Die christliche Jugend der 20er Jahre
- Erbauliches aus der Zeit vor 80 Jahren -



Wie der Herr mich führte (2)
Von Charles Stanley. Bericht aus der christlichen Jugendzeitschrift "Die Tenne" aus dem Jahr 1924







Abbildung "Wie der Herr mich führte" (Fortsetzung)



Nach meiner Bekehrung siedelte ich nach Sheffield über, einer Stadt von ungefähr 70-80000 Einwohnern. Hier kam ich in die Lehre zu einem Eisen- und Metallwarenhändler, der auch Seifenfabrikant war. Dadurch wurde ich bald mit dem Handel und den Menschen in Sheffield vertraut. Meine verschiedenartigen Beschäftigungen hatten mir eine ganz gute Menschenkenntnis verschafft. In jenen Jahren gefiel es Gott, mir in Seiner Güte so recht die Verderbtheit meiner eigenen bösen Natur zu zeigen. Das ist eine schreckliche Lektion, aber sie muß gelernt werden. "Ich weiß daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt. Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, finde ich nicht." (Röm. 7,18). Eben dieses muß gelernt werden. Die Geschichte der beiden Naturen kann man mit der Geschichte zweier verschiedener Personen vergleichen. Die Geschichte des Fleisches mit seinen bösen Lüsten gereicht niemandem zum Nutzen; jeder Gläubige lernt dadurch für sich, daß die Errettung einzig und allein ein Werk Gottes ist. "Denn die Gesinnung des Fleisches ist der Tod, die Gesinnung des Geistes aber Leben und Frieden." (Röm. 8,6). Was auf den folgenden Blättern berichtet werden soll, ist das Tun Gottes in Seiner vollkommenen und bewundernswerten Gnade.
Beim Rückblick auf jene Zeit fällt mir auf, daß ich keinerlei Fortschritte in den göttlichen Wahrheiten machte. Ich hatte großes Interesse an glänzenden Predigten, aber ich lernte nichts dabei. Ich war in einem Zustand, der Selbstzufriedenheit und glaubte, alles zu wissen, was man überhaupt nur wissen kann. Kurz gesagt, ich hatte keine Ahnung von meiner eigenen Unwissenheit. Eine höchst erstaunliche Unkenntnis über den wirklichen Sinn des Wortes Gottes war vorhanden. Ich war der Anschauung, daß die Welt (diese Welt, welche den Herrn Jesus verworfen und getötet hatte), sich schnell bessern würde, und daß wir das Volk seien, daß berufen sei, sie mehr und mehr zu bessern, bis eine bekehrte Welt daraus geworden wäre.
Ich mochte damals etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein und unterhielt einen kleinen Materialladen für die in Sheffield gebräuchliche Handelsware. Da kam eines Nachmittags ein Nachbar sehr ernsten Gesichtes zu mir mit der Frage: "Haben Sie das Neueste gehört?" "Nein", sagte ich. Er antwortete: "Zwei Männer halten Vorträge in einem Versammlungslokal, daß die Welt untergehen und Christus morgen früh vier Uhr wiederkommen würde." Ich drehte mich um, denn ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Er bat mich, den Vortrag anzuhören. Ich ging hin. Der Redner sagte nichts über den Weltuntergang am nächsten Morgen, aber er zeigte anhand des Kapitels Matthäus 24 die Unhaltbarkeit der Anschauung, daß die Welt vor dem Kommen des Herrn bekehrt werden würde. Obwohl mir die Lehren des Mannes in vielen Punkten falsch erschienen, und er selbst wahrscheinlich kein wahrer Christ war, so gefiel es Gott doch, durch diesen Vortrag in meiner Seele den ernsten Wunsch wachzurufen, die Wahrheit von der Wiederkunft des Herrn kennen zu lernen.
Ich war so erschrocken über meine Unkenntnis, daß ich nicht einschlafen konnte. Außer mir waren noch acht bis zehn andere zum Nachforschen erweckt. Wir kamen jeden Morgen um fünf Uhr zusammen, um das Wort Gottes zu untersuchen. Wir hatten keine Ahnung, weder was die Kirche ist nach dem Gedanken Gottes, noch die Wiederkunft Christi, um Seine Heiligen zu sich zu nehmen, sondern wir waren beschäftigt mit dem Kommen des Herrn, Sein Königreich auf Erden aufzurichten.

