Die christliche Jugend der 20er Jahre
- Erbauliches aus der Zeit vor 80 Jahren -



Der Schlag auf die rechte Wange - Eine Begebenheit aus dem Leben eines Fabrikarbeiters -
Artikel in der christlichen Jugendzeitschrift "Die Tenne" aus dem Jahr 1924






Abbildung "Der Schlag auf die rechte Wange"



Es war an einem Sonntagnachmittag. Wir redeten an demselben von den "Rechten, die Jesus, unser Herr, auf das menschliche Herz und Gewissen besitzt". Bereits waren allerhand gute Bemerkungen gefallen, als sich plötzlich ein jüngerer Herr erhob; ich kannte ihn nicht; mein Nachbar aber flüsterte mir zu, jener Herr sei ein bekannter Freidenker, der aus seinem Unglauben keinen Hehl mache.
Ein verächtliches Lächeln auf den Lippen, sagte dieser Herr folgendes: "Meine Herren, Sie haben soeben in Länge und Breite von den sogenannten "Rechten" gesprochen, die Jesus Christus auf die Männer zu besitzen vorgibt. Erlauben Sie mir, es hier öffentlich auszusprechen, daß solche Rechte ganz einfach etwas Widersinniges sind. In der bekannten "Bergpredigt" finden Sie z.B. das einfältige Gebot, daß derjenige, der einen Schlag auf die rechte Wange empfangen hat, ganz artig auch seine linke Wange hinzuhalten habe, um einen neuen Schlag zu erhalten. Haben Sie jemals schon etwas mehr Erniedrigendes, Menschenunwürdigeres vernommen?"
Er machte jetzt eine kleine Pause; dann rief er mit gellender Stimme in den Saal hinein: "Ich möchte den Mann sehen, der auf diese Art seine Menschenwürde verleugnen möchte. Zeigen Sie mir einen solchen Menschen, einen Bürger unseres freien Vaterlandes, - ins Gesicht würde ich's ihm schreien, daß er entweder ein Feigling sei oder ein Narr!"
Der Redner setzte sich wieder hin, einen stolzen Ausdruck im Gesicht.
Ein junger Mann stand jetzt auf und versuchte, so gut er's konnte, auseinanderzusetzen, wie dieses Gebot Jesu für einen modernen Menschen zu verstehen wäre. Er sprach keineswegs schlecht, jedoch vermochte er nicht durch ein schlagendes Beispiel aus dem Alltagsleben seine Ansicht zu unterstützen. Ganz in der Stille bat ich den Herrn, Er möge uns jetzt mit Seiner Weisheit zu Hilfe kommen und es verhindern, daß wir als Seine Zeugen und als die Kämpfer Seiner Wahrheit eine Niederlage erleiden müßten. Und nun geschah etwas sehr Merkwürdiges.
Schon vorher hatte ich bemerkt, wie sich ganz hinten im Saal eine kleine Bewegung zeigte, als der fremde Herr mit seiner höhnischen Bemerkung zu Ende war. Ein bescheiden aussehender Arbeiter hatte sich erhoben; er trug das einfache, aber wahrhafte Sonntagskleid des kleinen Mannes und sah einnehmend und ehrbar aus. In unseren Versammlungen hatte ich ihn meines Wissens noch nie erblickt. Seine ganze Haltung weckte in uns allen gleich von vornherein ein gewisses Gefühl der Zuversicht, und wir fühlten uns auf eigenartige Weise sicher, daß nun unser Gegner zum Schweigen gebracht werden würde. Der fremde Arbeiter beeilte sich ganz und gar nicht mit seiner Entgegnung, sondern ließ erst mit großer Ruhe seinen Blick eine Zeitlang über die große Versammlung hinschweifen. Dann erhob er seine Stimme und sprach: "Der junge Herr von vorhin hat das Verlangen ausgesprochen, einmal einen Mann zu sehen, der einen Schlag auf die Wange empfangen hätte und darauf die andere hinhielt. Ich bitte den Herrn, auf mich zu blicken: Ich bin der Mann, den er sucht".
Hunderte von Augen maßen jetzt den uns fremden Arbeiter; er schickte sich an, uns von der wunderbaren Veränderung zu erzählen, die in ihm bewirkt hätte, daß er einst wörtlich jenes Gebot des Herrn zu erfüllen imstande war:
"Es mag jetzt ein Jahr her sein," so fuhr unser Freund fort, "daß Gott mich bekehrt hat und mich zu einem ganz neuen Menschen machte; wenn jemals einer eine völlig neue Kreatur geworden ist, so bin ich es! Fragen Sie meine Frau, sie wird es Ihnen bezeugen; fragen Sie meine Kinder! Wie bin ich vordem gewesen? Ich war ein Flucher und ein wüster Spötter; zudem war ich von einer wahrhaft teuflischen Leidenschaftlichkeit. Ein Nichts hat früher hingereicht, um mich in fürchterlichen Jähzorn zu versetzen. Von diesen Sünden hat mich mein Herr Jesus freigemacht, und zwar in ganz kurzer Zeit. Ja, innerhalb einer Minute bin ich frei geworden! Meine Sündenketten sind plötzlich gefallen. Als Jesus zu mir sprach: "Stehe auf uns wandle," da bin ich mit einem Schlage frei geworden. Ja, es mag ein Jahr her sein, seit ich Seine Stimme zum erstenmal vernommen habe - seither bin ich ein anderer.
Meinem Beruf nach bin ich Zimmermann; zur Zeit meiner Umkehr war ich mit neunzehn Arbeitern zusammen in einer Werkstatt. Schon am folgenden Morgen hatten sie bemerkt, wie es um mich stand. Es waren große, gottlose Gesellen, diese Kameraden; gleich waren sie darin einig, "mich von meinen religiösen Gedanken abzubringen". O, sie sind grausam mit mir verfahren, und mein Leben ist nicht leicht gewesen, glauben Sie es mir! Sie waren entschlossen, mich wieder wie vormals zum Fluchen und zum Lästern zu reizen; ihr ganzer Sinn stand darauf, mich wieder einmal in meine alte Wut zu versetzen. Noch heute fröstelt es mich fast, wenn ich an ihr Treiben von dazumal denke; ganze Wochen hindurch war ich ständig drauf und dran, der Versuchung zu unterliegen. Aber Jesus Christus, der mich rettete, hat mich nicht wieder losgelassen; es ist Seine Kraft, die mich nicht wieder hat schwach werden lassen. Jeden Morgen rief ich zu Gott: "Mein Herr! Komm mir auch heute wieder zu Hilfe; mach, daß ich nicht fluche! Mach, daß ich nicht jähzornig werde!" In der Werkstatt drinnen biß ich mir die Zunge blutig, um stille zu bleiben; dicke Schweißtropfen standen mir auf der Stirne, wenn sie mich reizten, wenn sie über mich lachten und mich geringschätzig behandelten. Ich stand wochenlang in einem wahren geistigen "Handgemenge", um mein inneres Leben zu verteidigen. Wenn ich morgens nach dem Frühstück zur Arbeit ging, so sagte mir meine Frau stets zum Abschied:
"Bleib mutig Jakob! Laß dich nicht mit ihnen ein! Ertrage sie noch ein bischen; ganz sicher wird es bald einmal zu Ende sein!"

