2 -








Dein Wille geschehe


(Von Michael Finke)




Es dämmerte bereits, und ich wusste, dass ein noch langer Weg vor mir lag.
Doch war die allmählich hereinbrechende Dunkelheit nichts, was mein Herz fürchtete, auch nicht die Ungewissheit, ob ich ein Obdach finden würde für diese Nacht: schließlich trug ich meine Patchwork-Decke bei mir, die mich schon so manches Mal vor der Kälte der Nacht geschützt hatte.
Nein, die Natur kannte ich gut genug um zu wissen, dass ich sie nicht fürchten musste: manche Nacht schon hatte ich zwischen Schlangen und Skorpionen verbracht, ohne es zu wissen, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Es gab einfach ein großes Vertrauen in mir, dass mir nichts geschehen könne. Und wenn Gott es dennoch wollte: nun denn - Sein Wille geschehe.
Es war etwas anderes, das mir so viel Unbehagen bereitete, dass ich immer wieder in die Wüste floh: die Menschen. Auch wenn ich mich mehr und mehr zurückgezogen hatte von der Lautheit der Welt, so verging doch kein Tag, an dem ich nicht die Schrecken wahrnehmen musste, die sie verbreiteten; und ich kannte keine Nacht, die so dunkel schien wie die Finsternis, die über der Menschheit lag.

So war ich auch heute wieder einmal tief in meine Gedanken versunken: Gedanken über unsinnige Kriege, über unnötige Vergiftung von Natur und Nahrung, und auch über unvernünftige Erfindungen, die den Menschen als Heil angepriesen wurden – und das alles nur, um die Habgier zu befriedigen: die der Erfinder ebenso wie die der ahnungslosen und getäuschten Käufer.
Als ich in der Ferne einen hellen Schein erblickte.

Auch wenn ich gelegentlich die Menschen floh – sie waren es, die ich wirklich fürchtete - und mich in die Einsamkeit der Wüste zurückzog, so ging doch etwas von dieser Helligkeit aus, das mich unwiderstehlich anzog. Oder war es einfach nur die Bequemlichkeit, die ein wärmendes Feuer versprach!? Denn das musste es meiner Erfahrung nach sein.
Ich dachte nicht weiter darüber nach und schritt auf diese erleuchtete Stelle zu. Und als ich mich bis auf wenige Schritte genähert hatte, blieb ich hinter einigen verdorrten Büschen stehen um zu erkennen, wer das Feuer wohl entzündet hatte; denn dass es ein solches war: soviel konnte ich von meinem Versteck aus sehen.
Gerade in diesem Augenblick trat ein Mann in den Lichtschein, und bei seinem Anblick schwand jeder Argwohn. Nicht nur, weil er mir ähnlich schien: einfach gekleidet in eine wollene Kutte, mit nichts bei sich als einer Decke, einem Wanderstab und der Bettelschale. Nein, es war nicht diese Äußerlichkeit - die auch ihn als Bettelmönch auswies, der auf den endlosen Straßen dieser Welt sich auf dem Weg befand -, die meine Bedenken überwand: trotz der sicheren Entfernung, aus der ich ihn noch immer beobachtete, war da ein Gefühl der Wärme, das von ihm auszugehen schien, nicht so sehr von dem Feuer; und es war mir, als umstrahle ihn selbst ein Glanz, der den der Flammen übertraf.
Ohne weiter zu zögern schritt ich auf ihn zu.
»Friede mit Dir, Bruder«, sprach ich ihn an.
»Und Friede Deinem Herzen«, antwortete er, und sah mich dabei offen und freundlich lächelnd an; gleichwohl schien es mir so sonderbar, dass mich das Gefühl beschlich, er habe all die Gedanken, die ich zuvor gewälzt hatte, mit diesem einen Blick durchschaut. Doch schon lud er mich mit einer Bewegung seiner Hand ein Platz zu nehmen, nahe bei dem wärmenden Feuer.
»Wohin führt Dein Weg, Bruder?« fragte er mich, und ich spürte, dass er tatsächlich seine Frage ernst meinte, dass es nicht nur die allgemein oberflächliche Höflichkeit war.
»In den Himmel, glaube ich.«
Mein Gegenüber schien nicht einmal verblüfft zu sein; vielmehr sah der Mann mich unbeirrt lächelnd an. Das aber verwirrte mich; denn gewöhnlich reagierten die Menschen befremdet auf diese Antwort, wohin mein Weg mich führe.
»Und in welchen Himmel?«
Meine Verwirrung wuchs. Und doch wusste ich ihm sogleich eine Antwort zu geben:
»Das ist mir gleichgültig.«
Bedeutungsvoll legte ich eine Pause ein.
Doch auch der Bettelmönch – denn nun war ich mir sicher, dass dieser Mann seines armseligen Besitzes wegen ein solcher sein musste – öffnete seinen Mund nicht, sah mich nur unentwegt freundlich und erwartungsvoll an.
»Siehst Du, Bruder – denn das bist Du mir -: mein Herr und Freund, der Christus Jesus, der auch mein Lehrer ist, der hat einst zu seinen Jüngern gesagt: >In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; sonst hätte ich zu euch gesagt: Ich gehe hin, eine Stätte euch zu bereiten<. Und darauf baue auch ich, daran glaube ich – und darin liegt all mein Hoffen und Vertrauen. Warum also soll ich mich um einen Platz im Himmel sorgen, wenn Er es ist, der mir eine Stätte bereiten wird – mehr benötige ich nicht zu wissen.«
Noch immer sah der Fremde mich lächelnd an, strich mit der Hand über seinen Bart, und eine tiefe, warme Liebe strahlte aus seinen Augen.
Gerade wollte ich mich nach seinem Namen erkundigen – denn wir hatten einander bisher nicht vorgestellt -, als er mich fragte:
»Wenn Du so viel Zuversicht und Vertrauen in den Christus Jesus hast: warum sehe ich dann so viel Trauer in Deinem Herzen?«.
»Ach, Herr ...« und ich erschrak, als ich meine Stimme hörte, die diesen Fremden so würdevoll ansprach, »es ist nicht mein Dasein hier auf der Erde, das mir Kummer bereitet, und ganz sicher nicht mein zukünftiges Leben – es ist all die Not und das Elend, das ich sehe!
Wie oft bete ich zum Herrn:

