Doppelwelt
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christlicher Jugendroman -



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Doppelwelt







Text auf dem Buchumschlag:

Max, Andy und Georg wollen berühmte Musiker werden. Gemeinsam genießen sie das Leben in vollen Zügen und träumen sich als wilde Stars durch die Realität. Manchmal verschmilzt die Grenze von Traum und Wirklichkeit; kann nicht mehr klar unterschieden werden und etwas anderes schwingt mit. In das Gewöhnliche bricht das Unfassbare, der Hauch des Ewigen weht und trifft das Diesseitige ahnungslos und aus der Ironie: „Ich wollte schon immer mit Jesus auf ein Glas Bier gehen“, wird liebende Begegnung zum Angreifen, realer als das Sichtbare. Eben: Doppelwelt
.








1.

Geduckt jagen sie auf ihren Rädern den Berg hinab. Ihre langen Haare wirbeln im Wind umher. Die Tachometernadel zeigt fast auf 80 km/h. Dass diese Geschwindigkeit erreicht wird, ist auch kein Wunder, denn der Berg ist steil und langgezogen.
„Das ist immer wieder cool!“, ruft Andy aus, als sie bereits wieder gemächlich auf ebener Straße dahinfahren. Jetzt hört man das Quietschen und Scheppern seines Rades.
„Bin gespannt, wie lange dein altes Vehikel das noch mitmacht.“
Georg lässt ebenfalls wie Andy seine Arme lässig an der Seite baumeln. Erst bei der scharfen Kurve nehmen sie ihre Hände an die Lenker.
„Kann ja nicht jeder so ein Nobelrad fahren wie du“, entgegnet Andy spöttisch.
Links oben thront eine Kirche. Schon hören sie Glockengeläut.
„Mann, der ist schon drauf“, lacht Andy.
Auch Georg schüttelt den Kopf. „Typisch!“
Scharfe Gitarrenriffs sind zu hören, die bald das Glockengeläut, das nicht von der Kirche kommt, übertönen.
„Der beschallt ja das ganze Dorf mit seiner Musik.“
Nach 500 Meter erreichen sie ein Haus, das etwas abseits vom Dorf steht.
„Wetten, dass er die Türglocke wieder mal nicht hört“, witzelt Andy.
„Zum Glück ist meistens noch ein anderes Familienmitglied zuhause.“
Und schon läutet Georg an der Tür. Gespannt lauschen beide auf Geräusche aus dem Inneren des Hauses, die darauf schließen lassen könnten, dass die Türklingel gehört worden ist. Aber nichts! Kein Türenschlagen, kein Fußgetrappel auf der Treppe. Das einzige, was sie hören, ist laute Rockmusik.
Mittlerweile läutet Andy Sturm und ruft immer wieder: „Max, mach endlich auf!“
Nach einer Weile kommt er zu dem Entschluss: „Dann müssen wir eben wieder die andere Variante auspacken.“
Mit diesen Worten bückt er sich, hebt einen Stein auf und schleudert ihn ans Fenster. Sie warten einen Augenblick, doch zu ihrer Enttäuschung: „Wieder nichts.“
Georg holt sich nun seinerseits einen Stein.
„Hoffentlich erwischt uns sein Vater nicht wie beim letzten mal.“
Scheppernd knallt das Wurfgeschoss ans Fenster.
„Das muss er doch hören!“, entrüstet sich Andy.
„Wenn wir so weiter machen, zerbricht wieder die Scheibe.“
Finster blicken die zwei vor sich hin, während der Sturm der Musik über ihren Köpfen immer schlimmer tobt.
„Wie lange hält der diese Lautstärke aus?“
„Dass er da noch nie von den Nachbarn wegen Ruhestörung angezeigt worden ist!“
Andy grinst. „Tolle Wohngegend.“
Plötzlich setzt sich Georg in Bewegung. „Ich hab da eine Idee.“
„Was hast du vor?“
Georg verschwindet um die Hausecke, Andy eilt hinterher. Als er ihn einholt, sieht er, wie Georg nachdenklich die Hauswand betrachtet. Ohne ein Wort zu verlieren, beginnt er zu klettern.
„Du spinnst“, ruft Andy aus, „die Latten sind viel zu dünn.“
Doch schon hat Georg ein paar Meter zurückgelegt.
„Ach Quatsch, sie tragen Weintrauben, dann können sie auch mich aushalten!“
Das Lattengerüst, das an der Wand befestigt ist, kracht bedenklich, während sich Georg den Weg nach oben bahnt. Ganze Rebenteile fliegen ausgerissen zu Boden, von dem Blätterregen ganz zu schweigen.
„Mann, wartet da oben Jane auf dich?“ blödelt Andy.
„Schade, dass keine Lianen...“
K N A C K ! ! !
Plötzlich rutscht Georg nach unten. Andy bleiben seine Worte im Hals stecken und er schließt seine Augen.
„Was bist du doch nur für ein Angsthase“, donnert Georg über ihm. „Hier, hast du deine Lianen.“
Andy blickt auf und sieht, dass sich Georg an einem dicken Weintraubengeäst festkrallen konnte. Schon zieht sich dieser wieder weiter nach oben.
„Was bist du eigentlich: Musiker, Snob oder Abenteurer?“ fragt Andy erleichtert.
„Allrounder, mein Lieber!“, lacht Georg triumphierend. „Überall zuhause.“
Kurz darauf schwingt er sich über das Balkongeländer auf sicheren Boden.

*

Der Gong durchdringt das Gebäude und einige Augenblicke später ergießt sich ein Menschenstrom auf den Vorplatz der Schule. Viele eilen zu den Bussen. Geschrei. Gedränge. Gelächter. Quirliges Leben. Freitags ist es immer besonders hektisch.
„Idioten“, zischt er verächtlich.
Betont lässig hängt Max auf einer Bank herum und überlässt es anderen, sich durch Aktion zu profilieren. Erst als sich alle Kinder und Jugendlichen an die Busse drängen, als sei es ihr Lebenselixier als erste die Fahrzeuge zu betreten, erwacht er aus seiner Erstarrung.
Über der Schülertraube steht jetzt ein Busfahrer mit erhobenem Zeigefinger und gibt Belehrungen, die morgen, die in zwei Minuten, die sofort vergessen und ignoriert sein werden.
„Jeden Tag dasselbe“, murmelt Max, der sich souverän nicht an dem Tumult beteiligt.
Den Kopf nach unten, verdecken die langen Haare vollständig sein
Gesicht.
„Das Leben ist irgendwie ein Spiel...das langweilig ist.“
Er steigt als einer der Letzten in den Bus ein. Der Fahrer grinst ihn an.
„Dicker Spießer“, denkt Max. „So will ich mal nicht enden.“
Hinten ist noch ein Platz frei, auf den er sich setzt. Obwohl es sehr laut ist, versinkt er wie immer in seiner Welt, in der er nichts von außen wahrnimmt. Als wäre es ein Film, so real durchlebt er erneut die demütigenden Szenen: der Englischlehrer sitzt am Tisch, überheblich grinsend und fett: „So, so. Wie gedenkt Beethoven dieses Problem zu lösen?“
Gelächter. Max, der von dem Lehrer wegen seinen langen Haarlocken Beethoven genannt wird, gibt sich cool, doch im Inneren tut es weh. Er fühlt sich hohl, leer, kaputt. Die Benommenheit, die dieses Vakuum auslöste, klingt immer noch nach, beherrscht ihn völlig, lähmt ihn.
„Lehrer...alles Arschlöcher“, zischt er.
Er wird aus seiner Welt gerissen, als mit Schwung ein Mädchen neben ihm Platz nimmt.
„Die schon wieder!“
Er spürt ihren warmen Oberschenkel.
„Selber Schuld“, denkt er gelangweilt.
Andererseits gefällt ihm ihre Nähe schon. Max hat sie noch nie angesprochen. Feigheit? Niemals! Das Mädchen kann halt nicht mit I h r mithalten. Und schon hat er das Bild vor Augen, das ihm schlaflose Nächte bereitet. Dringt ihr Lachen nicht in sein Ohr? Er hebt vorsichtig den Kopf, um nach vorne zu blicken. Wie sooft sitzt S i e in der ersten Reihe und unterhält sich mit dem Busfahrer.
„Wie kann man nur“, denkt er kopfschüttelnd.
Auch viele andere Jungs und Mädchen unterhalten sich mit ihm.
„Das würde ich nie machen.“
Max schließt die Augen und stellt sich vor, wie sie sich umarmen und küssen.
„Wäre ich doch wie Georg. Lässig würde ich zu ihr hingehen und...doch ich hab da wohl keine Chance. Wer mag mich überhaupt? Meine Freunde...“, mit einer resignierenden Handbewegung wischt er seine vielen guten Beziehungen hinweg, „keiner mag mich.“
Verzweifelt schüttelt er den Kopf. „Das Leben ist scheiße!“
Mit gesenktem Kopf steigt Max aus dem Bus. Plötzlich Weinen. Er blickt sich um. Ein kleiner, farbiger Junge versucht verzweifelt seine Schultasche zu fangen, die sich drei Jugendliche lachend zuwerfen.
„Hey, lasst den Kleinen in Ruhe!“
Max hat kaum ausgeredet, da haben ihn die drei Glatzköpfe schon umstellt. Sie schubsen ihn hin und her. Max schlägt wild um sich. Eine harte Faust reißt ihn zu Boden. Der Aufprall nimmt ihm die Luft. Schon sitzt der Angreifer auf ihm und bearbeitet ihn mit seinen Fäusten. Längst ist Max erstarrt, kann sich nicht mehr wehren. Fast spürt er die Schläge nicht mehr. Irgendwann hört es auf. Lachend und drohend verschwinden die Jungs. Max rappelt sich hoch und wankt nach Hause.
„Wie siehst du denn aus?“, ruft seine Mutter erschrocken.
„Das geht dich nichts an“, erwidert er aggressiv und verschwindet im Zimmer. Sekunden später hört man nur noch laute Rockmusik. Seine Mutter weiß, dass sie Max jetzt in Ruhe lassen muss, jeder Versuch in sein beleidigtes Verschlossensein einzudringen, würde zu noch mehr Aggressivität führen. Nach einer halben Stunde klopft sie an die Tür. Aber natürlich hört Max, wegen der lauten Musik, nichts. Vorsichtig öffnet sie die Zimmertür und sieht Max in seinem braunen, abgewrackten Polsterstuhl lümmeln. Seinen Kopf reißt er mit rasender Geschwindigkeit hin und her. Da Max immer noch nichts von ihrer Anwesenheit bemerkt, bleibt ihr keine andere Wahl. Entschlossen dreht sie die Musik leiser.
„Hey!“ begehrt Max auf.
Doch die Mutter braucht nur einen Zeigefinger zu heben, um Max zur Ruhe zu bringen, denn sonst würde, wie vereinbart, sein Vater ihm die Anlage für ein paar Tage ganz wegnehmen, und das will Max lieber nicht riskieren.
„Das Essen ist fertig...“
„Hab keinen Hunger!“, unterbricht Max zornig seine Mutter.
„Du wirst aber Kraft brauchen“, erwidert sie in ihrer freundlichen und entwaffnenden Art. „Könntest du bitte die Holzscheite...“
„Ph...!“, entfährt es Max. „Das kannst du selber machen!“
Seine Mutter erwidert ruhig den wilden Blick ihres Sohnes. „Überleg es dir. Ich gehe jetzt arbeiten.“
Kaum hat seine Mutter die Tür zugemacht, ertönt wieder der ohrenbetäubende Krach. Max nimmt erneut auf seinem Sessel Platz und bewegt wild den Kopf zur Musik. „Die können mich mal. Ich bin mein eigener Herr. Ich lass mich von niemandem versklaven. Ich mach das, was ich will. Von denen nehme ich nichts mehr. Werde mich ganz zurückziehen. Kann selbst für mich sorgen. Brauche niemand! Werde gleich einen Text schreiben.“
Max steht auf, kramt aus seinem Schreibtisch einen zerfledderten Schreibblock hervor und bringt seine Gedanken voller Hass zu Papier.

*

Georg drückt sein Gesicht an die Glasscheibe der Balkontür und bedeckt seine Augen seitlich mit den Händen, um den Lichteinfall und die Spiegelungen fernzuhalten. Er sieht Max auf seinem Sessel sitzen und wie er wild seinen Kopf schüttelt.
„Oh Mann!“
Er klopft an die Scheibe. „Hey Max, aufmachen!“
„Hört er dich?“, fragt Andy von unten.
„Nein!“, antwortet Georg und trommelt mit den Fäusten an die Balkontür. Da sieht er, wie Max plötzlich erschrocken zusammenfährt und aufblickt. Schnell hüpft er zur Balkontür und öffnet diese.
„Hey, was geht ab?“, fragt Max verwundert.
Georg setzt zu sprechen an, doch eine Verständigung ist nicht möglich. So eilt er wütend zur Stereoanlage und macht die Musik aus.
„Seit einer halben Stunde versuchen wir alles mögliche, um uns bemerkbar zu machen!“
Max macht ein verdattertes Gesicht.
„Kannst du keine Termine einhalten?!“
Ein verächtlicher Zischlaut ist nun von Max zu hören, der schon wieder seinen Kopf selbstsicher zurückwirft.
„Andy wartet unten.“
Kurz darauf öffnet Max die Haustür.
„Hallo“, begrüßt ihn Andy mit einem breiten Grinsen, „wir hätten beinahe das Haus abgerissen.“
Sie lachen.
Von oben ist jetzt Georg zu hören: „Ich habe mich an den Latten der Weintrauben....“
„Schau ihn dir an“, quatscht Andy dazwischen, „ein echter Held!“
Max und Andy lachen.
„Weicheier!“, ruft Georg.
Die drei Freunde gehen in Max’ Zimmer. In einer Ecke befindet sich ein Gewirr von Kabeln, Verstärkern und Gitarren.
„Mann, dass sieht wieder aus!“, entfährt es Georg
Max zuckt mit den Schultern und zwinkert Andy zu: „Erst 15...aber schon ein echter Spießer.“
Lachen.
„Übrigens“, wirft Georg ein, „ich habe einen neuen Song geschrieben. Du wirst begeistert sein!“
„So, so“, gibt Max knapp zurück.
Es vergeht einige Zeit, bis sie ihre Instrumente gestimmt und angeschlossen haben, aber dann legen sie los. Jeder meint, dass die anderen zwei lauter zu hören sind als er selbst. So dreht jeder seinen Verstärker immer weiter auf, bis ein undefinierbarer Brei aus Lärm entstanden ist.
„Max, jetzt mach mal deine Gitarre leiser!“, ruft Georg.
„Niemals, ich bin kaum zu hören“, erwidert dieser, „du bist viel lauter!“
„Ihr müsst beide leiser drehen!“, ist Andy zu hören.
„Du bist nicht der Star!“, zischen ihn Max und Georg beinahe im Duett an.
Sie diskutieren eine Ewigkeit, bis sie sich darauf einigen, erst einmal Brotzeit zu machen. In der Küche schneiden sie Brot auf und plündern den Kühlschrank.
„Gib mir mal ein Bier“, grinst Andy, „bisschen benebelt spielt man besser!“
Eine Zeitlang ist nur Schmatzen zu hören.
„Wenn wir erst mal den Durchbruch geschafft haben, bauen wir uns eine riesige Villa, in der es von Leckereien nur so wimmelt.“
„Vor allem von zweibeinigen Leckereien....“, grinst Georg.
„Die Girls werden uns zu Füßen liegen.“
Die drei Freunde sind begeistert.
„Unsere Songs...“
„...unsere Texte...“, wirft Max dazwischen, der weiß, was kommt.
„...sind einzigartig!“
„Andere Bands nachzuäffen und ihre Songs zu spielen, ist billig“, meint Andy abfällig.
„Kommt, spielt mir den neunen Song vor“, fordert Max sie auf.
Sofort lassen sie alles stehen und liegen und gehen mit einem Hochgefühl der Überlegenheit ans Werk. Max sitzt in seinem Sessel und sieht den Brüdern zu, wie sie virtuos ihre Finger über die Gitarrensaiten gleiten lassen.
„Super!“ ruft Max aus.
Andy und Georg grinsen sich an.
„Ich hab auch einen neuen Songtext geschrieben. Soll ich...?“
Georg blickt auf die Uhr.
„Ein andermal. Wir müssen aufbrechen, denn wir haben noch einen netten Date...“, Georg zwinkert Max zu.
Dieser zuckt gleichgültig die Schultern. „Na, dann eben nicht.“
Doch innerlich fällt alles zusammen. Es kommt ihm so vor, als gehe er in Zeitlupe die Treppe hinab. Benommen öffnet Max die Tür. Wie von weitem vernimmt er den Abschiedsgruß von Andy.
„Komm halt mal mit“, fordert ihn Georg auf.
Max schüttelt den Kopf und meint: „Eure Freunde sind so...was macht ihr denn?“
„Flaschendrehen...“
„Was“, entfährt es Max, „das hab ich früher auf Kindergeburtstagen gespielt.“
Georg lacht. „Nein, derjenige auf den die Flasche zeigt, der muss ein Kleidungsstück ausziehen...die Isabella verliert immer.“ Erneut zwinkert ihn Georg zu. „Aber das interessiert dich ja nicht!“
„Erraten“, spricht Max in das Gelächter von Georg hinein.
Wie durch eine Glasscheibe blickt Max den zwei Freunden nach, wie sie mit ihren Fahrrädern davonfahren.
„Ich bin vom Leben abgeschnitten“, denkt Max.
Er schleppt sich in sein Zimmer und dreht die Musik noch lauter auf als zuvor.
„Die können so gut spielen. Was kann ich? Nichts!“
Er lässt sich von der Musik treiben.
„Ich dachte wir sind Freunde. Doch sie nützen mich nur aus! Die mögen die anderen lieber als mich. Mich mag sowieso keiner. Das Leben ist Scheiße!“
Max steht vor seiner großen CD-Sammlung und überlegt, was er sich anhören soll. Wie sooft greift er wieder sein Lieblingsalbum heraus. Er schließt die Augen und genießt jeden Ton, die ganze Atmosphäre, die diese Musik ausstrahlt. Er fühlt sich glücklich.
„Ja, Musik ist mein Leben“, flüstert er. „Andere brauchen Drogen, mich schießt die Musik in andere Dimensionen.“
Plötzlich verspürt er Lust, Holz aufzurichten. „Warum sollte ich es nicht tun?“
Max begibt sich dorthin, wo sich die Riesenberge aus Holzscheiten befinden. Sorgfältig schlichtet er das gespaltene Holz aufeinander. Nach einiger Zeit kommt seine Mutter vorbei.
„Du bist ganz schön weit, toll“, lobt sie ihn.
Max freut sich. Da fällt ihm die Unordnung ein, die seine Freunde und er in der Küche hinterlassen haben. Schnell sprintet er dorthin und beginnt mit den Aufräumungsarbeiten.
„Max!“, hört er plötzlich urlaut jemanden seinen Namen schreien. Die Explosion ist von seinem Vater.
„Komm her!“
Max öffnet die Tür und sieht seinen Vater aufgebracht mit den Armen
gestikulieren.
„Kannst du mir sagen, was das bedeutet?“
Max folgt dem Zeigefinger seines Vaters. Die Weintraubenreben, eigentlich an den Latten nahe der Hauwand festgebunden, hängen lose, kreuz und quer, in ganzen Büscheln nach unten und werden vom Wind hin- und hergetrieben.
„Das ist eine Sauerei! Latten abgebrochen, Weintrauben ausgerissen...sag mal, spinnt ihr!? Das waren sicher wieder deine verrückten Musikerfreunde!“
Max weiß nicht, was er antworten soll. Er stottert herum.
„Mir reicht es jetzt! Ab sofort könnt ihr wo anders eure Proben machen!“
Damit wendet er sich abrupt ab.
„Ich hole eine Leiter. Nichts als Arbeit mit dem Kerl. Wäre er doch so wie seine Schwester!“
Max blickt ihm wütend nach. „Meine Schwester...“
Er bückt sich nach einem Stein und schleudert ihn mit seiner ganzen Kraft gegen die Hauswand.
„Immer wieder diese Vergleiche mit meiner großen Schwester!“
Am liebsten würde Max jetzt die gesamte Weintraubenwand herunterreißen. Schnell läuft er in sein Zimmer und versinkt in seiner Musik.