Aber der Kampf dauerte zwei volle Monate, und trotzdem sind sie mit mir nicht zum gewollten Ziele gekommen. Nicht ein einiges Mal habe ich auch nur den kleinsten Fluch ausgestoßen, niemals bin ich zornig geworden. Das aber hat viel Gebet gekostet. O, in jenen Tagen habe ich es gelernt, was es heißen will, auf den Knien zu liegen; aber das hat mich in immer nähere Verbindung zu Gott gebracht. "Ich werde nicht nachgeben," wiederholte ich immer in meinem Innern; "ich werde meinem Herrn Jesus treu bleiben, der mich geliebt hat." Ich kannte mich selbst nicht wieder. Alles war mir unverständlich; ich habe über mich selber fortwährend staunen müssen. Christus war eben meine Stärke geworden.
Als meine Kameraden merkten, daß sie mit mir nicht zum Ziele kamen, beschlossen sie eines Abends, einer von ihnen solle am kommenden Morgen auf mich zutreten und mich ins Gesicht schlagen. So geschah es. Ich sah, wie er an mich herankam; erst glaubte ich, er wolle sich ein Werkzeug an meinem Platz holen; als ich aber in seinem Bereich war, gab er mir plötzlich einen furchtbaren Schlag auf die rechte Wange; er sprach dazu kein Wort. Eine Zeitlang wußte ich nicht mehr, wo ich war. Ich glaube, daß ich schwankte wie ein Trunkener. Als ich wieder zum klaren Bewußtsein des Geschehens gelangt war und hörte, wie die Arbeiter ein teuflisches Gelächter anstimmten, da spürte ich's, daß plötzlich meine alte Leidenschaft in mir erwachte und es körperlich spürbar in mir zu kochen begann. Meine Fäuste ballten sich wie von selbst; hätte nicht eine geheimnisvolle Kraft mich zurückgehalten, so würde ich - es wäre Sache eines Augenblicks gewesen - meinen Gegner zu Boden geschmettert haben und hätte dann meine volle Wut an ihm ausgelassen.
Oft schon habe ich seither Gott dafür gedankt, daß Er mich in Seiner Gnade davor bewahrt hat - es war lauter Gnade - meinem Feind mit der gleichen Münze heimzuzahlen. Blitzartig erschien vor meinem inneren Auge das Bild meines Erlösers, wie Er am Kreuz alle Schmähungen Seiner Feinde schweigend erduldet hat. Da habe ich mir sagen müssen: "Jakob, erinnere dich, wie dein Herr während langer Jahre mit dir Geduld gehabt hat, während du als ein Sünder durch diese Welt gingst." dann mußte ich auch einen Augenblick an meine Frau denken; sie hatte auf mich gezählt und durfte jetzt nicht enttäuscht werden. In meiner Seele wurde es licht und leicht, und aus meinem Herzen stieg inbrünstig auf: "Hab Dank, Herr Jesus, daß Du mir diese guten Gedanken geschenkt hast! Bleibe bei mir und bewahre mich vor dem Argen."