Um jene Zeit mieteten zwei von uns einen kleinen Raum in Sheffield, um dort das Evangelium zu verkündigen. Damals arbeitete ein Hauptmann W. im Dienste des Herrn in Sheffield. Als er von unseren Zusammenkünften hörte, sprach er bei uns vor und fragte, ob er in unserem Raum das Evangelium verkünden dürfe. Mit Freuden gaben wir dazu unsere Einwilligung. Er stellte uns die Person eines lebenden Jesus vor Augen, wie er Sündern begegnet, z.B. der Frau am Jakobsbrunnen, die in der Hitze des Tages kam, um Wasser zu schöpfen. Sie, die von allen wegen ihres schlechten Lebens Gemiedene, wird von Christus gesucht, nicht um ihr zu sagen, sie müsse sich erst bessern, damit er sie retten könne. Was hätte ihr das nützen können, da ihre Sünden sie wie Berge umringten. Der Sohn Gottes sagt ihr die herrlichen Worte: "Wenn du die Gabe Gottes kenntest und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du Ihn gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben." (Joh. 4,10). Niemals war mir die Person des Herrn so vorgestellt worden, aber ich empfand, das war der Jesus, der auch mir auf meinem Wege begegnet war, und der meiner betrübten Seele Frieden zugesprochen hatte.
Wir fanden bald heraus, daß wir, anstatt anderen zu predigen, selbst nötig hatten, das Wort Gottes genau und mit Fleiß zu lesen. Achtzehn Monate lang lasen wir zusammen den Römerbrief, und seit jener Zeit habe ich kaum etwas anderes gelesen, als Gottes Wort. Das wurde mir zum großen Segen. Ich muß jedoch noch einen Vorfall erwähnen, der sich im Anfang dieser Bibelstunden ereignete. Da fast jeder von den Irrtümern des Hauptmanns W. sprach, glaubte auch ich zuerst, es müßte etwas daran sein. Und sonderbar, die kostbaren Wahrheiten, die er bemüht war, uns vorzustellen, hielt ich aufgrund meiner Unwissenheit für Irrtümer. Seitdem habe ich oft die gleiche Erfahrung gemacht. Damals hatte ich keine geringe Meinung von mir selbst und großes Vertrauen auf logisches Denken. Ich hielt es für das Beste, eine Reihe von Vernunftsschlüssen in Bezug auf die Punkte vorzubereiten, die ich für Irrtümer hielt. Eine Gelegenheit bot sich bald, und als Antwort auf eine Frage dieses Dieners des Herrn schoß ich eine ganze Ladung von Vernunftsschlüssen ab. Aber ein einziger Vers, den er mir daraufhin aus Gottes Wort vorlas, überzeugte mich von meinem Irrtum und zerstörte mein Vertrauen auf Logik für immer.
Ich komme zu einem Ereignis, das zum Wendepunkt für mein ganzes Leben bis zum heutigen Tage wurde.
Man hatte mir gesagt, daß Hauptmann W. und einige wenige andere Christen am ersten Tage der Woche zusammenkämen, um das Brot zu brechen, wie wir das in Apostelgeschichte 20 von den ersten Christen lesen. An einem Sonntagmorgen ging ich hin, um mir die Sache anzusehen. Ich nahm hinten Platz und suchte die Kanzel. Eine Kanzel war nicht da, aber ich sah einen Tisch, und auf ihm standen Brot und Wein in Erinnerung an den Tod des Herrn Jesus. Ich sah mich dann nach einem Prediger oder Vorsitzenden um; nichts dergleichen war zu entdecken. Die Gläubigen, die hier versammelt waren, saßen um den Tisch herum. Ein tiefes, feierliches Gefühl überkam mich: "Diese sind gekommen, um dem Herrn selbst zu begegnen." Zweifellos war es Gottes Geist, der so zu mir redete. Es ist mir unmöglich, die Gedanken zu beschreiben, die mich beseelten. Jedoch fühlte ich mich in der direkten Gegenwart des Herrn Jesus gemäß Seinem Wort: "Denn wo zwei oder drei versammelt sind in Meinem Namen, da bin Ich in ihrer Mitte." (Matth. 18,20). Dieses Gefühl war so stark, das ich von dem, was um mich her vorging wenig merkte, es sei denn, daß mir der Gegensatz zu allem, was ich bisher gesehen und mitgemacht hatte, überwältigend schien. Was mich besonders in Erstaunen setzte, war die Tatsache, daß dieses Zusammenkommen von Christen, um das Brot zu brechen, genau mit dem übereinzustimmen schien, was wir darüber in der Schrift finden. Anstatt eines Predigers fand ich am Tische des Herrn die Freiheit, wie sie uns in der Schrift beschrieben wird.