2.

Nur spärlich fällt Licht durch den Kellerschacht ins Zimmer. Benommen wälzt Andy sich auf die andere Seite. Es muss 9.00 Uhr sein, denn von überall lärmen die Kirchenglocken, um die Gläubigen zur Sonntagspflicht zu rufen.
„Heuchler!“, denkt Andy verächtlich.
Verschlafen öffnet er die Augen. Seine Blicke treffen sich wieder mit dem Totenkopf, der an der gegenüberliegenden Wand aufgemalt ist.
„Grinst er schon wieder?“
Bei diesen Gedanken jagen kalte Schauer über seinen Rücken.
Letzte Nacht machte er beim Flaschendrehen mit. Isabella war mit von der Partie und sie hat natürlich gründlich verloren. Er hatte die Figur des Mädchens noch deutlich vor Augen, als er zu Bett ging. Wie immer schlief er mit Musik ein. Plötzlich schreckte er hoch. Etwas war da. Etwas, was ihm Angst einjagte. Der Klang der Musik war dumpf und verzerrt. Andy machte Licht, um zu sehen, was da vor sich ging. Er war gerade dabei, aufzustehen, als es ihn wie einen Hammerschlag traf: der Totenkopf grinste ihn an. Panisch vergrub er sich in der Bettdecke.
„Gott, hilf mir! Vergib mir alle meine Sünden. Ich tu alles, was du willst...morgen gehe ich in die Kirche....“
Irgendwann schlief er ein.
Erneut begutachtet Andy vorsichtig das Bandlogo, das ein Skelett mit Sense zeigt.
„Das Bild habe ich gemalt. Wie könnte tote Materie grinsen?“
Erleichtert erhebt sich Andy von der Matratze, die auf dem Boden liegt
und schaltet die Kassette erneut an.
„Wahrscheinlich eiert das Band.“
Andy hört eine Weile zu. „Komisch, alles in Ordnung, klarer Sound.“
Unangenehmes Kribbeln entsteht in seinem Magen. Etwas unwohl studiert er den Totenkopf, der jetzt völlig erhellt ist. Nach einiger Zeit kommt er zum Schluss: „Nein, nichts. Alles nur Einbildung!“
Andy setzt sich auf seine Matratze.
„Auf was man so alles kommt“, entfährt es ihm bei den Gedanken, dass er Gott gelobt hat, in die Kirche zu gehen.
Mit einem lässigen: „Hi!“ wird Andy aus seinen Gedanken gerissen.
„Servus, Georg.“
Dieser lässt sich müde auf die Matratze seines Bruders plumpsen. Lächelnd schüttelt Georg seinen Kopf: „Mann, das war eine Nacht!“
„Bist du endlich gelandet...bei Isabella?“
„Von wegen. Das ist vielleicht eine Hexe!“
Georg lacht.
„Plötzlich fing die an mit Gläserrücken und Geister anrufen und so.“
Zuerst bemerkt Georg Andys ernstes Gesicht nicht, weil er sich vor Lachen nur so schüttelt, als ob er gerade den Witz seines Lebens gehört hätte.
„Was ist Andy?“
Doch ohne eine Antwort abzuwarten, erzählt er laut lachend weiter.
„Wir taten also unsere Finger auf das Glas...“
Georg streckt einen Arm aus. Seine Hände zittern, dunkle Augenringe
verraten, dass er nicht viel geschlafen hat. Wieder lacht er. Andy trifft ein Schwall von Alkoholgeruch. Georg scheint immer noch in eine Rauchwolke gehüllt zu sein, so stinkt er nach Zigaretten.
„Stell dir vor, das Glas bewegte sich. Alle riefen ganz ehrfürchtig: „Oh, der Geist ist hier!“
Georg klopft mit dem Zeigefinger an seine Stirn.
„Idioten...“
Er pustet vor Lachen, zwischendurch gelingt es ihm, einige Worte herauszupressen: „Ich habe mit...meinem...Finger...das Glas geschoben.“
Nun ist nichts mehr von ihm zu hören. Krampfhaft hält er seinen Bauch. Er hat Schmerzen vor Lachen. Nach einiger Zeit lässt er seinen Oberkörper nach hinten fallen.
„Mann, war das ein Spaß.“
Nach einer kurzen Pause, macht Georg wieder Stimmen nach: „Oh, der Geist ist hier.“ Erneut ändert er den Tonfall: „Könnt ihr ihn spüren?“
Er lacht.
„Stell dir vor, nach einiger Zeit sind sogar zwei Leute aufgesprungen und haben fluchtartig den Raum verlassen.“
Georg schüttelt den Kopf. „Kreidebleich, voller Angst...solche Weicheier!“
Andy sieht zuerst Georg an, dann zum Totenkopf und wieder auf Georg.
„Ja, du hast recht“, sagt Andy etwas unsicher, „Alles nur Einbildung. Alles nur ein Spiel“
Die Tür wird aufgerissen. „Hey, hier stinkt es mal wieder!“
„Ja, das sind die Socken von Andy...“, schießt es aus Georg heraus, „der hat sie schon drei Wochen nicht mehr gewechselt.“
Lachen.
„Nein“, entgegnet Max: „hier stinkt es nach Parfüm! Womit hast du dich da wieder eingesprüht?“
„Jetzt weiß ich es“, wirft Andy ein. „Ihm liegen die Frauen deshalb zu Füßen, weil sie bei dem Gestank ohnmächtig werden.“
„Sehr witzig“, zischt Georg, „da muss ich gleich geile Musik anwerfen bei eurem Geschwätz.“
„Ja“, kontert Max, „aber was wirklich Gutes. So ruhig bei euch.“
Schon sind grell-schneidende Gitarrenriffs zu hören.
„So schnell wirst du nie spielen können“, wirft Georg Max hin.
„Strebe ich ja gar nicht an.“
„Was sagst du dazu, Andy?
Dieser starrt auf das Bandlogo. Über dem Namen ‚Black Mass’ ist ein Skelett mit Sense zu sehen, beides wird von Feuer umrahmt. Andy schüttelt sich. „Das gibt es ja gar nicht!“
Seit die Musik spielt, ist es ihm, als ob das Feuer nach ihm züngelt. Ihm wird heiß. So völlig echt. Der durchdringend schneidend-grelle Gitarrensound und Flammen, die wild lodernd nach ihm greifen.
„Nein!“, schreit Andy, springt gleichzeitig auf, um die Musik auszumachen.
„Siehst du“, sagt Max zu Georg, der das Verhalten von Andy als Zustimmung seiner Ansichten wertet. „Wir werden andere Musik machen, viel besser als dieses plumpe Zeug!“
Andys Blick fällt auf das Cover der CD.
„Was hast du denn heute, Andy“, fragt Georg besorgt. „Dauernd starrt er in der Gegend rum“, wendet er sich erklärend an Max.
„Schaut mal“, mit diesen Worten reicht Andy ihnen die CD-Hülle.
„Ich kenne den Scheiß!“, fährt Max ihn an.
„Und...?“, fragt Georg ungeduldig.
„Stellt euch mal vor, wir werden ebenso mit Fäden gelenkt, wie diese Menschen auf dem Cover. Irgend so ein Monster zieht an Fäden und wir machen – wie Marionetten – was es will.“
„Ph“, entfährt es Max. „Ich mache, was ich will!“
Georg legt Andy seine Hand auf die Schulter: „Was ist denn los?“
„Schau dir mal an, was da auf der Wand steht!“
„Black Mass“, gibt Georg trotzig zurück.
„Hast du dir mal Gedanken gemacht, was das bedeutet?“
Georg heult nun spöttisch wie eine Sirene auf: „Fängst du jetzt auch noch zum Spinnen an?“
Nach einer Pause fährt er fort: „Alles nur Worte!“
Max weiß nicht genau, was abgeht, aber er verlautet: „Genau, alles nur ein Spiel!“
„Wie ein Horror-Film“, ist Georg erneut zu hören. „alles Phantasie, nur zu unserer Unterhaltung!“
„Ohne Bedeutung“, pflichtet Max bei. „Die ganzen Bands machen das, um zu schocken.“
„Werbegag!“
Max und Georg sind sich einig. Andy zuckt mit den Schultern. „War nur so ein Gedanke!“
„Zeit wird es, dass du auf andere Gedanken kommst“, sagt Max fest, und an Georg gewandt: „Dank deiner heldenhaften Tarzaneinlage an den Weintrauben, hat uns mein Vater verboten, bei uns zu proben.“
„Was?“, entfährt es Georg.
„So ein Mist! Was machen wir jetzt?“, will Andy wissen
„Jetzt drücke ich mal eine Scheibe rein!“, verlautet Max. „Dann kann man besser denken!“
Erneut ertönt Musik.
„Den alten Schinken...“
„Ist deine Scheibe“
„Früher habe ich so Zeug gehört, aber jetzt...“, Georg hebt seinen Finger: „...wir proben einfach bei uns!“
Erwartungsvoll blickt er die beiden an.
„Das ist eine gute Idee. Immerhin ist ja bei euch im Zimmer unser Bandlogo.“
„Fragt sich, wie lange noch.“
Beide sehen Andy entgeistert an. Dieser zuckt mit den Schultern.
„Das ist mir zuviel“, stöhnt Georg. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Macht, dass ihr rauskommt!“
„Ja“, stimmt Andy zu, „eine Luftveränderung habe ich dringend nötig.“
Max und Andy gehen noch die Treppe hoch, als Georg schon auf seinem Bett liegt – seine Matratze liegt natürlich nicht auf dem Boden. Er ist so erschöpft, das ihm vorkommt, Karussell zu fahren und so drehen sich seine Gedanken um das eine Thema: Isabella!
„Ich muss sie haben. Hoffentlich nimmt sie mir die Spöttelei nicht übel, die ich über ihren Hokuspokus gemacht habe. Hoffentlich geht bald was mir ihr...Wenn ich erst mal ein berühmter Musiker bin, dann....dann kommt sie angekrochen. Ja, dann bekomme ich die Schönsten...und eines Tages heißt es: Tschüss Isabella!“
Bevor Andy und Max im Wald verschwinden können, begegnen ihnen ein paar Kirchgänger.
„Schau sie dir an, diese Pharisäer. Rennen am Sonntag in die Kirche und sind während der ganzen Woche die größten Schweine!“
Max bestätigt Andys Worte mit Kopfnicken, lässt sich aber dann doch tief herab, um sich zu diesem Thema ebenfalls zu äußern: „Lauter Spießer, haben keine Ahnung vom Leben. Tun nur, was alle machen, ohne selbst zu denken!“!
Mittlerweile im Wald, lehnt sich Andy an einen dicken Baumstamm. Mit geschlossenen Augen schwärmt er: „Der Wald, die frische Luft, die Sonne...alles tut so gut hier. Manchmal muss ich raus und alles hinter mich lassen....alle Routine...alle Zwänge, Ängste und Fragen.“
Skeptisch blickt Max Andy an. So hat er ihn noch nie erlebt.
„Man sollte wirklich aussteigen...raus aus der Tretmühle der Luxusgesellschaft. Lehmhütte. Selbsternährer. Die Industrie zerstört die Natur. Kein Auto haben. Wirklich alles anders machen...“
„Aber wie willst du in deiner Lehmhütte Musik hören, oder auch deinen Verstärker zum Leben erwecken?!“
Andy sieht ihn verdutzt an. Fängt sich aber wieder.
„Völlig anders leben....“
Bei diesen Worten sieht Andy Max scharf an: “Du willst doch auch nicht alles so machen, wie die anderen. Aber du bist doch genauso ein Spießer...du redest doch nur: Handle!“
„Moment mal“, erwidert Max wild, „nur weil ich nicht in einer Lehmhütte leben will, bin ich noch lange kein Spießer!“
Unangenehme Stille.
„Jeder soll selbständig denken und eine eigene Persönlichkeit sein...“
„Du wirst doch von deiner Umwelt geprägt. Du bist ein Produkt...“
„Ich bin ein selbständiger Mensch. Mach nur das, was ich für richtig halte. Meine Denkweise und Einstellungen kommen aus mir...“
„Du bist abhängig!“
„Ich bin selbständig!“
„Wach doch auf! Du lebst von deinen Eltern!“
Abruptes Schweigen reißt auf wie ein schwarzer Abgrund.
„Ich meine...“, fängt Max zaghaft und unsicher an, „...ich denke doch an das wahre, eigentliche Ich.“
Max holt zu einem Rundumschlag aus: „Ich bin ein denkendes, selbständiges Individuum, egal wie die Umstände sind.“
„Träumer!“
Max will erneut aufbegehren, doch Andys wegwerfende Handbewegung gräbt ihm den Raum zu antworten ab.
„Ich denke mir oft“, setzt Andy an, „warum nicht so sein, wie alle anderen? Einfach mitlaufen, nicht nachdenken und auffallen! Man ist beliebt...“
Wieder ein wegwerfende, resignierende Handbewegung von Andy: „Max, warum sind wir nicht mit dem `Normalen` zufrieden?“
Max antwortet: „Weil wir eben nicht normal sind!“
Stolz und zufrieden mit seiner Antwort lächelt Max Andy an.
Selbstvergessen, wie aus einer anderen Welt spricht Andy weiter: „Weißt du überhaupt, was ‚ Black Mass’ bedeutet...und was die Leute da tun?“
Max schüttelt den Kopf.
„Du sagst doch immer, dass du nachdenkst!“, provoziert Andy Max spöttisch.
Nach einer Zeit der Stille spricht er weiter: „Diese Leute beten Satan an und opfern Tiere, sogar Menschen....“
Max beginnt laut zu lachen: „Und so was glaubst du? Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.“
„Schau doch mal die CD-Covers der Musikgruppen an, die wir so hören...“
„Hör auf damit!“
Beide sind erschrocken über die Schärfe des Tonfalls, mit dem Max gesprochen hat. Wieder einmal wird Letzterem bewusst, dass Andy mehr weiß, als er selbst. Er war darüber auch schon oft deprimiert, doch jetzt verlautet er selbstsicher und inbrünstig: „Mir ist das alles ganz egal! Ich bin mein eigener Herr und mache, was mir Spaß macht. Lasse mir von niemandem sagen, was ich tun oder lassen soll!“
Erneut herrscht eine unangenehme Stille, die Max verächtlich durchbricht: „Tiere opfern...Satan anbeten...was hat das mit Musik zu tun?“
Fragend sieht er Andy an.
„Ich höre mir eine Scheibe an und genieße die Musik. Was hat das andere damit zu tun?“
Andy erwidert knapp: „Ich wollte dir nur mal Bescheid geben...“
Max bemerkt Andys Gleichgültigkeit, die ihn von Zeit zu Zeit befällt und einnimmt wie ein wildes Tier.
„Außerdem“, fügt Max gedehnt hinzu, „wo wäre die Alternative zum Tiere opfern und Satan anbeten? Etwa der langweilige Sonntagsgottesdienst der Spießer?“
Max lacht, denn er weiß, dass er Andy erwischt hat. Erneut zuckt dieser mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, nach einiger Zeit fügt er hinzu:
„...noch nicht.“

3.