                                 „Mach mich zum Werkzeug deines Friedens,

                                dass ich liebe, wo man hasst,

                                dass ich ein Licht anzünde, wo es Nacht ist,

                                dass ich hoffe, wo man zweifelt;

                                dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt,

                                dass ich verbinde, wo man streitet.

                              

                               Nicht, dass ich geliebt werde, sondern, dass ich liebe;

                               nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich versteh."



Das ist es, was mein Herz bewegt. Da ist so viel zu tun, und doch habe ich oft nicht die Kraft dazu; und dann, statt zu helfen, fliehe ich die Menschen und ziehe mich in die Einsamkeit zurück.«
Und ich spürte, dass Tränen über meine Wangen liefen. Doch schämte ich mich ihrer nicht im Angesicht des Bruders.
Da legte der Mann seine Hand tröstend auf meinen Arm, und ich fühlte, wie Wärme mein Herz durchströmte.
»Ich, ich, ich!
Glaubst Du nicht, Freund und Bruder, dass Du Dich vielleicht ein wenig überschätzt?
Ich, ich, ich!
Glaubst Du wirklich, dass Du die Sorgen und Nöte dieser Welt - und damit meine ich auch ganz besonders die Sünden – auf Dich nehmen kannst, wie es Dein Herr mit den Sünden der Menschheit tat?
Ich, ich, ich!
Und dann fliehst Du die Menschen, flüchtest vor ihnen in die Einsamkeit der Wüste!«
Ich fühlte, wie ich errötete – denn dieser sonderbare Mönch hatte recht: wer war ich, dass ich glauben konnte, immer und überall helfen zu können!
Und plötzlich erkannte ich: hatte der Christus Jesus nicht bereits alles getan, was getan werden musste, um die Menschen dieser Welt zu retten - war die Erlösung nicht schon geschehen? Nur – jeder Einzelne musste sich entscheiden, sich selbst entscheiden sie anzunehmen!
Ich schämte mich zutiefst. Und fühlte die Selbstsicherheit in mir schwinden.
»Du achtest auf die gegenwärtigen Veränderungen in der Welt, Du siehst all die Kriege und die zunehmende Gewalt, die Menschen einander antun. Du siehst die Verrohung der Sitten und den Verfall des Anstands. Und es ist auch gut, dass Du das Übel dieser Welt erkannt hast und nun versuchen willst, dort zu helfen, wo es Dir möglich ist.«
Langsam kehrte wieder Zuversicht in mein Herz; und doch fühlte ich, dass der Fremde noch nicht das Wesentliche gesagt hatte, das er mir mitteilen wollte.
»Doch sage mir - wenn Du einmal die Welt um Dich vergisst, diese Sorgen und Nöte der anderen Menschen –: woher schöpfst Du neue Kraft? Was ist es, das Dir Freude bereitet und Dich stärkt?«
Und wieder musste ich nicht lange überlegen.
»Wenn ich fühle, dass der Geist in mir weht und webt; wenn ich erkennen darf, wie Er mich tiefer und tiefer einführt in Seine Weisheit und Wahrheit. Und vor allem, wann immer ich die Liebe Jesu fühlen darf, die mich für einen seligen Augenblick lang in die Gegenwart des Vaters entrückt … «
Abrupt unterbrach ich den Wortschwall, der aus meinem Mund gedrungen war; denn ich war drauf und dran gewesen zu sagen: so wie mich Deine Liebe gerade jetzt aus dem fließenden Strom der Zeit heraushebt.
Wir schwiegen für eine kleine Weile; dann erst antwortete der Fremde:
»Warum nur klingt Deine Antwort nun so verhalten: Dein Herz ist überzeugt davon, den Himmel gewonnen zu haben – und als Dank möchtest Du auf dieser Erde helfen, wo immer Du Not siehst und Elend.
