Jesus liebt dich!
- auch auf St. Pauli! -





Jesus liebt dich!





Dieser blöde Hut, der auf ihrem dunkelblonden, zu einem Zopf zusammengesteckten Haar trohnte, war eigentlich das erste, was mir an Johanna auffiel. Und die dunkelblaue Uniform, in der sie auf mich zukam. Dass sie Johanna hieß, wusste ich natürlich damals noch nicht. In der Hand hielt sie ein Blatt mit dem reißerischen Titel Kriegsruf.

„Was verkaufst du?“ wollte sie wissen.

Ich hielt das bekannte Hamburger Straßenmagazin hoch, das ich seit zwei Jahren zwischen Hauptbahnhof und Jungfernstieg  verkaufte.

Sie lächelte. „Wollen wir tauschen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Sorry, ich lebe vom Verkauf dieser Zeitung. Von den einssechzig, die die Leute dafür bezahlen, bekomme ich 75 Cent. Und die habe ich als Hartz 4 –Empfänger auch bitter nötig.“

Ich hielt ihr das Blatt entgegen. Sie nickte und fasste in die Tasche, in der ein ganzer Stapel ihrer Zeitung steckte. Sie zog ein Portemonnaie heraus und gab mir ein Zwei-Euro-Stück. „Stimmt so.“

Dann reichte sie mir ihr Blatt. „Aber nicht wegwerfen, sondern auch lesen. Tschüß.“

Ich sah ihr nach, während sie weiterging.

Plötzlich drehte sie sich noch einmal um und lächelte. „Jesus liebt dich!“

Jesus liebt dich. Klar, dachte ich, logo. Deshalb geht’s mir ja in den letzten fünf Jahren auch so gut. Erst meine Scheidung, dann der Unfall mit dem komplizierten Trümmerbruch und acht Wochen später der Rauswurf bei Bauer & Söhne, dem Unternehmen, für das ich fast zwanzig Jahre lang LKW durch ganz Deutschland gefahren war. „Tut uns leid, aber mit der schweren Verletzung – das wird ja nie wieder richtig zusammenwachen. Und als Fahrer müssen sie doch auch immer wieder mit aufladen." Das war’s dann gewesen.

Eine eigene Wohnung hatte ich inzwischen auch nicht mehr, stattdessen hauste ich mit drei anderen Männern in einer WG. Fünfzehn Quadratmeter hatte ich für mich, Küche und Bad teilten wir uns. Aber Jesus liebt dich, natürlich. Nett, aber ein bisschen weltfremd, das Mädel.

Als ich am Abend die Einnahmen gezählt und es mir auf meiner alten, aber gemütlichen Couch mit einer Flasche Bier gemütlich gemacht hatte, griff ich nach dem Kriegsruf und blätterte darin. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen, wie man so schön sagt. Das Mädel war bei der Heilsarmee! Ich war erst vor einem viertel Jahr nach Hamburg gezogen und deshalb bisher noch nicht mit diesen Leuten in Berührung gekommen.

Ich musste grinsen. Wenn ich die junge Frau zufällig noch einmal treffen sollte, würde ich ihr ein paar richtig gute Fragen stellen. Darin war ich gut. In Berlin hatte ich damit schon einmal einen Prediger zum Schwitzen gebracht.

Die Gelegenheit bot sich schon eine Woche später, als ich die kleine „Soldatin Christi“ - laut Kriegsruf eine von drei Millionen weltweit - in der Mönckebergstraße vor Karstadt wieder sah. Diesmal war sie allerdings nicht allein, sondern schmetterte zusammen mit ein paar anderen Uniformierten, die das Ganze mit einer Gitarre begleiteten, ein frommes Lied. Nach der letzten Strophe löste sich Johanna von der kleinen Truppe und kam auf mich zu. Sie reichte mir einen Handzettel.

„Wenn du Lust hast, komm doch mal bei uns vorbei. Um viertel nach acht feiern wir einen Gottesdienst und danach ist unsere Coffeebar geöffnet. Ich heiße übrigens Johanna.“

Die heilige Johanna, schoss es mir durch den Kopf. Ich musste grinsen.

Sie zog eine Braue hoch. „Was ist so lustig?“

„Ach, nichts“, erwiderte ich und stellte mich ebenfalls vor.

„Lehmann, Andreas. Und wo finde ich euren Club?“

Jesus in St.Pauli stand auf dem großen Schild über dem Eingang des alten Backsteinhauses, in dem die Heilsarmee ihre norddeutsche Zentrale hatte. So hatte ich es im Kriegsruf gelesen. Den Gottesdienst hatte ich mir geschenkt - Johanna schien ein wenig enttäuscht darüber - aber zu einer Tasse Kaffee sage ich niemals nein. Und die Coffeebar, die sich schnell mit Männern und Frauen füllte, war wirklich ein gemütlicher Platz.