Der Tag ist grau in grau. Nebel, etwas Regen, Kälte. Sein Innenleben sieht genauso aus. Max kauert in seinem Stuhl, die Augen geschlossen. Plötzlich tippt ihn jemand an die Schulter.
„Ach, die...“
Die Frau bewegt ihre Lippen. „Komisch“, wundert sich Max, „dass ich nichts verstehe?“
Sie deutet auf seine Ohren.
„Ah!“
Max zieht die Hörstöpsel, die völlig vibrieren - was Rückschlüsse auf die extreme Lautstärke erlaubt - aus den Ohren.
„Max!“, sagt seine Lehrerin scharf. „Du musst über diese Exkursion einen Bericht schreiben. Also pass gut auf!“
Max grinst spöttisch, was sie noch wütender macht.
„Du stehst, was deine Noten betrifft, auf der Kippe. Also...“, sie hebt ihren Zeigefinger, „reiß dich zusammen!“
Unbeeindruckt blickt Max ihr nach.
„Dumme Gans...aber tolle Figur.“
Der Bus hält. Einer der Lehrer spricht mit einem Pförtner. Dieser nickt wissend mit dem Kopf und die Schranke öffnet sich. Langsam fährt der Bus durch enge Straßen, vorbei an ewig hohen Kaminschloten. Eisenrohre – exzentrisch verbunden, stellen eigenwillige Gebilde dar. Max kommt sich wie in einem Sience-Fiction Film vor. Eine andere, kalte Welt ist das für ihn. Beschleicht ihn Angst und Unsicherheit? Sehnt er sich nach Geborgenheit? Er ist geneigt, die Kopfhörer wieder aufzusetzen, um mit Hilfe seiner Musik in eine andere – in seine Welt – abzutauchen.
Doch nun hält der Bus endgültig. Die Schüler steigen aus. Max verlässt als
Letzter den Bus. Der Fahrer grinst ihn an. „Wieder dieser dicke Spießer! Was will der von mir?“
Die Klasse verschwindet durch eine Tür, die vom Werkschutz flankiert wird. Max fühlt sich wie in einem Gefängnis. „Ich würde hier nie arbeiten!“
Sie befinden sich in einem großen Raum.
„Bitte setzt euch“, fordert ein junger Mann die Besucher auf.
„Wie in der Schule....toll!“
Natürlich wählt Max die letzte Reihe. Der junge Mann und eine adrette Frau präsentieren die Arbeit der Fabrik. Viele Sparten, interessante Berufe, gute Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. Es werden nur die Besten genommen.
„Bla, bla, bla...kenn ich schon“, denkt Max, „interessiert mich nicht!“
Er gähnt laut. Mitschüler lachen. Max macht das Victory-Zeichen.
„Hallo, wie heißt du?“, wird Max von dem jungen Sprecher angeredet.
„Max!“
„Was gefällt dir in der Schule am meisten?“
„Die Pause!“
Noch mehr Gelächter.
Die Lehrkräfte schütteln die Köpfe, reden mit dem Vortragenden. Dieser greift einen anderen Schüler heraus. Gelangweilt blickt Max umher. „Ich werde sowieso Rockstar.“
Plötzlich schlägt sein Herz schneller. Da sitzt S i e! Wunderschön. Natürlich hört sie eifrig zu, lächelt freundlich. Eigentlich eine Streberin. Aber, was soll’s...ihr Lachen, wie sie redet...ihre Figur...
„Ob ich wohl Chancen bei ihr habe“, denkt Max heute etwas kühner. „Blickt sie mich nicht auch manchmal heimlich an?“
Nach einer halben Ewigkeit wird die Klasse im Fabrikgebäude herumgeführt.
„Wann ist endlich Pause?“, seufzt Max. Doch zu seiner Enttäuschung werden sie erneut zum Vortragssaal beordert.
„Hier an der Tafel stehen die Ausbildungsberufe, die in unserem Werk für euch angeboten werden. Ihr bekommt jetzt ein Blatt Papier. Darauf schreibt ihr bitte euren Berufswunsch. Für unsere Statistik. Danke!“
Die Zettel werden verteilt.
„Was kann ich...was soll ich...“
Diese fremde, kalte Welt mit ihren Forderungen! Wieder beschleicht Max ein Angstgefühl. Schnell verschwindet er in der Toilette. Als er wieder rauskommt, ist der Spuk vorbei.
„Endlich Brotzeit!“
Ein Lehrer verlautet: „Bitte, tragt euch ins Gästebuch ein.“
Immer wieder geht jemand hin und schreibt sich ein.
„Soll ich auch?“, fragt sich Max.
„Na, wie hat es dir gefallen?“
„Ach Tom, du weißt ja, dass ich Musiker werden will.“
„Ah...hab ich vergessen“, grinst ihn Tom an.
„Das hier ist mir alles zu spießig“, mit diesen Worten erhebt sich Max grinsend, „ich werde mal meinen Künstlernamen eintragen.“
Nach vollbrachter Tat, gesellt er sich wieder zu Tom, mit dem er sich ganz gut versteht.
Max beißt gerade in sein mitgebrachtes Pausebrot, als ein Lehrer aufgebracht zu hören ist: „Wer war das?“
Nichts ahnend blicken die Schüler zu dem Sprecher.
„Wer hat mit Red Devil unterschrieben.“
„Das ist doch Max“, sind vereinzelt Stimmern zu hören.
Der Mann stürmt auf ihn zu. „Was soll das?“
Stolz verlautet Max: „Das ist mein Künstlername.“
„Bist du noch zu retten? Willst du dich mit dem Teufel einlassen?“
Max schüttelt lachend seinen Kopf. „Sind jetzt alle verrückt geworden?“, denkt er bei sich und antwortet: „Das ist doch nur Spaß!“
„Das ist blutiger Ernst. Satan ist ein Mörder. Er will dich zerstören.“
Max lacht. „Den Teufel gibt es gar nicht.
„Doch den gibt’s!“ wird er von dem Mann unterbrochen.
„Das sind doch nur Worte.“
Der Lehrer will etwas sagen, doch er wird von Max übertönt: „Das ist nur ein Spiel. Den Teufel gibt es nicht und wenn...dann kann er mich mal. Habe nichts mit ihm zu tun!“
Der Lehrer starrt ihn ungläubig an und sagt nach einer Weile fest. „Das Leben ist mehr als ein Spiel.“
Max winkt überheblich ab. Als der Lehrer gegangen ist, deutet ihm Max einen Vogel und sagt zu Tom: „Der spinnt!“
„Dafür ist der ja bekannt“, pflichtet ihm Tom bei.
Nach einiger Zeit gehen die Schüler zum Bus zurück.
„Max!“
Der Angesprochene erstarrt, als er seinen Namen hört. Plötzlich beginnt sein Puls zu rasen und seine Knie fühlen sich so schwammig an. I h r e Stimme. Als er sich umdreht, erblickt er i h r Gesicht. Er versinkt in i h r e n Augen, klebt an i h r e n Lippen. Als er mit „Ja“ antwortet, merkt er, dass er kaum sprechen kann.
„Also“, das Mädchen gibt sich einen innerlichen Ruck, „es ist so...“, sie schluckt, „der Lehrer hat recht gehabt...“
„Nein!“, schreit es in Max auf, „...fängt sie auch noch damit an?“
„Es ist nicht gut, dass du dich Red Devil nennst...“
„Warum?“, unterbricht Max das Mädchen und blickt sie herausfordernd an.
Plötzlich schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf: „Selten eine so gute Gelegenheit gehabt...“, und schon fängt er zu sprechen an: „Manuela, willst du...?“
„Frag mich nicht!“, kommt ihm das Mädchen zuvor.
Erneut versinkt Max in ihren Augen, die ihn groß und verständnisvoll anblicken.
„Sie mag mich“, denkt er, so probiert er es noch einmal: „Willst du...“
„Du sollst mich nicht fragen!“
Diesmal kamen ihre Worte sehr scharf, was ihn aus seinen Heldenträumen
reißt und auf den Boden der nackten Tatsachen stellt.
„Sie mag mich nicht“, hallt es durch den Kosmos seines Gehirns. In ihm sackt alles zusammen, trotzdem gelingt es ihm, Manuela fest in die Augen zu blicken, als er sie mit einem „Also…?“ zu sprechen auffordert.
„Du kannst nicht mit Gott und dem Teufel spielen!“, sagt sie eindringlich.
Max lacht laut auf.
„Komm runter von deinem hohen Ross! Du bist doch nur ein Mensch, von Gott erschaffen...“
„Wie bist du denn drauf?“, unterbricht Max das Mädchen.
„Ohne Jesus kann der Teufel mit dir machen, was er will.“
„Irrtum, ich entscheide selber, was ich will.“
„Sei doch nicht so verblendet!“
Nach einer kurzen Pause spricht sie ruhiger weiter: „Wir können uns aber auch treffen...wenn du mehr wissen willst.“
Max kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.
„Gerne“, antwortet Max noch ungläubig.
Manuela gibt ihm einen Zettel. „Freitag Abend, bei dieser Adresse.“
Die beiden lächeln sich an.
„Bis dann“, sagt sie und geht wieder zu ihren Freundinnen.
Er kann sein Glück nicht fassen. Er hat einen Date mit Manuela. Das hätte er nicht zu träumen gewagt. Beschwingt nimmt er im Bus Platz. Plötzlich wirkt auch die Fabrik gar nicht mehr so düster. Max wird aufs Radio aufmerksam.
„Warum wünschen sie sich diesen Klassiker?“
„Das ist mein absoluter Lieblingssong.“
„Böse Zungen behaupten ja, dass auf diesem Song satanische Botschaften rückwärts eingespielt sind. Was denken sie darüber?“, fragt der Moderator den Anrufer.
„Ach, alles Käse!“
„Ja, wir glauben nur, dass es wunderschöne Rockmusik ist.“
Während das Lied läuft, denkt Max: „Dass werde ich gleich Andy erzählen. Spinner gibt’s!“
Doch dann schließt Max seine Augen und seine Gedanken eilen der Zeit voraus. „Noch 4 Tage“, stöhnt er.

*

„Was willst du für einen Beruf erlernen?“ fragt der Berufsberater.
Selbstsicher antwortet Georg: „Mechaniker.“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich interessiere mich für Autos und repariere meine Mofas schon selber.“
„Du sprachst in der Mehrzahl...“
„Ja, ich habe drei. Davon habe ich eins komplett selbst zusammen gebaut.“
„Na, dann sehe ich für deine Zukunft keine Probleme.“
Die Klasse lacht. Während der Berufsberater sich dem Nächsten zuwendet, spürt Georg einen Ellbogen in seinen Rippen.
„Du alter Streber!“, tuschelt sein Banknachbar.
Georg grinst. „Ich mache mir gerade mein schönstes Mofa noch schneller. Da werden mir die Puppen nur so nachlaufen.“
Sie lachen leise.
Endlich der Pausengong. Schnell läuft Georg die Treppe hoch. Da ist sie.
„Hallo!“
„Hi“, grüßt sie lässig zurück und will vorbei gehen.
„Isabella, warte mal.“
Das Mädchen stellt sich vor ihn hin und beobachtet, wie ihre Reize, die sie geschickt einsetzt, zu wirken beginnen.
„Können...können...“, Georg ist ganz benebelt. „Können wir uns mal
alleine treffen?“
Isabella sieht ihn tief an.
„Willst du mir deine Briefmarkensammlung zeigen?“
Sie lacht.
„Nein...oder doch, wenn du willst...“ Georg setzt neu an: „Heute ist doch Freitag, ich kann dich mit dem Mofa abholen und...“
„Das ist eine super Idee. Du weißt ja wo ich wohne.“
Georg muss tief schlucken. „Bis heute Abend.“
„Dann kannst du mir zeigen, was du so alles drauf hast.“ Sie zwinkert ihm zu und dreht sich um.
Während Georg nach unten geht, beschleicht ihn ein seltsames Gefühl. „Und wenn sie mich verarscht?“ Doch er wischt den Gedanken wieder fort.
„Warum sollte sie?“
Er geht auf die Bank zu, die unter dem großen Bäumen auf dem Pausenhof steht. Dort wird er von seiner Clique begrüßt: „Hey, du Reißer. Hat es geklappt?“
„Sowieso, Isabella liegt mir zu Füßen. Heute Abend geht’s ab.“
Überall ertönen Gratulationsrufe.
Normalerweise ist Georg eher ein aufmerksamer Schüler, der meistens gut mitarbeitet, doch als zwei Sunden später der Gong das Ende des Schultages verkündet, hätte er nicht sagen können, was für Stoff im Unterricht durchgenommen wurde. Seine ganzen Gedanken drehten sich um d a s Ereignis!
Schnell eilt Georg zu seinem Mofa, lässt es an und fährt in die Stadt. Natürlich muss er einen neuen Duft kaufen, einen besonders männlichen. Zuhause angekommen blickt er auf die Uhr.
„Noch fünf Stunden. Ich bin so aufgeregt. Wie halte ich das bloß aus?“
Fahrig durchblättert er die riesige CD-Sammlung.
„Musik ist mein Leben“, lächelt er versonnen vor sich hin, als Georg das Motto ihrer Band murmelt. Doch jetzt verdunkeln sich seine Gesichtzüge:
„Habe ich bisher immer gedacht.“
Lustlos lässt er seine Suche und wirft sich aufs Bett.
„Was macht mich nur so süchtig nach ihr?“
Unruhig erhebt er sich und geht im Zimmer auf und ab.
„Ich habe bei Mädchen meistens Erfolg. Schon viele gehabt...bei Isabella ist es anders. Was fasziniert mich an ihr? Es ist fast schon...magisch.“
Abrupt bleibt er stehen.
„Ich muss mich ablenken.“
Rasch zieht er sich um und eilt die Treppe hoch.
„Ich war sowieso nie ein Stubenhocker.“
Einige Minuten später quält er sich den steilsten und längsten Berg hoch, den es hier in der Umgebung gibt. Sein ganzer Körper schreit danach, sich auszuruhen.
„Nein!“, sagt er zu sich selbst „Du steigst jetzt nicht ab!“
Stattdessen schaltet Georg einen Gang höher.
„Wahnsinn!“
Endlich ist er oben.
„Nein! Du steigst nicht ab!“
So tritt er weiter in die Pedale, auch, als erneut eine leichte Steigung
beginnt.
„Da sind wir!“ pustet er.
Abrupt fährt er in den Wald hinein. Ein begeistertes Kampfgebrüll ist zu hören, während er viel zu schnell den steilen Abhang hinunterrast. Geschickt lenkt er an Baumstämmen vorbei. Zweige brennen im Gesicht.
„Mist!“
Doch zu spät sieht er den dicken abgebrochen Ast am Boden, der vom nassen Herbstlaub halb verdeckt ist. Blitzschnell reißt er das Rad vorne hoch, kracht mit dem Hinterrad über das Hindernis und schon muss er alle Kraft aufbieten, damit ihm das Vorderrad nicht ausbricht. Erneut lenkt er um dicke Baumstämme herum. Da ist schon der Bach. Sicher nimmt er
das steile Ufer. Wasser und Dreck spritzen meterweit, als er das Bachbett durchquert. Am anderen Ufer bleibt er völlig außer Atem stehen.
„Geil! Hier macht es einfach am meisten Spaß!“
Er steigt ab, eilt zum Ufer. Durchsucht vorsichtig an einer Stelle das hohe Ufergras.
„Ah, eine gefangen!“
Schnell zieht er der Bisamratte das Fell ab. Das Wasser färbt sich blutig.
„Das bringt mir wieder Kohle.“
Er kontrolliert mehrere Fallen. Doch diese sind leer.
„Mist“, zischt Georg, „aber eins ist besser als keins.“
Zufrieden durchstreift er den Wald. Bei seinem Lieblingsbaum angekommen, beginnt er zu klettern. Er kennt jeden Ast. Da das Holz aber schon sehr feucht und rutschig ist, muss er besonders aufpassen. 30 Meter oberhalb des Waldbodens, fast im äußersten Wipfel der Baumkrone, tut sich ein herrliches Panorama auf. Er überschaut den großen Wald, der aus einem Meer von bunten Baumkronen besteht. Über die Wiesen hat sich schon etwas Nebeldunst gelegt. Alles malerisch beschienen von einer starken Nachmittagssonne.
„Was für ein Glück zu leben.“
Mit Freude erfüllt, macht er sich auf den Weg nach unten.
„Wer weiß, vielleicht ist das der letzte schöne Tag vor dem Winter.“
Fehlt nur noch zu seinem Glück, dass heute Abend alles glatt geht.
„Isabella“, lässt er ihren Namen auf der Zunge zergehen.
Plötzlich schwindet das freudige Glücksgefühl, mutiert zu einem schalen Etwas. Um sich abzulenken, fetzt Georg durchs Unterholz und landet wieder auf der geteerten Straße. Er schießt, ohne zu bremsen, den extrem langen, steilen Berg hinab. Nun ist er wieder überzeugt: „Die Isabella ist fällig!“
Schnell aber gründlich macht er sich frisch und hüllt sich in eine Duftwolke seines neuen Deos. Zufrieden betrachtet er sich im Spiegel. Lederjacke, lockige Haare und ein unwiderstehliches Lächeln...die Isabella kann gar nicht anders. Natürlich ohne Helm saust er auf seinem schnellsten Mofa zum vereinbarten Treffpunkt.

*

Lässig lümmelt er im Stuhl. Die Haare hängen ihm ins Gesicht, das man
somit nicht erkennen kann. Der Mann blickt ihn erstaunt an und denkt sich: „Wusste gar nicht, dass man zu solchen Verrenkungen fähig ist.“
„Hallo, Andy.“
Dieser grüßt freundlich zurück. Wobei er seine Haare aus dem Gesicht schüttelt.
„Du weißt, warum du hier bist?“
Er nickt mit dem Kopf.
„Deine Leistungen sind erstaunlich. Ob das Mathe, Deutsch oder Kunst ist.“
Andy lächelt.
„Du solltest wirklich ein Studium anstreben.“
„Sie wissen doch, dass ich Musiker werden will.“
„Kein Problem. Bewerbe dich an einer Hochschule...“
„Rockmusiker!“, unterbricht ihn Andy knapp. Aus Nachsicht mit den verklemmten Ansichten seines Dirktors erklärt er dann doch: „Diese studierten Affen...“
Der ältere, gutmütige Mann zuckt sichtlich zusammen, was Andy zwar wahrnimmt, aber den Grund dafür nicht begreift.
„...können gut in Technik sein. Verfügen über beträchtliches Wissen...“, Andy macht eine Pause, um damit die Wichtigkeit des Folgenden zu unterstreichen: „...haben aber kein Feeling. Sie sind stocksteif. Nur vorgegebene Noten. Keine Improvisationen!“
„Nun, also...“, stammelt der Direktor und fährt strenger fort: „...Rockband! Damit ist doch keine Zukunft zu machen. Studiere Mathe oder...“
Andy winkt ab. Der Direktor spürt den Hauch von Abgeklärtheit und Resignation.
„Was ist mit diesem jungen Menschen los?“, fragt er sich und bringt zum Ausdruck: „Falls du es dir anders überlegst, kannst du dich jederzeit an mich wenden.“
„Danke“, erwidert Andy.
Draußen packt Andy sein Rad, das immer schlimmer quietscht und scheppert. Trotzdem grüßen ihn jede Menge Mädchen äußerst freundlich. Er erwidert diese Zuneigung sehr nüchtern und unbeteiligt. Man weiß nie, woran er gerade denkt. Hört er zu oder ist er meilenweit entfernt. Wie sooft fährt er in den Wald, um verschieden Dinge in der Natur zu zeichnen. Stundenlang kann er damit Zeit verbringen.
„Wer weiß, wahrscheinlich ist heute einer der letzten schönen, warmen Tage vor dem Winter.“
Als es kühl geworden ist, beendet er seine Blätterstudie und fährt nach Hause.
„Wah, das ganze Zimmer stinkt wieder nach seinem Deo!“, entfährt es Andy. Schnell reißt er das Fenster auf. Er greift zu einer Gitarre und versinkt für eine Ewigkeit in seiner Welt. Plötzlich beschleicht ihn ein unheimliches Gefühl. „Es ist wieder da!“
Aber was ist es? Es macht Angst. Er springt auf, legt eine CD ein, liest ein Buch, schreibt ein Lied. Möglichst alles gleichzeitig...doch im Untergrund nagt etwas. Er kann es nicht verdrängen. Vielleicht kann er es klein
halten, steuern, doch es ist nicht auszulöschen. Es ist etwas da!
„Nur was?“
Von draußen hört er Glocken läuten. Abendmesse. Es klingen Max’ Worte in ihm nach: „Was ist die Alternative? Der Gottesdienst der Spießer?“
„Mal sehen“, flüstert Andy leise. Und verlässt das Zimmer mitsamt der Unheimlichkeit.
„Es ist weg...abgeschüttelt.“
Erleichtert atmet Andy aus. Als er die schwere Seitentür der Kirche öffnet blicken ihm entsetzte und überraschte Augen entgegen. Langsam schwebt er durch den Gang mit seiner alten, weiten, buntgestreiften Hose und seinem abgewetztem Sakko. Genüsslich nimmt er das Entsetzen einer Oma wahr, als er seine Mähne schüttelt.
Klingel. Orgel. Priester mit Ministranten marschieren.
„Hübsche Verkleidung...können glatt mit mir mithalten“, denkt Andy spöttisch.
Er sieht sich um. Die Kirchenbänke sind locker gefüllt. Ältere Leute. Doch auch ein paar jüngere sind da. Der Priester breitet die Arme aus, liest aus einem Buch vor, das ihm eine Ministrant hinhält. Alles läuft ab wie immer: stehen, setzen, knien und singen, beten, lachen...
„Lachen!“
Andy blickt sich erstaunt um. Ein kleines Kind hat seinen Spaß. Seine Blicke durchstreifen erneut das Gotteshaus. Verknöcherte Gesichter, ernst. Andy zwinkert dem Kind zu. Das einzige Lebendige hier, wie es scheint.
Irgendwann hebt der Priester die obligatorische Oblate hoch. Sein Blick trifft den Hochaltar. Eine liebliche Madonna im Mittelpunkt, umgeben von heroischen Männern. Wie lange war er nicht mehr in dieser Kirche? Die Bilder sind schön, künstlerisch und doch irgendwie plump.
Jetzt knien alle nieder. Schwer lastet die Mystik über dem Raum. Deutlich zu spüren. Etwas klingt aus seiner Kindheit an. Nach der Beichte seiner Sünden und der Lossprechung durch den Pfarrer empfand er da nicht dasselbe? Irgendwie eine heilige Scheu, Ehrfurcht, Respekt...vor etwas Übernatürlichem, das ihm Erleichterung verschaffte, sogar Freude und Frieden. Verdutzt kniet er ebenfalls nieder und beobachtet das Geschehen
vorne um den Altar. Etwas ist da. Etwas, das man nicht sehen oder angreifen kann, etwas Übernatürliches. Zu seiner Verwunderung muss er feststellen, dass er aber jetzt keine Angst davor hat. Also gibt es doch Gut und Böse, nicht nur hier auf Erden, sondern gerade im Übernatürlichen. Sollte es tatsächlich so sein, dass das Sichtbare das Unsichtbare widerspiegelt, dass das Diesseits vom Jenseits geprägt und gelenkt wird? Nach dem Gottesdienst ist Andy voller Fragen. Er muss allein sein, um nachzudenken. So geht er noch lange spazieren.