Dann trat ich auf den Mann zu, der mich geschlagen hatte; er war ein kräftiger Bursche, gerade wie ich. Ich sagte ihm: "Hör einmal, Freund: noch vor zwei Monaten, vor meiner Bekehrung, hätte ich dich jetzt zu Boden geschlagen, wahrscheinlich würde ich dir den Rest gegeben haben; jetzt aber bin ich durch Jesus ein anderer Mensch geworden, ich vermag dir den Schlag nicht zurückzugeben; ja ich will noch ein Mehreres tun: da hast du meine andere Wange, schlage mich darauf, wenn du willst."
Liebe Freunde, Sie hätten jetzt das Gesicht meines Widersachers sehen sollen. Ich glaube, er wäre am liebsten in ein Mauseloch gekrochen. Ganz beschämt kehrte er sich nach seinen Kameraden um und rief ihnen zu: "Macht mit mir, was ihr wollt! Wir sind verrückte Kerle. Aber der Jakob hat das Rechte getroffen!"
"
Und nun", so wandte sich der Arbeiter an den jungen Freidenker, "nun, mein ungläubiger Herr, Sie wünschten vorhin, einen Menschen zu sehen, der eine Ohrfeige auf seine rechte Wange empfangen hat und daraufhin auch die linke zum Schlage darbot: Sehen Sie mich an, hier steht der Mann, den sie suchen."

An jenem Abend haben wir unser Schlußlied mit besonderer Wärme gesungen, denn der Eindruck dieser Erzählung hat auf uns alle gewirkt. Während wir noch sangen, verließ jener fremde Herr ganz still den Saal.




Hier gelangen Sie zu den Beiträgen aus der "Tenne", allesamt von 1924:


  1. Wie der Herr mich führte (1)
  2. Wie der Herr mich führte (2)
  3. Wie der Herr mich führte (3)
  4. Biblische Fragen und Antworten (1)
  5. Der Schlag auf die rechte Wange
  6. Sankt Stephan (Gedicht)



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