„Sag mal, Max…“ Johanna goss sich eine Tasse Kaffee ein. Aha, jetzt kam wahrscheinlich der erste Bekehrungsversuch. Fehlanzeige. Stattdessen sprachen wir an diesem Abend über alles Mögliche, nur nicht über den lieben Gott. Seltsam. War das denn nicht der Sinn dieser Einladung gewesen? Okay, irgendwann streifte Johanna das Thema kurz, als sie von ihrer Arbeit erzählte und davon, was die Heilsarmee so alles machte – von der Betreuung pflegebedürftiger alter Menschen, Essen- und Kleiderausgabe und Schuldnerberatung bis zur Hilfe für Suchtkranke. Ich muss zugeben, ich war beeindruckt.

„Und warum machst du das alles?“ wollte ich von Johanna wissen. Das war mein Fehler.

„Weil ich erlebt habe, dass Gott mich liebt.“ Sie lächelte. „Und jetzt möchte ich einfach etwas von dieser Liebe weitergeben. Ganz praktisch. Es gibt schon genug Leute, die nur davon reden. An der Heilsarmee gefällt mir, dass sie etwas gegen die Not tut. Deshalb bin ich dabei.“

Tja, dem hatte ich nichts entgegenzusetzen. Stattdessen spürte ich an diesem Abend etwas, das ich schon seit zehn Jahren nicht mehr gefühlt hatte: Ich hatte mich verliebt.
Als wir uns verabschiedeten, fragte ich Johanna, ob wir uns bald mal wieder sehen könnten.

„Du meinst hier?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich dachte eigentlich an einen Spaziergang nach Feierabend. An der Alster oder im Stadtpark.“ Sie zögerte.

„Oder hast du einen Freund?“

„Nein, das ist es nicht. Aber eigentlich mache ich so etwas nicht.“

Ich war nicht bereit, so schnell aufzugeben. „Du hast mich zum Kaffee eingeladen, jetzt würde ich mich gern mit einer Bratwurst oder einem Fischbrötchen revangieren!“

Sie lächelte. „Fischbrötchen klingt gut.“

„Samstagnachmittag?“

Sie nickte. „Aber nur bis sieben. Dann bin ich mit einem anderen Heilsarmisten auf dem Kiez, Zeitungen verteilen.“

Johanna zwischen Sex-Bar, Peep-Show und Gay-Sauna? Ein seltsamer Arbeitsplatz. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass…

Am Samstag trafen wir uns an der Lombardsbrücke und machten von dort aus einen zweistündigen Spaziergang an der Außenalster entlang. Wir genossen das herrliche Sommerwetter und sprachen über Gott und die Welt. Die Zeit verging wie im Fluge und als wir uns voneinander verabschiedeten, kannten wir jeder die Lebensgeschichte, Lieblingsmusik und das Lieblingsgericht des anderen! Übrigens hatte Johanna heute zum ersten Mal auf ihre Uniform verzichtet und gefiel mir so noch besser.

Als wir uns die Hand gaben – viel lieber hätte ich sie jetzt geküsst – sagte sie plötzlich: „Du könntest mich eigentlich heute Abend begleiten. Oder hast du schon was vor?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nö. Eigentlich nicht. Geht das denn? Ich gehöre doch nicht zu eurem Verein.“

„Ach, das geht schon in Ordnung.“ Sie grinste. „Ich bin ja bei dir.“

So zog ich also an diesem Samstagabend mit Johanna und Armin, einem älteren Mann über die „geile Meile“, wie Udo Lindenberg die Reeperbahn einmal nannte. Mal ganz davon  abgesehen, dass ich mich in diese junge Frau verliebt hatte, die erst vor wenigen Tagen in mein Leben getreten war, wuchs meine Bewunderung für Johanna von Stunde zu Stunde. Obwohl längst nicht jeder, dem sie ihre Zeitung anbot, diese auch gern annahm oder sich auf ein Gespräch einließ, blieb Johanna immer freundlich. Es musste wohl doch etwas dran sein an ihrem Glauben.

Kurz vor Mitternacht waren alle Zeitungen verteilt und ich hundemüde. „Kommst du noch mit zu mir, auf ein Glas Saft oder irgendetwas?“, fragte ich und war ziemlich überrascht, als Johanna nickte. So setzten wir unser intensives Gespräch vom Nachmittag in meinem Zimmer fort.

Nein, wir landeten nicht im Bett. Damit warteten wir bis zur Hochzeitsnacht, sechs Monate später. Schließlich ist meine Frau ein Mensch mit Prinzipien.
Übrigens, den Kriegsruf verteilen wir jetzt immer gemeinsam. Nicht nur auf der „geilen Meile“, aber auch dort.




Peter Hoeft






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