*

Das Haus liegt vollkommen im Dunkeln da. Mit Unbehagen klingelt er. Über die Lautsprechanlage meldet sich eine Frauenstimme: „Komm rein!“
Ein Summton. Georg macht das Gartentor auf und geht vorsichtig auf
einem Pflasterweg zur Haustür. Der Garten ist kunstvoll angelegt, was man sogar trotz Dunkelheit erahnen kann. Verwundert sieht er wieder auf das dunkle Haus. „Warum brennen keine Lichter?“
Es öffnet sich die Tür und Kerzenschein ist zu erkennen. Schwach erkennt er das Gesicht von Isabella.
„Ist der Strom ausgefallen?“, witzelt Georg.
Ernst erwidert sie: „Komm rein. Meine Eltern sind nicht da.“
Mit großen Augen sieht Georg sie an: „Wir sind allein?“
Geheimnisvoll blickt sie ihn an und meint lächelnd: „Bist du angewurzelt?“
Schnell tritt er ein. Das Haus ist vollkommen duster, nur der Kerzenschein erhellt dürftig die Umgebung.
„Komm mit in mein Zimmer.“
Sie geht vor ihm die Treppe hoch. Georg gerät ins Schwitzen. Ob das von dem anstrengenden Treppensteigen herrührt? Oben angekommen leitet sie ihn in ein Zimmer, das ebenso spärlich beleuchtet ist. Auf einem schwarzen Tisch stehen zwei Kerzen. Leise läuft Musik, schneidend-scharfe Gitarrenriffs.
„Hey!“, entfährt es Georg jubelnd. „Es scheint, wir hätten den selben Geschmack!“
„Na dann kann ja nichts mehr schief gehen.“
Souverän setzt sie sich auf die Couch. „Komm!“ und deutet ihm mit der Hand, neben ihr Platz zu nehmen. Natürlich setzt sich Georg so nahe wie möglich an sie ran. Er spürt ihren Körper, versinkt in ihren Augen. Ihre Lippen...so nahe.
Doch irgendetwas stimmt nicht. Noch vor wenigen Minuten hätte er alles dafür gegeben, eine solche Gelegenheit wie diese zu bekommen. Aber jetzt ist ihm eigenartiger Weise alle Lust vergangen. Er sieht sie erneut an, kommt sogar mit seinem Kopf noch etwas näher.
„Komisch...“, denkt Georg.
Er fühlt sich....wie gefangen. Ist das hier eine Falle? Aber welche? Wozu? Isabella setzt ihren Oberkörper in Szene. Das enge T-shirt verrät mehr von ihrem Körper, als es verbirgt. Da erkennt er eine Tätowierung.
„Was ist das?“ fragt er sie.
Wissend lächelt sie.
„Kennst du das Zeichen nicht? Es ist das selbe, das auf dem CD-Cover zu sehen ist, das du scheinbar auch zu Hause hast.“
Verwirrt sieht Georg Isabella an.
„Mir gefällt die Musik, nur die Musik...weiter nichts!“
„...weiter nichts...“, wiederholt sie überlegen seine Worte. „Dann ist ja alles in Ordnung.“
Sie wirft ihre langen Haare zurück und nähert sich mit ihren Lippen den seinen. Da fällt ihm erneut etwas auf.
„Sag mal, diese Ohrringe...“
Isabella lacht. „Wie sagen ein paar gescheite Leute? Wenn man Kreuze verkehrt rum trägt, dann ist das ein Zeichen von verzweifelter Rebellion.“
Herausfordernd blickt sie ihn an. Sie lacht erneut: „Siehst du, wieder alles
in Ordnung!“
Schwungvoll erhebt sie sich: „Willst du was trinken?“
„Gute Idee.“
„Wie wäre es mit...“
„Hast du Wasser?“
Das erscheint Georg in dieser Lage am sinnvollsten.
„O.K.“
Sie geht zu einem Schrank, öffnet eine Tür, nimmt zwei Gläser heraus und stellt sie auf den Tisch. In einer Ecke befindet sich scheinbar verborgen ein Getränketräger. Tatsächlich kommt Isabella mit einer Flasche Wasser zurück. Sie gießt in sein Glas zuerst ein. Das Mädchen tut alles betont langsam und gelassen.
„Weißt du, ich bin voll fasziniert vom Übernatürlichen.“
Mit diesen Worten setzt sie sich neben ihn.
„Das Leben hier, das ist zu wenig.“
Georgs Gesichtsausdruck ist ein Fragezeichen.
„Warum? Mir macht das Leben Spaß. Immer was los. Sport, Feiern und natürlich Musik.“
„Hast du eigentlich schon mal die Texte von „deiner“ Musik durchgelesen?“
„Fängt die jetzt auch noch mit diesem Idiotenkram an...wie Andy?“
„Oder hast du Interviews gelesen...?“
Georg winkt ab und sagt energischer, als er will: „Das ist doch nur Gerede. Alle nur Fantasie!“
„Ein Spiel“, wirft Isabella spöttisch hinzu.
„Genau, ein Spiel.“
„Und darum hast du uns neulich auch beim Glasrücken verarscht!“
Georg wird bleich.
„Woher...?“
„Die Stimme verrät mir alles.“
„Was für eine Stimme? Was redest du da?“
Genüsslich lehnt sie sich zurück.
„Hexen faszinieren mich! Dich auch?“
Georg gibt ein hilfloses „Pff“ von sich.
„Ich lese alles darüber.“
Sie macht mit ihren Armen eine allumfassende Geste.
„Wir sind umgeben von Wesen, Geistern, Mächten. Das, was du siehst, ist nur schwache Materie. Das eigentliche Leben spielt sich im Unsichtbaren ab.“
Georg kann es nicht fassen, was scheinbar auch seine Gesichtszüge ausdrücken.
„Wir können uns diese Kräfte dienstbar machen.“
„Du spinnst“, bricht es aus Georg heraus. „Du lebst ja im tiefsten Mittelalter...“
„...da wäre ich verbrannt worden“, unterbricht Isabella Georg stolz.
„Früher haben sie von Gott und Teufel gesprochen, um die Menschen in Angst zu halten...lächerlich!“
„Das stimmt“, pflichtet ihm Isabella bei. „Es ist Schwachsinn das Übernatürliche in Gut und Böse einzuteilen.“ Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Außerdem, wir Menschen sind schwache, diesseitige Wesen, wie können wir uns anmaßen das Unsterbliche, das Übernatürliche zu beurteilen? Nein! Die dualistische Sichtweise ist falsch. Alle Geister sind gut...allerdings gibt es schon – ich würde sagen – Wesen, die es nicht immer ganz so gut meinen und ein klein wenig Schabernack treiben...“
Isabella beugt sich vor und die beiden blicken sich aus nächster Nähe tief in die Augen. „...aber so sind wir Menschen doch auch. Die einen treiben mehr Unfug und die anderen weniger.“
Sie erhebt sich und geht zur Stereoanlage und plötzlich läuft eine verträumte Musik, zu der sie sich bewegt. Georg sieht ihr zu, gebannt kann er keinen Augenblick wegschauen. Sie tänzelt zu ihm hin, zieht ihn hoch. Engumschlungen wiegen sich die beiden im Strom der Musik. Irgendwann blickt ihm Isabella fest in die Augen und flüstert in sein Ohr:
„Liebster, willst du meine Füße küssen?“
Georg, nun doch von einem starken Verlangen nach diesem Mädchen überrollt, geht auf die Knie und küsst ihre Füße unaufhörlich.
„Isabella...!“
Zärtlich streichelt sie ihm über den Kopf und haucht: „Warte.“
Rasch geht sie durch den Raum und dreht an einem Dimmer. Das Zimmer wird in ein sanftes Rot getaucht. Da trifft es ihn wie ein Hammerschlag als er bemerkt, dass er auf dem Boden kniet mitten in einem riesigen Fünfzackstern, der von einem Kreis umgeben ist. Mit panischem Entsetzen springt er aus diesem Kreis heraus, als ihm einfällt, was das bedeutet.
„Ein Satansstern...“
Isabella lacht.
„...oder ein Hexagramm...kommt auf den Blickwinkel bzw. Standpunkt an.“
„Was soll das?“, entfährt es Georg.
„Aber....aber...“, lächelt sie höhnisch, „das ist doch alles nur ein Spiel...“
Verstört sieht Georg Isabella an, die plötzlich ernst zu sprechen beginnt: „Ich dachte, nachdem für dich das Glasrücken zu kindisch ist, führe ich dich zu Höherem....“
Da öffnet sich die Tür und ein paar dunkle Gestalten strömen ins Zimmer.
„Was haben die vor?“, denkt Georg.
Er hat das Gefühl, dass er hier nicht mehr heil rauskommt.
„Da kennen mich diese Typen aber schlecht!“
Der Abenteurer erwacht in ihm. Blitzschnell springt er zum Tisch, reißt ihn hoch. Die Kerzen fallen herab, stecken irgendetwas in Brand, Isabella schreit. Wild schlägt er mit dem Tisch um sich. Schmerzenschreie.
„Jetzt bist du fällig!“
„Packt das Schwein!“
Schnell huscht er durch die Tür und läuft die Treppe hinab. Da es dunkel ist, gerät er ins Stolpern und kollert die Stiege hinab. Benommen erhebt er sich. Oben tobt das Chaos.
„Keine Zeit für...“
Er reißt an der Haustür. Sie ist verschlossen und kein Schlüssel steckt.
„Scheiße!“, entfährt es Georg.
Rasch tastet er sich an der Wand im Gang entlang, öffnet eine Tür, durchquert die Küche, reißt ein Fenster auf und springt ins Freie.
*

Nach einer halben Ewigkeit geht Andy zufrieden die Treppe hinab.
„Ich werde gleich ein Stück komponieren, um diese neue Erfahrung zu thematisieren.“
Er betritt das Zimmer und sieht zu seiner Überraschung, Georg auf seinem Bett sitzen.
„Na, na, du schon hier...und keine Musik an...was ist los?“
„Die Isabella hat einen Vogel...zuerst tut sie so, als ob sie was von mir will, dann redet sie von Stimmen, Hexen und Kräften, die sie sich dienstbar machen will und schließlich tauchen da ein paar Typen in ihrem Zimmer auf, die scheinbar alles mitbekommen haben.“ Georg schüttelt den Kopf: „Wo bin ich da reingerutscht?“
Andy sieht ihn betroffen an. „Schön langsam rundet sich das Bild“, sagt er mehr zu sich selbst als zu Georg.
Dieser sieht ihn fragend an.
„Ich war im Abendgottesdienst...“
„Was warst du?“, ruft Georg ungläubig aus.
„...im Abendgottesdienst...“, wiederholt Andy nochmals beiläufig, so als sei es das Selbstverständlichste, was es gibt. „Es hat mir Frieden gebracht...“
Georg lacht. „Jetzt drehen alle durch!“
„Der Teufel will Angst erzeugen, doch Gott schenkt Frieden...“
„Du lebst im Mittelalter!“, unterbricht ihn Georg. „Dieser Dualismus ist Blödsinn!“
Plötzlich hält er erschrocken inne. „Das hat Isabella auch gesagt.“
„Was hat sie noch gesagt?“
„Das übernatürliche Kräfte weder gut noch böse sind...“
„Ich habe nachgedacht. Die ganzen Rockmusikgruppen, die wir so hören bedienen sich der Symbolik und Thematik der Bibel.“ Andy macht eine rethorische Pause. „Warum tun sie das?“
Georg schüttelt den Kopf. „Mir gefällt nur die Musik. Was anderes interessiert mich nicht!“
„Nein!“, hakt Andy beharrlich nach, „überleg doch mal! Wenn das Christentum und die Bibel so alte Kamellen sind, 2000 Jahre alt, warum greifen Rockgruppen des 20. Jahrhunderts diese Themen immer wieder auf und bewegen sich darin...“, er macht eine Pause: „...und drehen alles um 180 Grad um?“
Betroffen sieht Georg Andy an, denn es sind ihm die umgedrehten Kreuze eingefallen, die Isabella als Ohrringe trug. Doch er fängt sich wieder.
„So einen großen Unterschied macht das auch nicht, ob jetzt bei einem Kreuz der kurze Querbalken oben, unten oder....“ Georg macht eine wegwerfende Handbewegung: „...von mir aus in der Mitte ist. Das spielt doch keine Rolle!“
„Ja, in gewisser Hinsicht wirkt es lächerlich, die paar Zentimeter. Eine kurze Handbewegung...und schon ist das Kreuz umgedreht.“
Georg zuckt mit den Achseln und nickt mit dem Kopf.
„Alles nur ein Spiel....Worte....“
Andy unterbricht das nun oft gehörte Geschwätz seines Bruders:
„Andererseits...stell dir vor, du willst ein Buch lesen.“
Während er spricht, geht er zum Lichtschalter und dreht das Licht aus. Es
ist stockdunkel.
„Jetzt versuch mal zu lesen.“
„Du Witzbold!“, hört Andy Georg sagen. Andy schaltet da Licht wieder an. „Oder du duscht in der Früh. Mit kaltem Wasser?“
Georg deutet ihm einen Vogel.
„Nur eine kleine Handbewegung in die andere Richtung und schon fließt warmes Wasser.“
„Und?“
„Also, eine klitzekleine Veränderung kann Bedeutendes auslösen. Wohlbefinden oder nicht. Gelingen oder Scheitern. Wenn ich das Kreuz um 180 Grad umdrehe – klar: lächerliche Kraftanstrengung, gleich passiert, kann es aber Aussage und Auswirkung radikal verändern. In der Mathematik, wenn du einfach aus Plus Minus und aus Minus Plus machst – hierbei geht es auch nur um einen lächerlichen Querbalken –...“
„Oh Mann“, unterbricht ihn Georg: „Du redest schon wie ein Professor. Jetzt pass mal auf! Ich genieße das Leben! Und jetzt gehe ich zu meiner Musikkneipe.“
„Ich komm mit“, sagt Andy, „doch ich gehe normal auf meinen Beinen die Treppe hoch und du 180 Grad umgedreht per Handstand.“
Lachen.