Einige Wochen später nahm ich aus Gnaden als ein Erlöster meinen Platz am Tische des Herrn ein. Bald darauf erfuhr ich, während wir in stiller Anbetung saßen, etwas, was ich nie vorher an mir selbst erlebt hatte: die Leitung des Geistes Gottes. Es war mir, als hörte ich eine leise Stimme: "Lies 2. Kor. 1!" und sehr kostbare Gedanken kamen mir über die Verse 3-5. Eine Erregung ergriff mich, die so stark wurde, daß der Schweiß mir an Gesicht und Körper ausbrach. Schweigend hatten wir einige Zeit gesessen. Ich fühlte, daß ich aufstehen und lesen sollte, doch hatte ich keinen Mut dazu. Endlich stand Hauptmann W., der am anderen Ende des Zimmer saß, auf und sagte: "Laßt uns 2. Kor. 1 lesen!" und dann sprach er genau die Gedanken aus, die der Geist mir ins Herz gegeben hatte. So lernte ich zum ersten Male die Leitung des Geistes in der Mitte von Christen kennen, die sich um Christus allein versammeln. In den folgenden Jahren hat sich diese Erfahrung häufig wiederholt. Einige Beispiele will ich erzählen. Wir können die Apostelgeschichte nicht lesen, ohne zu sehen, daß, nachdem der Heilige Geist die Kirche gebildet hatte, Er wirklich gegenwärtig war, um die Diener des Herrn zu leiten. Wenn Seine Leitung heute nicht so deutlich wie damals in Erscheinung tritt, so liegt das meiner Überzeugung nach nur an unserm geringeren Glauben. Die immer neue Entdeckung meiner erstaunlichen Unkenntnis der Heiligen Schrift hielt mich jetzt davon ab, zu sprechen. Je mehr ich das Wort las, um so kleiner wurde ich in meinen Augen. Ich glaube, es ist immer so. Daß ich trotzdem wieder begann, das Evangelium zu verkündigen, kam so: Ein Bruder im Herrn war von Uckworth herübergekommen und sagte vor seiner Heimreise: "Es liegt mir sehr am Herzen, daß du mitgehst und in Uckworth das Evangelium verkündigst." "Was", antwortete ich, "ich, der sein ganzes Leben nötig haben wird, um das angelernte Falsche zu verlernen? Nein, ich kann nicht kommen!" Da sagte er bestimmt: "Ich bin überzeugt, daß du dennoch gehen wirst, und daß der Herr das Wort segnen wird." Das traf mein Herz. Nachdem ich es vor ihm ausgeschüttet hatte, ging ich, und machte die Erfahrung, daß Er Sein Wort segnen kann, und daß er es auch tut.
Dies war mein zweiter Anfang, ungefähr zehn Jahre nach dem erstenmal, als ich ein Knabe von vierzehn Jahren war. Mit Dank gegen den Herrn darf ich heute sagen, daß Er in jenen Zeiten meine Lippen in den Städten und Dörfern Englands selten geöffnet hat, ohne daß irgend eine Seele zu Ihm bekehrt wurde. In den nächsten zweiundvierzig Jahren habe ich dann in den meisten Städten und vielen Dörfern Englands und Schottlands das Evangelium verkündigen und den Gläubigen mit dem Worte Gottes dienen dürfen. Das Zahl derer, die zum Glauben kamen, ist groß, doch kann ich keine genaue Übersicht darüber geben, da ich kein Tagebuch führte.
Fortsetzung folgt





Hier gelangen Sie zu den Beiträgen aus der "Tenne", allesamt von 1924:


  1. Wie der Herr mich führte (1)
  2. Wie der Herr mich führte (2)
  3. Wie der Herr mich führte (3)
  4. Biblische Fragen und Antworten (1)
  5. Der Schlag auf die rechte Wange
  6. Sankt Stephan (Gedicht)



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