Doch ganz offensichtlich bist Du Dir nicht sicher, immer in der Liebe Christi zu sein, bei dem was Du tust - und Dein Herz geht tatsächlich nicht fehl in seinem gelegentlichen Zweifel: denn Du verstehst es, um Dinge gebeten zu werden, die Dir zusagen. Dann aber ist es Deine Selbstherrlichkeit, die helfen will – und nicht der Wille des Vaters; darum fühlst Du Dich nachher matt und willst vor eben diesen Menschen fliehen!
Nimm das als untrügliches Zeichen dafür, dass Dir dann tatsächlich nicht die Kraft von oben gegeben ist und Du wahrhaftig nicht in der Liebe Deines Herrn gehandelt hast.«
Er schwieg, und ich fühlte die Wahrheit seiner Worte in mir wirken. Wie aber konnte ich unterscheiden zwischen meinem selbstherrlichen Wunsch zu helfen und dem Willen des Vaters?
Und wieder schien er meine Gedanken gelesen zu haben, als ich diese Worte aus seinem Munde hörte.
»Höre, Bruder: sorge mehr und mehr für die Menschen um Dich – in Demut; das ist der wahre Weg! Tu, was Du tun kannst; doch sieh ein, dass Du nicht mehr geben kannst, als Du selbst empfängst – und halte dann geduldig still in Deinem Verlangen zu helfen, im Vertrauen auf die Gnade und die Güte des Vaters.«
Wieder verstummten seine Lippen, als spüre er, dass seine Worte ihre Zeit brauchten, um in mein Herz zu dringen.
Dann, nach einer Weile, die mir wie die Ewigkeit schien, öffnete er wieder seinen Mund.
»Du musst, mit einem Wort, unterscheiden lernen zwischen dem Willen des Vaters und Deinem eigenen Wunsch.
Beginne damit, indem Du nicht beständig den Bitten der Menschen vorauseilst; denn damit überhebst Du Dich über sie! Und gerade dabei vergisst Du vor allem, dass Du selbst nur ein Mensch bist, der aus der Kraft von oben lebt.«
Er verstummte und sah mich durchdringend an.
»Denn ich fürchte beinahe, dass Du mit all Deinem guten Willen und Deinen Gebeten um Frieden im Grunde immer wieder versuchst, dem Handeln Gottes entgegenzuwirken …«
Das waren harte Worte, und empört öffnete ich den Mund, um Jenem das Wort zu verbieten. Doch der hob nur beschwichtigend seine Hand, die bisher auf meinem Arm verweilt hatte. Und es lag eine solch majestätische Kraft in seiner Bewegung, dass ich innehalten musste – wie gebannt war ich.
» … anstatt zu erkennen, dass Gott alles bewirkt – dass alles dies, das Du siehst, geschehen muss nach dem Ratschluss Seiner Weisheit, dass die heutige Zeit klar auf das Ende zuläuft und die Wiederkunft des Christus Jesus nahe ist.«

Gelähmt war ich und bis in das Innerste meiner Seele getroffen.
So hatte ich die Dinge, die ich bemängelte und kritisierte, noch nie betrachtet. Konnte es sein, dass ich mich dermaßen geirrt hatte … dass ich tatsächlich den Willen Gottes beanstandete?
Wieder legte er mir seine Hand auf den Arm, und erneut spürte ich Wärme durch meinen Körper strömen – und Liebe, unendlich gütige Liebe.
»Und nun frage ich Dich: was würdest Du Dir denn erbitten, wenn Du einen Wunsch bei Gott frei hättest?«
Noch immer fühlte ich diese Wärme, noch immer strömte diese Liebe durch mich, die von seiner Hand auszugehen schien.
Und mit einem tiefen Seufzen antwortete ich:
»Vater, Dein Wille geschehe …«



Als ich erwachte, fand ich mich in meinem Bett wieder – und erschrak: war alles nichts als ein Traum gewesen?!

Doch dann verspürte ich diesen tiefen Frieden in mir …






Michael Finke






• Für www.christliche-autoren.de


www.christliche-autoren.de - Ein evangelistisches Projekt gläubiger Christen.
In Kooperation mit Lichtarbeit-Verführung & Aussteigerinfo & Bibel-Kompakt