*

Immer wieder liest er die Adresse, die auf dem Zettel steht, durch und vergleicht sie mit der Wirklichkeit.
„Es stimmt überein“, murmelt Max vor sich hin, „die Straße, die Nummer...“
Wieder fällt sein Blick auf das Schild neben der Tür: „Charismatische Freikirche“. Ohne das andere zu lesen, was noch auf dem Schild steht, kommt er zu dem Schluss, dass er hier nicht richtig sein kann. So will er sich zum Gehen umdrehen, als die Tür aufgeht.
„Hallo, Max.“
„Hallo...“, antwortet er.
Wieder einmal genießt er ihre Nähe. Der Ärger in ihm ist verflogen, so fragt er: „Das ist also unser Date?“
Max blickt an Manuela vorbei.
„Das sind meine Freunde und Freundinnen.“
Sie lächelt mit einem Lächeln, das Max vollkommen entwaffnet – nahezu jedenfalls.
„Charismatische Freikirche...ist das etwas zum Essen?“
Er lacht. Sie auch.
„Wir werden gleich Lieder singen...“
„Kirchenlieder“, gibt Max spöttisch von sich.
„Nein...mit Band, echt gute Musik.“
Max schüttelt den Kopf. „Mir reichen die Schulgottesdienste... Ich gehe
nicht freiwillig in eine Kirche – langweilig!“
„Du kannst die katholischen Gottesdienste nicht mit unseren vergleichen. Es gibt kein ewig-altes Ritual, das immer gleich abläuft. Jesus ist lebendig, so ist auch unser Treffen lebendig. Jeder kann frei beten, so wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Du kannst sitzen, stehen, tanzen, klatschen....einfach alles tun.“
„Alles?“, will Max zweideutig wissen.
Manuela verdreht die Augen.
Max winkt ab: „Nein , das ist nichts für mich!“
„Du bist doch so ein großer Musikfan. Hörst du dir nicht auch mal neue oder unbekannte Künstler an?“ Manuela sieht Max fest an: „Komm doch mit rein und probier etwas Neues aus.“
Max erwidert den tiefen Blick des Mädchens.
„Was für wunderschöne Augen. Sie blicken so...so...liebevoll.“
Jetzt kommt ihm ein Gedanke. Womöglich fühlt er sich von Manuela nur so angezogen, weil sie ihn immer so liebevoll anblickt.
„So liebevoll....Ha! Sie liebt mich doch“, schießt es ihm durch den Kopf. „Also dran bleiben. Das klappt!“
Musik ist zu hören.
„Hey! Das hört sich wirklich gut an.“
„Dann komm mit!“
Gemeinsam betreten sie das alte Gebäude.
„Wie sie sich freut“, bemerkt Max.
Sie durchschreiten einen langen Gang, der zu einer Tür führt. Manuela öffnet diese und Max gelangt in einen Raum, der ihn sofort beeindruckt. Hell! Alles ist hell. Viele Stuhlreihen sind aufgestellt, aber am meisten erstaunt ist er darüber, dass so viele junge Menschen da sind. Das Mädchen wählt eine der hinteren Stuhlreihen aus. Die Jacke hängt sie über ihren Platz und bleibt stehen, wie die meisten anderen auch. Max lümmelt sich natürlich gleich in seinen Stuhl rein. Seine ganze Sitzhaltung soll verdeutlichen, dass er eigentlich ziemlich unbeeindruckt ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Musik reißt ihn förmlich vom Hocker.
„Mann, das Gitarrensolo...so möchte ich auch mal spielen können.“
Angestrengt sieht er nach vorne, zwischen den Köpfen hindurch, um doch nur ein paar Fetzen der Fingerbewegungen auf dem Griffbrett verfolgen zu können. Für einige Zeit vergisst er, wo er sich befindet. Da erschrickt er. Neben ihm hebt Manuela die Hände, streckt sich weit aus. Ihr Gesicht strahlt glücklich. Sie ist von innen heraus erfüllt. Wovon? Nun beobachtet Max auch die anderen Anwesenden. Viele scheinen ebenso Freude zu spüren wie Manuela. Einige klatschen, einige heben die Hände. Ein paar Jungs sitzen rum und schauen die Mädchen an. Vielleicht sind sie auch nur wegen einem Wesen des anderen Geschlechts da. Erneut blickt er auf Manuela. Ihre Augen treffen sich. „Wie gefällt es dir?“
„Geile Musik, tolle Atmosphäre.“
Sie lacht und wendet sich wieder...ja, wem wendet sie sich denn zu? Er blickt auf die Folie, auf der ein Liedtext steht. Jesus, Gnade, Befreier und so Zeugs.
„Religiöse Lieder halt!“
Jetzt werden Bilder über einen Beamer gezeigt. Interessant!
„Ja, diese Kirche ist schon anders.“
Der Sound wird ruhiger. Jetzt tauchen mehr Worte wie Liebe, Hingabe usw. in den Songs auf. Da bemerkt Max auch die Gemälde, die gut verteilt an den weißen Wänden hängen. Für moderne Kunst hat sich Max nie interessiert. Aber diese Bilder sprechen ihn an.
Plötzlich fangen alle mit so einem komischen Gemurmel an, das mit der Zeit zu einem Orkan anschwillt. Er versteht gar nichts mehr.
„Was nehmen die für Drogen?“, schüttelt er lachend den Kopf.
Auch Manuela betet inbrünstig mit wie die meisten im Raum. Er beobachtet, wie zwei Mädchen erschrocken, ja sogar verärgert, den Raum verlassen. Max zuckt mit den Schultern. Er findest es cool.
„Mal was anderes.“
Dass er das Gemurmel nicht versteht, beunruhigt ihn überhaupt nicht.
„Man muss doch nicht alles verstehen. Hauptsache, es ist verrückt genug und cool.“
Seine Aufmerksamkeit wird jetzt wieder auf die Band gelenkt, die instrumental weiter gespielt hat.
„Ph“, entfährt es ihm anerkennend. „die grooven ganz schön ab.“
Zuerst merkt er es gar nicht, doch er fängt zu schwitzen an. Irgendetwas zittert in ihm.
„Komisch“, wundert er sich, „was geht jetzt ab?“
Ein junger Mann steht vorne auf der Bühne und verlautet: „Gottes Gegenwart ist stark anwesend.“
„Was“, grinst Max. „Wo?“
„Antworten wir auf seine Nähe. Jeder so, wie es für ihn dran ist. Mit Liebe,
Hingabe oder Buße. Legen wir alles vor Jesus nieder. Alle Sünden und Masken. Aber auch alle Rebellion und Unabhängigkeit. Wenden wir uns Jesus mit ganzem Herzen zu.“
Max sieht Manuela an. „Ist es Jesus, dem sich Manuela...und alle hier, so
intensiv zuwenden? Kann man sich einem unsichtbarem Wesen – Fantasiewesen – so hingeben... es so lieben?“
„Geben wir Ihm unsere ganze Liebe. Er, Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist der Einzige, der das verdient.“
„Na, hör mal!“, begehrt es in Max auf. „Der Einzige...!“
Max schüttelt den Kopf. Erneut überfliegt Max die anbetenden Menschen.
„Ganz schön fanatisch. Irgendwie engstirnig. „Der Einzige! Ph!“
Das Zittern in ihm nimmt zu.
„Was ist bloß los mit mir?“
Schweiß tritt in dicken Perlen aus seinem ganzen Körper heraus. Er will schreien. Etwas windet und verkrampft sich.
„Ich halte es hier nicht mehr aus. Raus hier!“
Fluchtartig verlässt Max den Raum, das Haus.
„Max!“
Wieder diese Stimme, die ihm soviel bedeutet. So dreht er sich um und sucht ihre Augen, die ihn einfühlsam betrachten.
„Max...Jesus liebt dich. Er will dir helfen.“
„Jesus? Gibt es ihn überhaupt?“
Sie nickt.
„Der Einzige...!“, stößt Max hervor.
„Ich will dir keine halben Wahrheiten sagen: ja, der Einzige! Er will dein Ein und Alles sein....“
Max lacht: „Manuela, willst du mein Ein und Alles sein?“
Bedächtig schüttelt sie den Kopf: „Jesus ist mein Herr. Er liebt mich....“
„Das ist so fanatisch!“, unterbricht sie Max. „Der Einzige...!“
„Er ist Gott und will mit dir eins sein. Für dieses Ziel hat Jesus alles aufgegeben. Seine Heimat und seinen Reichtum. Seinen Beruf und sein Leben...seine Würde.“ Manuela lächelt liebevoll: „Max, Jesus ist für dich fanatisch geworden...aus Liebe!“ Sanft fügt sie hinzu: „Ergreife seine Hand, die er dir entgegenhält.“
„Wo ist sie denn?“
„Versteh doch, du kannst mit Jesus leben, ihn spüren, ihn hören...“
„Hören?!“, unterbricht er sie.
Sie nickt.
„Bitte ihn, dir zu begegnen...“
Er unterbricht sie erneut: „Ich wollte mit Jesus schon immer auf ein Bier gehen!“
„Ich bete, dass dir Jesus erscheint und dich zu einem Bier einlädt.“
Max sieht Manuela ungläubig an.
„Du bist doch irgendwie schon cool drauf.“
Nach einer Pause setzt er neu an: „Du blickst mich so ...liebst du mich?“
Langsam nickt das Mädchen: „Ja, ich liebe dich.“
Mit dieser Antwort hat Max nicht gerechnet.
„Jesus hat mir soviel Liebe für meine, unsere Generation gegeben...“
„Du liebst alle?“
„Ich versuche...“, beginnt Manuela zu sprechen, doch sie wird erneut von Max unterbrochen: „Wow, da haben wir ja viel gemeinsam, denn meine Vorbilder, die Hippies, hatten ja das Motto: Make love, not war.“
Max bemerkt ihre innere Abwehrhaltung.
„Was passt dir denn daran nicht?“
„Das kann man nicht gleichsetzen.“
„Warum?“
„Die meinten oberflächlichen Sex, ich spreche aber von echter Liebe.“
„Du bist hochmütig!“, fährt sie Max an. „Du meinst wohl, du bist etwas Besseres.“
„Uns treffen doch die Auswirkungen von dieser sexuellen Revolution: Scheidungen, keiner kümmert sich mehr um uns. Wie viele Jugendliche sinken ab in...“
Max grinst: „...in was?“
„...in Drogen, Gewalt, Rechtsradikalismus.“
„Bin ich nicht!“
„Wir suchen doch nach Lebenssinn, nach etwas, das unser Leben erfüllt.“
Betroffen sieht Max das Mädchen an. „Als ob sie meine innersten Gedanken kennen würde.“
„Aber keiner probiert es mit Jesus...“
„...beim Einzigen!“, sagt Max scharf.
Manuela weiß, dass sie genug gesagt hat. Max hat sich versteift in rebellischer Verbitterung.
Ruhig erwidert sie: „Was hilft dir der Spott?“
„Du bist vielleicht moralisch!“
Manuela lacht hilflos. Nun versucht sie es doch noch einmal: „Komm zu Jesus...“
„O.k. ich komme zu Jesus...“
Manuela sieht Max misstrauisch an.
„...wenn er mich auf ein Bier einlädt.“
Lachen.

*

„Wo bist du solange geblieben?“ schreit Georg wegen der lauten Musik.
„Ich habe euch nicht gefunden“, antwortet Max und fächert dabei mit den Händen vor seinem Gesicht herum, „der Nebel hier ist so dicht.“
Sie lachen und nehmen einen tiefen Schluck aus ihren Gläsern.
„Super Musik“, ruft Andy.
“Das stimmt”, kann Max bestätigen, obwohl er erst ein paar Minuten hier ist.
„Wie war es mit Isabella?“
Finster blickt ihn Georg an: „Frag mich nicht!“
„Jetzt erzähl schon!“, drängt Max.
„Sie wollte ihn verhexen“, wirft Andy lachend ein.
„Ha! Ha!“, gibt Georg aufgebracht von sich. „Die spinnt total die Frau!“
„Jetzt erzähl schon, Reißer!“
Andy und Max lachen etwas gehässig.
„Also, zuerst lief alles wie geschmiert. Plötzlich erzählt die von Hexen und Stimmen hören...“
„Was?“, entfährt es Max, der bleich wird. „Sie hört...“
„...Stimmen! Ja! Von ihrem Geistführer oder so.“
Andy schaltet sich ein: „Was ist los mit dir, Max?“
Dieser antwortet: „Nun, ich war mit Manuela auf...“
„Hey!“, bejubelt ihn Georg.
„Schau an...noch ein Reißer!“, gibt Andy seinen Kommentar dazu.
„...mit Manuela auf einen...mh...Treffen. Manuela behauptet, sie kann Jesus hören.“
„Die Weiber spinnen!“, ruft Georg kopfschüttelnd.
„Aber hallo!“, begehrt Max auf. „Meine Manuela kannst du wirklich nicht mit Isabella vergleichen.“
„Das stimmt“, pflichtet ihm Georg bei, „was hat ein Düsenjäger mit einer Schnecke gemeinsam?“
Georg lacht.
Gedehnt erwidert Max: „Deinen Geschmack möchte ich haben...“
„Und was ging so ab auf dem...mh...Treffen mit Manuela“, will Georg grinsend wissen.
„Nein, das war ganz anders, als du denkst“, will Max abwehren.
Doch Andy und Georg blicken ihn abwartend an.
„Nun...“, druckst Max herum, „es war eine religiöse Veranstaltung.“
„Was?“, platzt Georg heraus. „Du warst auch in einem katholischen Gottesdienst?“
Max schüttelt den Kopf. „Meine Einstellung dazu kennst du.“
„Na ja“, entgegnet Georg grinsend, „Einstellungen ändern sich...manchmal ziemlich schnell sogar.“
„Wovon redest du?“, will Max wissen.
Georg deutet auf seinen Bruder: „Andy war heute in der katholischen Kirche.“
„Nein!“, lacht Max.
„Es hat ihm Frieden gebracht“, äfft Georg Andy nach.
„Frieden? Hast du dich denn im Krieg befunden?“, will Max spöttisch wissen.
Diesmal ist es Andy, der sich ziert. Er will nicht, dass ihn die anderen für einen Spinner halten. „Ich habe zwar keine Stimmen gehört...aber irgendetwas Komisches...Übernatürliches...irgendetwas, was Angst erzeugt...so innere Krämpfe.“
Max wird noch bleicher, als er an sein vorheriges aufgewühltes Innenleben denkt.
„In der Kirche habe ich Frieden bekommen.“
„Na klar, bei diesem langweiligem Zeug bist du eingeschlafen und....“, meint Max ironisch. Aber innerlich nagt Unsicherheit: „Kann man in der katholischen Kirche Frieden finden?“
Georg wendet sich an Max: „Wenn es keine katholische Veranstaltung war, dann sicher eine evangelische, oder?
„Warte...“, antwortet Max krampfhaft überlegend, „was stand auf dem Schild? Du weißt doch, dass ich mir Namen so schlecht merken kann. Ah...“, bei dem Ausruf hebt er seinen Zeigefinger, „Charismatische Freikirche“.
Max sieht sie lächelnd an, weil er überzeugt ist, dass die beiden Freunde genauso ratlos reagieren würden wie er selbst. Doch weit gefehlt.
„Das gibt es ja gar nicht“, ruft Georg aus. „Wie lief das Treffen ab?“
Max schickt sich an, zu erzählen.
„Warte!“, fährt Georg dazwischen. „Moderne Musik und während dem Singen heben die Menschen ihre Hände...oder klatschen vielleicht. Manche tanzen sogar.“
Max versteht gar nichts mehr. „Woher weißt du das? Warst du auch schon mal dort?“
Georg lacht winkend ab. „Unser Religionslehrer ...“
„Hä!“, gibt Andy von sich, „seit wann passt du im Religionsunterricht auf? Entweder liest du deine Motorradzeitschriften oder träumst rum.“
Georg grinst: „Normalerweise...aber letzte Stunde hatten wir das Thema Sekten. Der Lehrer zeigte uns einen Film. Ein Kapitel behandelte amerikanische Freikirchen. Da war so ein Prediger zu sehen...“, Georg verstellt seine Stimme und im ganz tiefen Bass fährt er fort: „...die Gegenwart Gottes ist spürbar hier. Wende dich Jesus zu.“
Max bringt den Mund nicht mehr zu. Georg lacht.
„Unser Freund gerät in die Fänge einer amerikanischen Sekte!“
„Das ist bestimmt keine Sekte!“
„Alle starren auf eine projezierte Liedfolie, singen, heben die Hände...“, Georg spricht fest weiter: „...wenn das nicht Gehirnwäsche ist!?“
Max überlegt, reflektiert den Ablauf des Treffens.
„Gut, da war schon etwas Fanatisches dabei...aber es war noch mehr...“
Max nimmt allen Mut zusammen: „Ich habe mich wohl gefühlt. Fetzige Musik – der Gitarrist dort spielte besser als der hier.“ An Andy gewandt:
„Musik, bei der man mitklatschen und abtanzen kann. Da bewegt sich etwas, nicht so langweilig wie in einer katholischen Kirche.“
Streng erwidert Andy: „Wenn schon Glaube an Gott, dann katholisch.“
„Was ist bloß los mit dir? Du redest wie ein kompletter Spießer.“
Max fällt das Gespräch neulich im Wald ein. „Hast du deine Alternative gefunden?“
Andy weiß genau, worauf Max da anspielt. „Ich glaube ja!“
Überrascht sieht ihn Max an. „Frieden in der katholischen Kirche? Ja, kann
denn diese alte Kirche noch in mein Leben sprechen? Hat sie mir noch etwas zu sagen, in dieser modernen Zeit?“
„Gott hat einem immer etwas zu sagen. Natürlich gibt es viel Langweiliges und auch Verkehrtes in der Kirchengeschichte. Aber Gott ist der Ewige...der lässt sich doch von so Kleinigkeiten, wie langweiligen Rosenkränzen und Riten, nicht beeindrucken.“
Nach einer Pause, in der Georg und Max den Sprecher ungläubig ansehen, fährt Andy fort: „Aber wenn man sich in einem Gottesdienst auf das Wesentliche konzentriert, spürt man Seine Anwesenheit.“
Georg lacht und sagt wieder mit dieser tiefen Stimme: „Mystik!“
„Als nächstes kaufst du dir so eine CD mit gregorianischen Gesängen!“ gibt Max lachend von sich.
„Komm halt mal mit“, fordert Andy Max direkt auf.
In dem klingen die Worte Manuelas: „Probier es halt mal aus.“
Georg und Andy sehen ihn gespannt an.
„Vielleicht...“, doch weiter kommt Max nicht.
„Ich halt es nicht aus!“, ruft Georg, während er mit der Handfläche auf seine Stirn knallt. „Was geht mit euch ab!? Also, ich werde jetzt einen abtanzen. Das ist die richtige Musik dazu.“ Er zitiert sinngemäß den gerade gesungenen Songtext: „...ich werde mit meinen Freunden da unten eine Party feiern...“
„Ich komme mit“, sagt Andy freudig.
„Hey! Das ist nichts für Heilige!“
Andy winkt ab. „Ist Gott an meiner Seite, dann kann ich alles tun. Und wie gesagt: Gott ist der Ewige, der stört sich bestimmt nicht an so Kleinigkeiten.“
Max beschließt: „Ich gehe heim.“
In Gedanken versunken schlendert er die Straße entlang. Der Asphalt ist vom Licht der Leuchtreklamen, Lokale und Discos in die buntesten Farben getaucht. „Was ist heute alles passiert?“
Zuerst war er auf einer Gebetsveranstaltung – immerhin mit Manuela – und Andy schwärmt plötzlich von der katholischen Kirche als Friedensbringer. Wie lange sehnt er sich schon nach Frieden? Isabella, die Sexbombe, hört übernatürliche Stimmen genau wie Manuela. Wie passt das zusammen? Sein Hirn scheint in einen dumpfen Gedankenstopp geraten zu sein. Es dümpelt vor sich hin, so wie der dicke Nebel um ihn und um alles herum wabbert.
Plötzlich schießt ihm der Gedanke durch den Kopf: „Warum bekam ich innere Kämpfe während einem charismatischen Jugendmeeting und Andy findet in einem katholischen Gottesdienst Frieden?“
Sollte Manuela in einer Sekte sein? Gehirnwäsche mit Musik und Gebeten. Ihm fallen die anbetenden Menschen ein, mit ihren geschlossenen Augen, erhobenen Armen und ihren glücklichen Gesichtern.
„Ihre glücklichen Gesichter“, wiederholt Max laut.
Sie empfanden eindeutig Freude und Frieden! Warum hat er dann dort keinen Frieden erfahren? Was ist anders an ihm?
„Wo ist die Lösung? In der katholischen Kirche?“
Einen Beamer gibt es dort bestimmt nicht. Außerdem waren die gezeigten Bilder viel zu realistisch und aufschreckend, als das man Menschen damit hypnotisieren könnte. Auch die Gemälde sind ziemlich cool, nicht so altmodisch-verstaubt wie die Bilder in der katholischen Kirche. Woher hat Andy so rasch seine feste Überzeugung her?
„Könnte auch mir die alte Kirche etwas geben, das hilfreich und bedeutend für mein konkretes Leben ist?“
Auf jeden Fall hätte er Georg noch sagen müssen, dass ihn Manuela auf keinen Fall verarscht hat, so wie Isabella Georg. Auch spürte er keinerlei Zwang auf dem Treffen, und dafür ist er sehr sensibel. Manuela setzte auch nicht ihre weiblichen Reize ein, um ihn zu irgendetwas zu bringen.
„Nicht einmal meine Verliebtheit hat sie ausgenützt.“

4.

Dicke Schneeflocken tanzen durch die Luft. Alles ist bereits mit einer weißen Schicht überzogen. Lang und kurvenreich zieht sich die Straße durch dichten Tannenwald den Berg hoch. Die Bäume tragen schwer an der Schneelast, welche die Äste stark nach unten biegt. Ebenfalls schwer haben es drei Jungs, die sich mit ihren Rädern durch die Schneebahnen der schlecht geräumten Straße kämpfen.
„Mann, jetzt fahr endlich!“, schimpft Andy. „Du hast so ein teueres Rad und fährst wie eine Schnecke!“
Andy lehnt auf seinem alten Gefährt und blickt den Berg hoch. Georg ist längst nicht mehr zu sehen.
„Fahr doch weiter“, dringen Max’ Worte arg gedämpft an sein Ohr, „mir reicht es!“
Andy sieht wie Max vom Rad steigt und zu schieben beginnt. Andy ruft zurück: „O.k., wir warten oben.“
Mit diesen Worten schwingt er sich auf sein Rad. Bald ist er aus Max’ Blickfeld verschwunden.
„Unglaublich! Wie kann man unter solchen Umständen so schnell fahren?“
Max hält an und blickt um sich: Einsamkeit in einer Schneewüste. Irgendwie toll. Doch erneut löst ein eiskalter Windstoß Schüttelfrost bei
ihm aus.
„Nie wieder!“, sagt er sich.
Währenddessen hat es Andy geschafft. Oben begrüßt ihn Georg: „Bist du ein Eskimo?“
„Ha! Ha!“
Rasch stellt sich Andy ebenfalls in die windgeschützte Hütte.
„Fehlt nur noch ein Feuer“, grinst Georg.
„Das wird, fürchte ich, auch nötig sein...“, meint Andy und deutet mit dem Kopf den Berg hinunter.
„Braucht er noch lange?“
Andy verdreht die Augen. Georg schüttelt den Kopf.
„Kein Sport, kein...“, er überlegt, „...kein gar nichts. Sitzt den ganzen Tag im Zimmer, hört Musik oder schreibt Songs!“
„Gute Ideen hat er...“.
Klatsch! Andy bleibt vor Schreck das Wort im Hals stecken. Ein Schneeball hat knapp seinen Kopf verfehlt und knallt voll gegen die Rückwand des Bushäuschens.
„Wollt ihr zwei hier überwintern...ich dachte, wir fahren zu Daniel?“
Verdutzt drehen sich die zwei um.
„Wie kommst du...?“
„Habt ihr nicht das Auto vorbeifahren sehen?“
„Das war aber unsere Rettung, sonst hätten wir noch zwei Winter hier verbringen müssen!“
Sie lachen, obwohl es stärker zu schneien beginnt.
„Es ist nicht mehr weit“, sagt Georg.
„Keine steile Steigungen mehr?“, will Max wissen.
Georg schüttelt den Kopf. Die drei fahren jetzt auf gleicher Höhe, benötigen die gesamte Straßenbreite.
„Das ist doch Engagement!“, grinst Andy. „Zehn Kilometer mit dem Rad durch Schneechaos!“
„Was man nicht alles für den Durchbruch macht“, wirft Georg ein.
„Das wird in unserer Bandchronik stehen“, verlautet Max völlig außer Atem.
Nach einiger Zeit deutet Georg auf ein großes Haus: „Da ist es.“
„Bist du dir sicher“, zweifelt Andy, „ich habe das Haus anders in Erinnerung.“
Georg schüttelt genervt den Kopf und läutet. Eine Frau öffnet. „Wie seht ihr denn aus?“ Sie lacht. „Wie richtige Schneemänner.“
Jetzt erst bemerken die Jungs, dass sie eigentlich vollkommen zugeschneit
sind. Max deutet auf Andys lange Haare: „Die sind ja vollkommen vereist.“
„Hey, in deinem Bart hängen sogar meterlange Eiszapfen“, gibt Andy zurück.
Georg, nahezu trocken, wickelt sich aus seinem Schal und beginnt zu singen: „Echte Helden...“
„Ach, du mit deinem weibischen Ganzkörperschal!“
Lachen.
„Hallo“, begrüßt Daniel die drei Ankommenden. „Wollt ihr Tee trinken?“
Dankbar nehmen sie das Angebot an. In der Küche steht schon alles
bereit.
„Schönes Haus!“, bemerkt Max, der zum erstenmal hier ist.
„Kommt, gehen wir“, treibt Andy ungeduldig.
Gesagt, getan. Sie betreten einen großen Raum, in dem sich ein Schlagzeug befindet. Zusätzlich die Bandausrüstung, die zuvor in Max’ Zimmer stand.
„Wow, das ist ja super!“, ruft Max begeistert.
„Daniel hat sogar ein Mischpult.“
Schon will Daniel Max die Anlage erklären, doch dieser winkt ab: „Ich bin Musiker, nicht Techniker. Da kenne ich mich nicht aus. Zeig mir einfach, wo ich meine Gitarre anstecken muss!“
Verwirrt sieht Daniel Georg und Andy an. Diese zucken grinsend die Achseln und letzterer meint: „Typisch Max!“
Sie stimmen ihre Gitarren, verkabeln diese und beginnen zu spielen, während Daniel am Mischpult dreht.
„Super Sound“, jubelt Max, der gleich noch ein Riff zum Besten gibt.
„Warte mal, bis du Daniel am Schlagzeug erlebst“, wirft Georg ein. „Spielen wir gleich meinen neuen Song!“
„Typisch“, denkt Max, aber was soll’s, der Song ist ja echt gut.
Sie legen los. Alle sind zufrieden.
„Wir haben auch schon den ersten Auftritt“, erwähnt Andy beiläufig.
„Was!?“, staunt Max fassungslos.
„Ja, in unserer Musikkneipe...Daniel hat das eingefädelt.“
Max strahlt. „Das ist besser als Weihnachten.“

*

Er drängt sich durch die Unmengen von Schülern. Die ganze Aula ist voll davon. Draußen ist es eiskalt. Nur wenige Wagemutige sind im Freien.
„Wäre es doch schon Sommer!“, will ein Freund ein Gespräch beginnen.
Doch Max hat was ganz anderes vor, so nickt er nur kurz mit dem Kopf, bevor er einfach weiter geht...weiter sucht.
„Da sitzt sie“, murmelt er, „natürlich umgeben von ihren Freundinnen.“
Er steuert sie geradewegs an, überrascht, wie leicht es ihm fällt.
„Hallo, Manuela!“
Ruhig und freundlich lächelnd erwidert das Mädchen seine Blicke.
„Kann ich mit dir alleine sprechen?“
„Du stellst nicht diese...“
„...komische Frage?“ unterbricht sie Max lachend. „Habe ich nicht vor...im Moment zumindest!“
„Gut.“
Sie erhebt sich und die zwei gehen etwas beiseite, um ungestört reden zu können. „Was gibt es?“, fragt sie.
Max blickt sie fest an und fragt dann ohne Umschweife: „Bist du in einer Sekte?“
Manuela lacht.
„Wieso lachst du?“
„Weil ich diese Frage so oft höre. Wie kommst du auf die Idee, dass ich in
einer Sekte bin?“
„Na, diese Freikirche da...“
„Das ist keine Sekte.“
„Ist sie doch!“
„Warum denkst du das?“
„Ein Freund hat mir erzählt, dass Freikirchen, noch dazu amerikanisch geprägte, eben Sekten sind.“
Sie lacht. „Komm, du musst schon irgendwelche Argumente bringen, um diese Behauptung zu untermauern!“
Plötzlich gerät Max ins Schwitzen, weil er merkt, wie wenig er eigentlich über das Thema weiß.
„Na, weil...der einzige wahre Glaube, in der katholischen Kirche zu finden ist!“, zitiert Max Andy.
„Seit wann denn das? Ich kenne deine Äußerungen zu diesem Thema!“
„Ich habe meine Meinung geändert!“
Bei sich fragt sich Max: „Habe ich eigentlich eine eigene Meinung?“
„Was ist für dich eine Sekte?“
Max macht ein gescheites Gesicht und überlegt fieberhaft. Manuela überlegt ebenfalls. Soll sie jetzt ihre Definition bringen? Sie entscheidet sich anders.
„Dir hat doch das Treffen gefallen!“
„Soll ich es zugeben?“, überlegt Max.
Manuela wartet nicht auf seine Reaktion. „Bei dir lief dann irgendetwas schräg, stimmt’ s?“
Erstaunt sieht er sie an. „Woher weiß sie das?“
Bewundernd denkt Max: „Sie ist nicht reich und schön, sondern klug und schön“, und spricht laut: „Da sind wir beim Thema: du sagst, du hörst übernatürliche Stimmen...!“
„Nein, ich höre auf Jesus!“
„Gut, sagen wir, du hörst jemanden reden, der nicht da ist.“
„Falsch, Jesus ist da...auch, wenn ich ihn nicht sehe.“
„Gut. Ein Freund erzählte mir von einem Mädchen, die ebenfalls Stimmen hört...von einem Geistführer oder so was.“
Manuela sieht Max mit großen Augen an.
„Also, ihr hört beide übernatürliche Stimmen. Frage: bist du auch eine
Hexe?“
Ihr erschrockener Gesichtsausdruck löst sich in Lachen auf. Irritiert blickt Max das Mädchen an.
„Du hast so wenig Ahnung...“, sagt Manuela.
Max will schon in aller Schärfe reagieren, doch er merkt, dass sie nicht aus Überheblichkeit handelt.
„Ich glaube an Jesus und höre seine Stimme. Das ist nichts Mystisches oder Geheimes. So, wie ich mit dir rede, spreche ich mit Jesus. Ganz natürlich. Doch es gibt noch andere übernatürliche Kräfte, die ebenfalls zu Menschen sprechen, und wehe dem, der sich darauf einlässt.“
Sie macht eine kurze Pause, um dann fortzufahren: „Es ist modern, alles Übernatürliche gut zu heißen, ohne zu unterscheiden.“
„Redest du von Gott, Teufel und Dämonen?“, gibt er überheblich lachend
von sich.
Bedächtig sieht Manuela Max an. Sie fragt sich: „Soll ich jetzt loslegen?“
Sie spürt wieder ein weiches „Nein“ in sich, so antwortet sie: „Denk doch mal nach. Auf unserem Jugendtreff hast du dich wohlgefühlt und dann lief etwas schräg. Was war das? Was ist da abgegangen?“
Belustigt sieht Max das Mädchen an. „Sicher der Teufel.“
Das Grinsen in Max’ Gesicht friert unter dem ernsten Blick von Manuela ein.
„Schön langsam glaube ich auch, dass du einen Vogel hast!“

*

„Ich habe gehört, dass du Felle verkaufst.“
Aufreizend baut sie sich vor ihm auf. Ohne zu antworten, bückt er sich und holt die Falsche aus dem Getränkeautomaten.
„Jetzt wo es so kalt ist...“
„Ein Rattenfell würde gut zu dir passen!“
Gegen seinen Vorsatz lässt er seine Augen unauffällig über ihren Körper gleiten. Ihm wird heiß. „Mist, sie hat es bemerkt.“
„Wie ist das so, wenn man einem Tier die Kehle durchschneidet? Spürst du Kraft und Überlegenheit, wenn das Blut austritt und das Leben entweicht?“
Schockiert blickt Georg Isabella an. Lachend wirft sie ihre Haare zurück. Sie trägt als Ohrringe wieder Kreuze, doch jetzt in der abendländischen Tradition.
Mit großen unschuldigen Augen fragt sie: „Was hast du denn?“ Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Es ist doch alles nur ein Spiel, oder?“
„Seit diese Leute in dein Zimmer reinmarschiert sind...“
„Welche Leute?“
Isabella wirkt jetzt wie ein braves, kleines Mädchen.
„Ich glaube, du kommst noch mal zu mir...“
„Nie im Leben!“
„...du wirst nur ein paar Puppen vorfinden“, beendet Isabella ihren Satz lachend.
Plötzlich macht es einen Plumps.
„Wieso ist mir die Flasche aus der Hand gefallen?“, fragt er sich verständnislos.
Georg erschrickt, als er wieder in Isabellas Augen blickt.
„Die Stimmen vergessen nie!“
Durcheinander blickt er dem Mädchen nach. Innerhalb von wenigen Minuten hat er die Verwandlung von einer Sexbombe in ein Lämmlein und schließlich zu einer wilden Bestie erlebt.
„Diese Augen...“
Warum hat er die Flasche fallen lassen? Er fühlt sich so...so komisch berührt.

*

Schneeweiße Zähne blinken ihm aus rotlackierten Lippen entgegen, als sie
sagt: „Danke Andy, dass du mir geholfen hast.“
Gedankenzerstreut nickt er mit dem Kopf.
„Da kommt er ja!“
Der kleine Mann trägt Schuhe mit hohen Absätzen und seine Halbglatze hat er mit seinen langen Haaren umwickelt.
„Entschuldigung, haben sie etwas Zeit für mich!“
„Aber gerne, lieber Andy.“
„Mein Bruder hat mir....“, er stockt und schwenkt auf eine Frage um: „Was halten sie von amerikanischen Freikirchen?“
Andy beobachtet das zerfurchte Gesicht, das immer nachsichtig lächelt, egal wie groß die Frechheiten sind, die er sich von Schülern gefallen lassen muss. Der Mann antwortet immer bedächtig.
„Ich sehe, dass es dir ernst ist“, und nach einer Pause sagt er: „Sich den großen Fragen des Lebens widmen zu dürfen, sehe ich als Privileg in meinem Leben. Die größte Einheit oder Ebene des Seins ist Gott. Um die Wahrheiten dieses unbeschreiblichen Geheimnisses annähernd begreifen und verstehen zu können, bedarf es einen langen Weg des Lernens.“
„Typisch“, denkt Andy.
Für gewöhnlich holt der Lehrer bei seinen Antworten soweit aus, dass man ihm eine Themenverfehlung unterstellen möchte. Man muss schon genau zuhören, um mitzubekommen, wie er die gestellte Frage beantwortet.
„Ich sage nicht, wie viele Leute, dass alle Wege zu Gott führen. Dafür ist die historische Figur Jesu Christi und deren Auswirkung auf die folgende Geschichte zu herausragend. Aber es geht nicht darum eine Reihe von gefühlsmäßigen, spirituellen Erfahrungen zu machen. Das suchten auch schon die Mystiker des Mittelalters.“
„Bitte, keinen kompletten Exkurs über die Religiösität des Mittelalters“, denkt Andy verzweifelt.
Als ob der zweifache Doktor seine Gedanken lesen könnte, sagt er: „Die
Frage stellt sich auch immer nach dem Ziel. Das Ziel meines Lebens, aber auch des Lebens im Allgemeinen.“
Der Mann kräuselt die Stirn auf eine bestimmte Art und Weise. Jetzt weiß Andy, dass nun das Resümee präsentiert wird.
„Wenn es freikirchlichen Gruppen gelingt, diese Frage zu lösen, dann ist hier eine echte Chance gegeben, zu der Wahrheit über Gott durchzudringen.“
Überrascht fragt Andy: „Halten sie solche Gruppierungen nicht für Sekten?“
Nun lächelt der Lehrer wieder in seiner typischen Art: „Lieber Andy, um diesem Thema einigermaßen gerecht zu werden, müsste man viel mehr Zeit zu Verfügung haben. Das erlaubt ein Tür- und Angelgespräch leider nicht.“ Endgültig abschließend sagt er: „Um die Wahrheit zu finden, muss man sich fernab von plakativen Vorurteilen bewegen.“

*

„Ich komme gleich. Hole mir nur schnell eine Wurstsemmel.“
Mit diesen Worten schließt der Busfahrer die Tür und eilt davon.
„Dieser dicke Spießer“, murmelt Max, „was muss der noch essen?!“
Schlotternd steht Max im Bushäuschen. Minutenlang wartet er schon in der Kälte. „Nächstes mal fahre ich wieder mit dem Rad!“
Max schnellt herum, als er eine Hand auf seiner Schulter spürt. Schon wird er gegen die Wand gestoßen.
„Wen haben wir denn da?“
Max erkennt den Sprecher.
„Unser kleiner Kämpfer für die Ausländer.“
Nun wird er von einem anderen geschubst, genau in die Arme eines dritten Skinheads. Ihre Glatzen sind heute mit Mützen verdeckt.
„Was sollen wir den mit dem Würstchen machen?“
„Wenn ihr Hunger auf Wurst habt, müsst ihr, so wie ich, zur Metzgerei gehen.“
Erstaunt sehen die drei zu dem Sprecher.
„Das ist mein Fahrgast, wenn ihr den anrührt, dann hole ich die Polizei!“
„Hey, misch dich nicht ein!“
„Bist du nicht der Seppi?“
Der Angesprochene wird im Gesicht rot.
„Ich kenne dich seit der ersten Klasse, da warst du noch so klein.“
Der Busfahrer hält seine Hand ungefähr einen Meter über den Boden.
„Schau mal, was ich hier habe?“
Seppi zeigt seine Gürtelschnalle her. „Echtes SS-Abzeichen!“
„Und...?“, gibt der Busfahrer unbeeindruckt von sich. „Früher hast du mir deine Zeichnungen gezeigt...das hat mir besser gefallen!“
Zu Max gewandt sagt er: „Steig ein!“
Der Junge wird noch einmal angerempelt, aber dann ist er im Bus. Erleichtert setzt er sich in die erste Reihe. Die ganze Angst fällt von ihm ab. „Danke, dass du mir geholfen hast.“
Der Busfahrer winkt ab. Mit einem breiten Grinsen blickt er Max an.
„Mit dir wollte ich mich schon lange unterhalten.“
Max sieht den Mann fragend an, der jetzt seinen Bus um eine starke Kurve jagt und kaum abbremst.
„Glaubst du an Jesus?“
„Ich...wie kommst du auf diese Frage?“
„Alle reden vom Wetter, ich von Jesus!“
„Seltsam“, denkt Max, „wie oft ich zur Zeit mit diesem Thema konfrontiert werde?“
„Außerdem sieht man dir an, dass du dich nicht mit dem Üblichen zufrieden gibst...“, nach einer Pause fügt der Mann hinzu: „...du suchst nach den Sinn des Lebens, nicht wahr?“
Max atmet schwer aus. „Steht das auf meiner Stirn?“
Etwas ungehalten stößt er heraus: „Aber was hat das mit Jesus zu tun?“
„Jede Menge“, antwortet der Mann lachend. „Mit Jesus zu leben, das ist meine...unsere Bestimmung.“
„Wie kannst du mit einem Toten leben?!“
„Ja...Jesus ist gestorben, zur Vergebung unserer Schuld...aber er ist auferstanden von den Toten.“
Die nächsten Worte betont der Busfahrer, während er nicht gerade langsam durch die Gegend braust: „Jesus lebt und ist jetzt und hier
erfahrbar.“
„Wie soll das gehen?“
„Pass auf! Wenn du alleine bist und Zeit hast, dann sprich folgendes: „Jesus, zeig mir, dass du lebst und Interesse hast, eine Beziehung mit mir einzugehen.“
Max lacht. „Und was passiert dann?“
„Wenn du das regelmäßig machst, wird etwas wachsen. Denn du sprichst nicht zu einer Wand, in einen luftleeren Raum, Jesus hört dich und Er hat versprochen: Wer sucht, der findet.“
Max platzt heraus: „Das ist verrückt!“
„Er liebt dich...“
„Ich glaub gar nicht, dass es ihn gibt.“
„Egal! Machs trotzdem.“
„E.T. forever!“, spottet Max.
Nun blickt der Busfahrer Max an und sagt: “Ich sehe, wir verstehen uns.”
„Da vorne muss ich aussteigen.“
Bevor der Busfahrer die Tür wieder schließt, sagt er noch: „Und probier es aus. Es kostet ja nichts!“
„Mach ich!“, sagt Max und verdreht die Augen. Doch das kann der Fahrer nicht mehr sehen.
Es hat zu schneien begonnen. Während Max durch die Kälte marschiert, denkt er über das Gehörte nach.
„Ist das nicht verrückt....so verrückt, das es schon wieder cool ist. Das traut man diesem Spießer gar nicht zu!“
Es wird ernst in ihm: „Liebt mich Jesus? Gibt es ihn überhaupt? Besteht mein Lebenssinn darin, mit ihm zu leben?“
Plötzlich lacht er in das wilde Schneetreiben hinein: „Ist das nicht verrückt? Egal, ich mach’ s einfach...es kostet ja nichts!“
Er gibt sich einen letzten Ruck und spricht dann laut aus: „Jesus, wenn es dich gibt, dann zeig mir, dass du lebst und mich liebst.“
Peinlich berührt schüttelt er lachend den Kopf. Ein wenig später erreicht er das Haus. Wieder öffnet die Mutter von Daniel.
„Die anderen sind schon da“, sagt sie freundlich, was man auch an dem tollen Sound hören kann.
Er betritt den Proberaum: „Klappt das auch ohne mich?“
„Hey, Max, lass die dummen Sprüche. Wir müssen unser Programm zusammenstellen. In zwei Wochen ist es soweit!“

*

Sie sitzen in der letzten Bank, direkt über ihnen thront ein Engel, der sie mit seinen Flügeln zu erschlagen droht. Was ist das? Eine Frau, die Menschen in ihren Mantel einwickelt. Andy bemerkt den Blick von Max. „Eine Schutzmantelmadonna.“
„Du hast dich ja zu einem richtigen Experten entwickelt.“
Andy steht steif da, die Hände vor seinem Bauch gefaltet. Ernst blickt er
nach vorne, wo gerade ein noch ernster dreinblickender Priester irgendwelche Handlungen verrichtet. Obwohl er die Schulgottesdienste nur
schlafend über sich ergehen lässt, kennt er genau die Abfolge der Rituale.
„Immer das gleiche!“, stöhnt er leise.
Er schielt seinem Nachbarn auf die Uhr. Erst fünf Minuten vergangen. Es kommt Max bereits wie eine Ewigkeit vor.
„Das kann ja heiter werden!“
Plötzlich bemerkt er, dass er genauso blöd ehrfürchtig dasteht wie Andy. Unweigerlich beginnt er zu kichern. Andy schüttelt seinen Kopf. Doch zu spät. Jetzt kann er das Lachen kaum mehr unterdrücken. Es treffen ihn Blicke von allen Seiten. Nicht nur die lieblich-heroischen Figuren - auf Leinwand gemalt oder in Stein verewigt - aus der Vergangenheit, sondern gerade seine Zeitgenossen geben ihren Unmut zu verstehen.
„Wenn das hier nicht bald vorbei ist, werde ich auch zu einer Salzsäule erstarren...so eiskalt.“ Irgendwann knien sich alle nieder. Max setzt sich auf die Bank zurück. Andy neigt andächtig seinen Kopf. Wandlung.
„Ah“, denkt Max, „jetzt erlebt Andy wieder seine Mystik.“
Max durchforscht sein Inneres, doch er spürt gar nichts...außer seinem Magen, der hungrig knurrt. Orgel setzt ein, schwillt zu einem bombastischen Tonhaufen an. Das erinnert ihn an den Wahnsinn von Wagner-Opern und Ludwig II.. Für Max ist der Fall - katholische Kirche - wieder völlig klar.
Endlich dürfen die Kirchenbesucher wieder nach draußen strömen, werden sozusagen von dem Orgelorkan, der jetzt über ihnen durch die Kirche tobt, hinausgespült.
„Und?“, fragt Andy erwartungsvoll.
Max gähnt demonstrativ: „Wie immer – stinklangweilig.“
„Aber...“
„Nichts aber“, unterbricht ihn Max, „ich weiß nicht, was du daran findest?“
„Spürst du nicht das Leben?“
„Leben? Alles ist starr und tot!“
„Hast du nicht den tiefen Sinn bei den Lesungen gespürt?“
„Das verschnörkelte, hochtrabende Zeugs? Habe ich nie verstanden!“
Nach einiger Zeit spielt Max auf eine Aussage von Andy an. „Wenn Gott mir etwas zu sagen hat, dann muss er das schon auf eine andere Weise machen!“
Schweigen.
Plötzlich schießt Max heraus: „Da war es in der Freikirche ganz anders. Junge Leute, die voller Eifer...“, Max sieht Andy fest an: „...ich muss das so sagen, die voller Eifer Jesus angebetet haben...so, als ob sie diesen persönlich kennen würden.“
Max ist selbst von seinen Worten überrascht. Das haben Manuela und der Busfahrer auch gesagt: leidet er schon an Gehirnwäsche?
„Wenn ich mir das so recht überlege, werde ich mir das nochmals anschauen müssen. Kommst du mit?“
Andy zuckt mit den Schultern. „Mein Religionslehrer meint zwar nicht, dass Freikirchen auf jeden Fall Sekten sind, aber...“ Andy atmet tief durch: „...andererseits schenkt mir Gott hier Frieden. Warum sollte ich mir
noch was anderes anschauen?“
„Da sind ja die zwei Heiligen!“, begrüßt sie Georg, der vor der Tür des
Lokals auf sie wartet.
„Ich habe den Soundcheck gehört...tolle Musik!“
„Harry sucht sich immer was Gutes...“, ist von Max zu hören und Andy fügt hinzu: „...sein Lokal soll ja den guten Ruf behalten!“
„Warum spielen dann w i r hier in zwei Wochen?“, fragt Georg lachend.
„Mann, wie viel hast du schon wieder getankt?“, fährt Andy seinen Bruder an. „Besser, du kommst nächstes mal mit...“
„...in die Kirche?“, unterbricht Georg seinen Bruder spöttisch.
„Du musst auch was für deine Seele tun...“
„Dann kommst du besser mit zur Freikirche. Da ist es lebendiger...“
Georg sieht Max an, als sei dieser von einem anderen Stern.
„Hey, Max, bist du schon ein Missionar?!“
„Was ist ein Missionar?“
Georg und Andy verdrehen die Augen. Ersterer verstellt seine Stimme: „Wende dich Jesus zu...“, solche und ähnliche Nummern haben diese Typen drauf!“
„Weiß nicht.“
Unsicher zieht er einen Zettel aus der Hosentasche.
„Eine Einladung zu einem christlichen Kongress.“
Georg reißt ihm den Flyer aus der Hand, liest und lacht.
„Halleluja!“
„Wo hast du den her?“, will Andy wissen.
„Von Manuela. Sie singt auch dort mit einer Band.“
„Hey, der Junge lacht sich ein Rocklady an. Fragt sich nur welche Musik die machen?” Georg blickt verklärt. „Halleluja!“
„Du bist ein miserabler Kabarettist“, wirft ihm sein Bruder hin.
„Jetzt passt mal auf, ihr zwei Scheinheiligen. Ihr macht dasselbe wie ich, tut aber so heilig. Ich gehe jetzt da rein, und hierher werden eure Kirchenheinis bestimmt nicht kommen.“
Die drei betreten die Kneipe, suchen sich einen Platz und bestellen Getränke.
„Das sind ja nur zwei Gitarristen“, stellt Andy enttäuscht fest.
„Wart’ s ab“, verheißt Georg, „die sind super – kann man was lernen.“
Kaum hat er ausgeredet, sind schon die ersten Töne zu hören..
„Hey,“ ruft Max aus, „die grooven ja wirklich!“ Zu Georg gewandt, sagt er: „Soviel Geschmack hätte ich dir gar nicht zugetraut!“
Andy beobachtet jede Fingerbewegung der Gitarristen. Er kann nachher sicher wieder alles nachspielen. Unerwartet fängt einer der beiden zu singen an. Die raue Stimme hebt sich stark von dem sonst so melodiösen Spiel ab.

Geht es im Leben nicht mehr weiter,
dann pack deinen Sattel und reite einfach weiter.
Mitten in die Sonne rein,
ja da ist man wirklich frei.

„Das hat was“, fasziniert sich Max.
Georg grinst: „Charakterstimme.“
Andy nickt ernst.

Ist in deinem Leben nichts mehr gut.
Ja, ich verstehe dich, du musst fort.
Am Strand durch weichen Sand gehen,
ist viel besser als auf hartem Asphalt stehen.

„Wow, die treffen genau meine Stimmung“, denkt Max.

Wir sind alle auf der Flucht.
Was uns treibt ist die Sucht.
Würden wir in der Stille hören,
wüssten wir wem wir gehören.

Georg horcht auf. „Irgendetwas ist...anders. Was kommt da auf uns zu?“

Du, du bist das Licht,
bist der weiche Sand unter meinen Füßen.
Du, du bist der Sinn,
weil Deine Liebe ist in mir drin.

Beruhigt klopft Georg Max auf die Schulter. „Die singen von einer Frau. Du gehst sogar wegen einem Mädchen zu einem Freikirchlerkongress.“ Er lacht.
Andy widerspricht: „Glaube ich nicht, denn sie verbinden Sinnsuche mit innerem Frieden. Wer baut heutzutage so auf eine Beziehung? Die denken doch alle von vornherein an die Möglichkeit einer Scheidung!“
Erneut durchbricht die markante Stimme das Instrumentalspiel.

Jesus, du bist das Licht,
bist der weiche Sand unter meinen Füßen.
Du, du bist der Sinn,
weil deine Liebe ist in mir drin.

Andy ruft: „Siehst du!“
Georg schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch: „Das gibt’ s ja gar nicht!“
Max ist sprachlos. „Ständig werde ich mit Jesus konfrontiert!“
Der Kneipenwirt ist in der Nähe: „Hey, Harry! Was hast du denn da angeschleppt!“
„Wieso, ist doch gute Musik?“
Auch an den anderen Tischen werden Unmutsäußerungen laut. Doch die Entrüstung wird weggespült von hervorragenden Gitarrensolos, die die zwei abwechselnd spielen. Die Texte der folgenden Lieder bewegen sich zwischen Comedy und Sozialkritik.
„Zum Abschluss wollen wir nochmals Jesus ins Spiel bringen. Wie ihr
selber gemerkt habt: in diesem Namen ist Power, da scheiden sich die Geister. Aber wir wollen euch mitteilen, dass es unsere persönliche
Rettung war, Jesus zu treffen.“
Haben vorher viele an den Tischen miteinander geredet, so besitzen die beiden nun die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden, als der Blues ertönt.

Manchmal scheint alles verloren.
Es gibt tausend Sorgen.
Mein Herz ist kalt und gefroren.
Ich warte auf morgen.

Manchmal ist alles zum Schreien.
Nichts kann mich mehr freuen.
Mein Herz ist kalt und gefroren.
Ich warte auf morgen.

Aus wilden Gitarrensolos schält sich plötzlich ein Satz heraus, der wie eine ruhige Insel dasteht.

Frisch ist der Tag.
Du stehst am Land,
reichst mir deine Hand.
Kalt war die Nacht,
Angst hat sie mir gemacht,
doch jetzt stehst du vor mir,
alles ist hinter mir.

Die Ruhe explodiert in Freude und Jubel.

Du bist in meinem Leben wie die Sonne.
Du erwärmst mein Herz, darum sage ich: „Komm!“
Komm in mein Herz,
Komm in meine Welt,
Du bist mein Lösegeld.

Du zerschneidest die Fesseln, machst mich ganz frei.
Du vertreibst den Feind, zerschlägst ihn zu Brei.
Gib mir deinen Frieden,
dann muss ich nicht mehr Schreien.
Bei dir bin ich wirklich glücklich und frei.

Ich lebe nicht im Gestern und auch nicht im Morgen.
Ich lebe im Heute und zwar ohne Sorgen,
weil Jesus Christus
ist mein Herr,
schaden tut mir jetzt gar nichts mehr.

Ein Hausgenosse Gottes, das bin ich.
Jesus Christus mag auch dich.
Darum lass dich nicht lange betteln
und komme zu Ihm.
Bei Ihm muss zwar Dein Ego sterben.

Dafür hast du Leben und Gottes Segen.
Ewiges Leben und Gottes Segen.
Ewiges Leben und Gottes Segen.

Alle applaudieren Beifall. Von allen Ecken und Enden ertönen Rufe: „Bravo!“
Einige blicken zwar finster drein, klatschen aber trotzdem.
„Siehst du“, ruft Max Georg zu: „Die Kirchenheinis kommen sogar hier rein!“
„Hast du einen Knall! Du redest ja schon so, als ob du zu denen gehörst.“
Max zuckt die Schultern.
Andy stellt fest: „Die verbinden gute Musik mit Glauben...alle Achtung!“
„So was machen wir aber nicht!“, zischt ihn Georg aggressiv an.
„Ich dachte, dir gefällt die Musik...“
„...die Musik schon“, unterbricht ihn Georg, „...aber nicht die Texte!“
„Du zerschneidest die Fesseln, machst mich ganz frei“, zitiert Max eine Textpassage, die ihn tief beeindruckt hat. „Willst du das nicht sein?“
„Ich bin frei und mache, was ich will!“, bellt Georg zurück. „Hast du das nicht auch immer gesagt?“
„Schon“, gibt Max zurück, „aber wenn ich mein Innenleben ehrlich betrachte, war ich nie frei, immer unzufrieden...“
„Wie kann man unzufrieden sein, wenn man sein eigener Herr ist?“ triumphiert Georg.
„Kann man...“, schaltet sich Andy ein. „Ich habe auch immer nur gemacht, was ich wollte und hatte trotzdem keinen Frieden. Erst in der katholischen Kirche....“
„Ach, ihr zwei!“, Georg macht eine wegwerfende Handbewegung.
„Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben!“

5.

Ein Strom von Menschen bewegt sich in die Halle. Überall sind Plakate aufgehängt mit schönen Fotos und irgendwelchen Sprüchen drauf. In kürzester Zeit sind die Stuhlreihen gefüllt. Max setzt sich irgendwo in der Mitte hin, umgeben von eher älteren Menschen, also so 30- und 40-jährige. Aber es sind auch viele Jugendliche da.
Irgendwie fühlt er sich unsicher, am liebsten würde er sich verstecken, ja nicht auffallen. Dies gelingt ihm auch. Er hat die beste Hose, die sich in seinem Besitz befindet, angezogen. Dazu den neuen Wintermantel. Seine langen Haare hat er sorgfältig zu einem gepflegten Zopf zusammengebunden.
Max fühlt sich einsam. Er kennt keinen. Trotzdem ist er so aufgeregt. Er
hat Kopfweh und schwitzt, obwohl die Veranstaltung noch nicht begonnen hat. Was hat ihn letztlich bewogen, hierher zu kommen? Manuela? Sicher...aber mittlerweile ist es mehr. Jesus bzw. die Menschen, die in verkündigen, beeindrucken ihn.
„Das sind doch alles etwas schräge Vögel“, murmelt er lächelnd, während er an den Busfahrer denkt oder den Mut der zwei Gitarristen bewundert. Er wollte doch auch immer etwas Cooles machen, anders sein, als alle anderen. In einer Lehmhütte wohnen, wofür Andy schwärmt, findet er nach wie vor wenig lukrativ. Was ist mit diesem Jesus?
Musiker betreten die Bühne. Da ist auch Manuela. Ein fetziges Lied erklingt, in dem Jesus als der mächtigste König der Könige proklamiert wird. Ist das Manuelas Stimme? Wenn ja, dann kann sie voll gut singen! Irgend so ein Krawattenheini macht ein paar Ansagen. Welche? Das könnte Max auch nicht sagen, denn traditioneller Weise pennt er in solchen Situationen.
Erneut werden Lieder gespielt. Jetzt erlebt er wieder die Dinge, die er neulich schon bei dem charismatischen Jugendtreff gesehen hat. Viele heben die Hände, andere klatschen. Die meisten stehen mit geschlossenen Augen da, wieder mit diesen glücklichen, zufriedenen Gesichtern. Was erleben diese Menschen? Oder ist es nur äußerliche Show? Er spürt in sich hinein und entdeckt wieder dieses Hin- und Hergerissensein. Einerseits Faszination, andererseits nagen Fluchtimpulse an ihm. Das Zittern nimmt zu; zu den Kopfschmerzen gesellt sich Übelkeit. Aber irgendetwas hält ihn auch hier.
Zwischen den Liedern werden freie Gebete gesprochen. Da fällt ihm die katholische Kirche ein. Dort werden geschwollene Texte vorgelesen, die altmodisch klingen und hier sprechen sogar auch junge Menschen einfache Gebete, teilweise im Dialekt.
Max, in Gedanken versunken, bekommt es zuerst nicht mit, doch dann wird seine Aufmerksamkeit sofort in Beschlag genommen.
„...der Herr kennt deine Trauer, Er wird dich trösten.“
Nach einer Pause ist wieder der Mann von der Bühne zu hören: „Es ist jemand hier, der schon lange an Magenschmerzen leidet. Der Herr berührt dich jetzt.“
Neugierig überfliegt Max die Menschenmenge, in der Hoffnung irgendetwas Auffälliges zu erkennen. Doch keine Chance, es sind zu viele
Leute hier. Plötzlich tanzt ein Mann durch die Stuhlreihen und gibt in voller Lautstärke dieses seltsames Gemurmel von sich, das Max schon bei dem Jugendtreff begeistert hat. Doch heute ist es anders. Eine starke Ehrfurcht macht sich in ihm breit. Das hätte er nie für möglich gehalten. Als der Tänzer zu sprechen aufhört, ist erneut der Mann von der Bühne zu hören: „Ein junger Mann ist hier...“
Max weiß, dass viele junge Männer hier sind, aber er weiß auch genau, dass er gemeint ist. Wie ist das möglich?
„...du hast Kopfschmerzen und fühlst dich verwirrt.“
„Ganz klar“, denkt Max, „das bin ich.“
Vorsichtig schielt er um sich. Doch seine Nachbarn blicken ihn nicht an. Sie stehen mit geschlossenen Augen da und sind in ihrer Anbetung versunken. Die merken gar nichts. Doch Max weiß felsenfest, dass er angesprochen ist. Er blickt zur Bühne vor. Der Sprecher kann ihn unmöglich sehen. Außerdem blickt dieser momentan in die entgegengesetzte Richtung.
„Der Herr sagt dir, dass er dich schon immer geliebt hat.“
Max sieht an sich herunter. Nein, äußerlich zeigt er kein auffälliges Verhalten, das verraten würde, dass er der Angesprochene ist.
„...ich ziehe dich an mein Herz.“
Plötzlich spürt Max in seinem Inneren eine liebende Berührung, die ihm Tränen in die Augen treibt. Kalte Schauer jagen über seinen Rücken, doch in seinem Inneren bleibt es warm...Frieden!
„Endlich Frieden!“, bemerkt Max.
„Bleib mir treu“, spricht Jesus, „und ich werde dich für Großes gebrauchen!“
„Was bedeutet das?“, überlegt Max.
Es werden noch ein paar ruhige Lieder gespielt, dann hält jemand eine Predigt. Doch Max bekommt nicht viel mit. Was ist mit ihm geschehen? Keine Ahnung. Doch diese Wärme in ihm, diese Wärme, die ihn scheinbar umgibt, ist deutlich da.
„Frieden“, denkt er. Kein Kopfweh, keine Übelkeit. Er fühlt sich zum erstenmal seit langer Zeit nicht mehr getrieben. Kein Schreien mehr in ihm. Wärme? Frieden?
„Ist das Jesus?“
Angestrengt versucht Max sich an die Worte, die der Mann von der Bühne gesprochen hat, zu erinnern.
„Jesus hat mich schon immer geliebt.“
Max lässt diese Worte immer wieder durch seine Gehirnwindungen sausen, bis er es begreift. „Jesus liebte mich schon immer.“
Die Fragen, ob es Jesus überhaupt gab und dieser heute noch lebt, sind wie weggefegt. Er weiß es plötzlich: „Klar, Jesus lebt!“
„Er zieht mich an sein Herz.“
Seine Gegenwart ist so wunderschön, diese Wärme, dieser Frieden. Viel besser als alles auf der Welt, sogar besser als Musik!
„Oha!“, murmelt Max, von sich selbst überrascht.
„Was ist bloß alles passiert!?“
Die Veranstaltung ist zu Ende. Max bewegt sich wie schwebend mit den Menschenmassen dem Ausgang zu. Gott hat ihn aus der Wirklichkeit, aus dem Ablauf dieser Zeit herausgenommen und etwas von der zeitlosen, unendlichen Ewigkeit gezeigt. Langsam landet Max wieder, denn er merkt, dass er dringendst eine Toilette benötigt.
„Nein!“, entfährt es ihm, als er die lange Schlange entdeckt.
Erleichtert stellt er fest, dass das alles Frauen sind. So begibt er sich auf eine lange Überholspur, bis er durch die Tür des Männerklos verschwinden kann, unter den neidvoll-leidenden Blicken der Frauen. Glücklich verlässt er kurz darauf die Toilette und muss feststellen, dass die Schlange vor dem Frauenklo nebenan nicht kürzer geworden ist.
„Mann hat schon Vorteile“, flüstert Max lächelnd.
Da wird seine Neugierde geweckt. Eine große Traube von Menschen hat
sich gebildet. Das muss er sich genauer ansehen. Er findet Tische vor, auf denen Bücher, CDs und alles mögliche liegt. Er wendet sich dem Ausgang zu und überlegt, wie er dieses tolle Erlebnis seinen zwei Freunden am besten erzählen kann und welche Gesichter Andy und Georg machen werden.
„Entschuldigung“, hört er hinter sich rufen.
Max dreht sich um.
„Super, dass ich dich noch treffe. Der Herr Jesus sagt dir, dass er dich schon immer geliebt hat und Er dich an sein Herz ziehen will.“
Max ist sprachlos, als er den Mann als den erkennt, der vorher von der Bühne aus genau diese Worte verlautete.
„Woher weißt du, dass ich...“
„Jesus hat mir genau gezeigt, wie du aussiehst. Er liebt dich genauso wie
du bist. Du kommst dir oft als Looser vor. Aber du bist wertvoll für Ihn. Er hat dich geschaffen und kennt und liebt dich.“
Max schluckt und fragt sich: “Woher weiß der das alles?“
„Jesus fordert dich auf, dass du Ihn als Herrn anerkennst und Ihm treu bist. Er hat einen Plan für dein Leben. Verstehst du!?“
Fest sieht der Mann Max an, als er Folgendes ausspricht: „Das Leben ist nicht scheiße!“
Die zwei blicken sich lange an.
„Mit Jesus zu leben und andere Menschen zu retten, dass ist ein sinnvolles Leben.“
Der Sinn des Lebens. Wie lange suchte Max danach.
„Du bist doch ein Rockmusikfan?“
Max nickt. Der Mann zählt fünf Namen auf, ausgerechnet die Lieblingsgruppen von Max.
„Der Herr sagt, dass er dich zu Großem gebrauchen wird, wenn du Ihn alleine liebst. Wirf den Kram weg und erachte diese Musik als Dreck.“
Der Mann hält Max ein Buch hin, welches dieser zaghaft ergreift.
„Das ist die Bibel. Im Neuen Testament findest du die gerade sinngemäß
zitierten Worte von Paulus.“
„Nach einer Pause fährt der Mann fort: „Paulus schreibt auch, dass Jesus für uns gestorben ist, damit wir für ihn leben. Willst du das?“
Max, dem wieder neu bewusst wird, was gerade für ein Wunder mit ihm abgeht, antwortet: „Jesus meint mich! Das ist unfassbar! Er lebt und liebt mich.“
Nach einer kurzen Pause, spricht Max weiter: „Ja, ich nehme Jesus als meinen Herrn an. Ich will mit Ihm leben und das tun, was Er mir aufträgt.“
„Darf ich für dich beten?“, fragt der Mann lächelnd.
Max nickt.
„Wie heißt du?“
Dieser nennt seinen Namen.
„Herr Jesus, ich danke dir, dass du lebst und aus Liebe heute noch in das Leben der Menschen eingreifst. Ich bitte dich, dass du Max Sündenbewusstsein schenkst und die Kraft und Ausdauer, Dir treu zu sein. Führe und beschütze Max bei seinen nächsten Schritten auf dem Weg,
Christ zu werden. Amen!“
„Amen“, bekräftigt Max ebenfalls.
„Hat mich gefreut“, sagt der Mann und hält ihm die Hand hin. Max schlägt ein und hört die nächste Frage: „Bist du in irgendeiner Gemeinde?“
Max schüttelt den Kopf. „Aber ich weiß, wohin ich mich wenden kann.“
„Das ist gut, suche die Gemeinschaft mit Christen, das ist deine einzige Chance zu wachsen...ja, sogar zu überleben.“
Noch einmal lächeln sich die beiden an, dann dreht sich der Mann um und ist bald nicht mehr zu sehen.
„Was für ein Wunder!“, staunt Max erneut. „Als Suchender und Zweifelnder bin ich gekommen. Jetzt gehe ich nach Hause, als jemand, der weiß, dass Jesus lebt, mich kennt und liebt. Wow!“
Max lässt das Gebäude hinter sich und geht in die Finsternis hinaus.
„Ich habe mich dafür entschieden, dass Jesus mein Herr ist, dem ich folgen und gehorchen will. Also, habe ich heute auch einen neuen Chef bekommen: nicht mehr ich selbst bestimme, sondern Jesus.“
Während er nach Hause geht, fällt Max folgendes ein: „Der Mann hat gesagt, dass ich auf dem Weg bin, Christ zu werden. Ich wollte nie einer sein. Christen sind doch die alten, konservativen Spießer. Soll ich nun auch so einer werden? Diese Gedanken kosten Max einige Mühe. Nach beträchtlicher Zeit fällt es wie Schuppen von seinen Augen.
„Na klar, es ich doch offensichtlich, dass es auch noch andere Christen gibt!“
Max hat sie heute mal wieder erlebt. Diese andere Sorte von Christen näher kennen zu lernen, darauf ist Max jetzt sehr gespannt.

6.

Es ist anstrengend, durch den tiefen Schnee zu stapfen. Doch die beiden wählen oft diesen Weg durch den Wald, um zu ihrem Freund zu gelangen.
„Der hat wohl einen Vogel!“, schimpft Georg.
„Das hätte ich ihm nie zugetraut!“, pflichtet Andy bei und fügt frustriert hinzu: „Ist der wirklich so labil? So leicht zu beeinflussen?“
„Sekten sind ja bekannt für ihre Strategien der Gehirnwäsche!“, stellt Georg allwissend fest.
„Trotzdem...irgendetwas muss da passiert sein. Max wirft seine Lieblings-
CDs weg!“
Georg lacht plötzlich: „Jetzt hab ich’s, er hat uns verarscht.“
Andy sieht seinen Bruder fragend an. Dieser erklärt seinen neuen Standpunkt: „Na, er hat gar nichts weggeworfen...es ist wieder einer von diesen unberechenbaren Scherzen.“
Nachdenklich blickt Andy nach oben. Seine Augen finden ein Stück hellblauen Himmel, der winzig und schwach wirkt im Vergleich zu diesen gewaltigen Schneemengen, welche die Bäume fast erdrücken.
„Dafür war Max zu begeistert, als er uns das am Telefon erzählte. Georg! Irgendetwas muss passiert sein!“
Georg winkt ab. Doch seine Bewegung erstarrt in Schrecken.
„Scheiße!“
„Nicht schon wieder!“, stöhnt Andy.
Jetzt erst beginnen die beiden Riesenköter zu bellen. Die Brüder bleiben
stehen. Rasch kommen die Hunde an sie heran, fletschen die Zähne. Da ertönt ein Pfiff. Sofort drehen die Bestien ab und laufen zu ihrem Herrchen zurück.
„Wie sooft in letzter Sekunde!“
„Das kann man abwarten, bis...“
Andy kann bei diesen Gedanken nicht weitersprechen. Ganz verdattert setzen sie den Weg fort. Das Winken des weitentfernten Hundebesitzers beruhigt sie kaum. „Vielleicht wäre es doch gescheiter, mal einen anderen Weg zu wählen?“
Georg zuckt die Schultern.
„Auf jeden Fall, ist da was faul. Wahrscheinlich wird Max in der selben Lautstärke Musik hören wie sonst auch...nur diesmal kletterst du die Weintrauben hoch.“
Andy lacht. „Da kann ich mich ja gleich den Hunden zum Fraß vorwerfen.“
Sie lachen. Jetzt ist es nicht mehr weit.
„Komisch“, findet Georg, der angestrengt lauscht. „Normalerweise müsste man doch schon was hören.“
„Vielleicht ist es Max ernster als du denkst!“
Der Eindruck bestätigt sich, als sie vor der Haustür stehen.
„Alles ist still.“
Georg läutet und wie immer hören sie in das Innere des Hauses. Prompt ist eine Tür zu hören und Fußgetrampel auf der Stiege.
„Hallo“, begrüßt Max die Ankommenden freudig.
Mit offenen Mündern sehen Georg und Andy ihren Freund an.
Dieser fragt: „Was ist los? Hat es euch die Sprache verschlagen?“
„Tu doch nicht so...“, antwortet Georg verärgert, „als ob du dich schon tausend Jahre so verhalten würdest!“
„Kommt rein!“, fordert Max sie auf. Nachdem sie sich der nassen Winterklamotten entledigt haben, gehen sich nach oben in Max’ Zimmer.
„Tatsächlich“, stellt Georg fest, zu Andy gewandt: „...doch kein Scherz!“
„Was soll das?“, fragt Andy. „Keine Poster, keine Musik. Wo sind deine ganzen CDs?“
„Paar habe ich noch“, erwidert Max und zeigt grinsend auf das Regal.
Ein kurzer Blick genügt, um feststellen zu können: „Komm schon! Diese Dinger hast du ja schon Jahre nicht mehr gehört!“
„Hast du wirklich deine CDs...?“
Max nickt.
„Warum?“
„Das muss ich euch ausführlich erzählen...“
„Moment, du gehst auf eine Veranstaltung, um deine Manuela singen zu hören, rufst uns dann an, um uns – total aus dem Häuschen –reinzuquetschen: Jesus lebt, und dann wirfst du alles weg!“ Georg hebt den Zeigefinger und spricht noch eindringlicher weiter: „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“
„Lasst euch erzählen...“, will Max ansetzen, doch Georg würgt ihn schon wieder ab: „Dass ist Gehirnwäsche...alle starren auf eine projezierte
Liedfolie und heben die Hände...“
Max lacht.
„Wieso lachst du“, fährt ihn Georg wütend an.
„Weil alles ganz anders ist. Ich weiß jetzt, dass Jesus lebt.“
Andy verlautet: „Ich weiß auch, dass Jesus lebt, aber das ist doch kein Grund, für dein idiotisches Verhalten!“
Max schüttelt den Kopf. „Nein, ich rede nicht von einem Kopfwissen. Ich meine ein reales Erlebnis: Jesus ist mir begegnet!“
Andy und Georg sehen sich erneut sprachlos an. Georg findet als erster seine Fassung wieder. „Seit wann nimmst du Drogen?“
„Darf ich es euch jetzt erzählen?“
Schweigen.
„Also. Eine unüberschaubare Menschenmenge traf sich in einer riesigen Halle. Die Band spielte paar fetzige Lieder. Alles lief so ab, wie ich es schon kannte. Aber dann passierte das Außergewöhnliche. Ein Mann begann von der Bühne aus zu sprechen. Ganz einfache Sätze mit einfachen Wörtern. Doch von diesen Worten ging so eine Liebe, Kraft und Ausstrahlung aus...unbeschreiblich.“
„Irgendwelche Hypnose....“, murmelt Andy nachdenklich.
„Sag ich doch!“, platzt Georg heraus.
Max schüttelt den Kopf.
„Nein, der Mann beschrieb Situationen, Lebensumstände oder innerliches und äußeres Befinden einzelner Personen im Publikum. Anschließend hat er dann gesagt, was Gott, Jesus, darüber denkt und tun wird.“
„Das ist ja die Höhe!“, protestiert Andy.
Georg lacht. „Lächerlich...der erfindet einfach Dinge. Das kann ja keiner nachprüfen. Weder das, was er über die Menschen sagt, noch was Gott tun wird, geschweige davon, dass er behauptet, er wisse was Gott denkt!“
„Das ist ja die Höhe!“, wiederholt sich Andy. „Das ist doch total anmaßend, zu behaupten, er weiß was Gott denkt und tun will!“
„Absurd ist das“, schaltet sich Georg ein. „Einfach absurd!“
„Nein!“ setzt Max engagiert dagegen. „Ich bin der Beweis!“
Erneut sehen die zwei Max fragend an.
„Ich hörte also genau zu, wie dieser Mann über andere sprach. Da sagte er: ‚Es ist ein junger Mann hier’, und ihr werdet lachen, aber ich wusste sofort, dass ich der Angesprochene war.“
„Wie, du der Angesprochene?“
„Ja, ich wusste sofort, dass ich gemeint bin.“
„Wie?“
„Weiß auch nicht so genau...ein Gefühl...“
„Gefühl!“, entfährt es Georg verächtlich.
„...ein Betroffensein.“
„Aber wie soll das funktionieren?“, will Andy wissen. „Ein Mann spricht in die Menge und...“
„...und ich fühl mich angesprochen“, vervollständigt Max den Satz und setzt an, fortzufahren, doch er wird von Georg unterbrochen: „Einbildung! Nichts als Einbildung.“
„Irrtum“, gibt Max sicher zurück. „er hat genau meinen inneren Zustand
beschrieben.“
„Zufall!“, bricht es aus Georg vulkanartig aus.
„Er hat gesagt, dass er mich schon immer geliebt hat.“
„Wer?“, fragt Andy.
Max sieht ihn ratlos an.
„Na, wer hat dich geliebt?“ Nach einer Pause fügt er hinzu: „Der Mann oder...“
„Nein, Jesus hat mich schon immer geliebt.“
„Binsenweisheit“, unterbricht ihn Andy, „Gott liebt uns alle.“
„Aber ich habe Gottes Liebe gespürt in mir drin. Das hat mir Frieden gegeben...Seine Berührung.“
Max blickt Andy fest an. „Verstehst du, Frieden...auch ich!“
Georg schlägt sich mal wieder mit der flachen Hand an die Stirn und erzeugt dadurch einen beträchtlichen Knall.
„Warum fahrt ihr beiden nicht wie die Hippies damals nach Indien? Innerer Frieden...so ein Blödsinn!“
Andy sieht Max lange in die Augen.
„Jesus lebt!“, ruft Max erneut eindringlich aus.
„Alles nur...“, Georg findet das Erlebnis von Max derart lächerlich, dass er keine passenden Worte mehr findet, die diesen Unfug angemessen beschreiben könnten.
„Gut!“, sagt Max freudig und reibt sich die Hände. Strahlend verkündigt er: „Es geht noch weiter!“
Andy und Georg sehen sich wieder einmal an.
„Nach der Veranstaltung strömten unüberschaubare Menschenmengen dem Ausgang zu. Nachdem ich auf dem Klo war, sah ich mich noch so um, da hörte ich plötzlich hinter mir eine Stimme: Ich drehte mich um und ich dachte mir, mich knutscht ein Elch: vor mir stand derselbe Mann der vorher auf der Bühne die Sätze aussprach, die mich so trafen.“
„Ha! Ha!“
„Ja, und der größte Witz dabei ist, dass er mir wortwörtlich dasselbe noch einmal persönlich sagte.“
Betroffenes Schweigen.
„Jetzt seid ihr sprachlos!“
„Ein professioneller Wahrsager...die arbeiten nicht nur mit ausgefeilten Tricks, sondern sind auch psychologisch gebildet. Der wird dich halt beobachtet haben, wie du auf seine Worte „betroffen“ reagiert hast und schon...“
„Das ist unmöglich. Erstens waren zu viele Leute da. Zweitens habe ich mich nicht auffällig verhalten. Keiner um mich herum hat was mitbekommen. Wie erst die Leute von der Bühne?“
„Das heißt, du wurdest nicht aufgefordert, dich erkenntlich zu geben, durch Handzeichen oder Aufstehen?“
„Nein, alles lief anonym ab. Keiner konnte wissen, dass ich mich angesprochen fühlte.“ Eindringlich fügt Max hinzu: „Jesus hat ihm gezeigt, wie ich aussehe.“
Georg lacht wieder verächtlich. Andys Blick ist etwas schräg geworden.
„Jesus lebt und er hat mich herausgegriffen und erwählt. Er hat Großes
mit mir vor.“
Georg lacht spöttisch. Andy schüttelt entrüstet den Kopf.
„Also, irgendetwas läuft da anders, als in der katholischen Kirche!“
„Abschließend hat der Mann für mich gebetet. Auch, dass mich Gott beschützt auf dem Weg, Christ zu werden.“
„Was!“, entfährt es Andy. „Du bist doch Christ!“
„Wer katholisch ist, ist Christ.“
„Auf einmal, Georg. Dir ist doch das Thema egal!“
„Stimmt schon“, druckst Georg herum, „trotzdem bin ich ein Christ, ein katholischer Christ.“
Max schüttelt den Kopf.
„Es ist also eine Sekte!“, stellt Andy fest.
„Warum?“, fragt Max.
„Wer katholisch getauft ist, ist ein Kind Gottes, ein Christ. Gottes Liebe ist doch unabhängig davon, wie oft und in welche Kirche ich renne, oder?“
„Genau, Gott liebt uns!“, verlautet auch Georg.
Max zuckt die Schultern. „Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht so genau, wie er das gemeint hat. Aber ist auch egal! Jesus lebt. Er ist erfahrbar...und ich sage euch: seine Gegenwart ist besser, als alles auf der Erde, sogar besser als Musik.“
„Du spinnst doch total“, beschimpfen ihn die zwei Brüder gleichzeitig.
„Was ist mit unserem Motto: „Wir leben für die Musik!“?“
Max schüttelt den Kopf.
„Ich lebe jetzt für Jesus. Er ist mein Herr und ich befolge, was er sagt.“
„Und darum hast du die CDs weggeworfen?“
Max nickt mit dem Kopf. „Der Mann hat gesagt...“
„Na, da siehst du, wie labil du bist! Irgend so ein Guru sagt dir, was du tun und lassen darfst, und du Idiot machst es auch noch.“
„Jesus hat das doch gesagt!“
„Wer nun, der Mann oder Jesus?“
„Jesus hat es durch den Mann gesagt.“
Georg schließt die Augen. „Warte, ich empfange gerade eine Botschaft von Gott für dich...“
„Oh, du heiliges Werkzeug...“, ist Andy gespielt balsamhaft zu hören.
Plötzlich beginnen die beiden zu lachen. Max ist aber immer noch nicht hilflos. Im Gegenteil, voller Begeisterung zieht er ein Buch hervor.
„Seht mal.“
„Was ist das?“
„Das habe ich von dem Mann geschenkt bekommen, eine Bibel.“
Georg lacht. Andys Stimme ertönt schrill: „Ha! Die Zeugen Jehovas.“
„Quatsch! Da hat keiner von Jehova und Wachturm gesprochen!“
Max lässt die Seiten der Bibel durch die Finger rauschen. „Jedenfalls habe ich festgestellt, dass die Bibel voll das faszinierende Buch ist, voller Liebe und Geheimnisse. In den Psalmen schreibt David oft davon, dass er für Gott Musik machen will vor allen Völkern. David hatte den internationalen Durchbruch vor Augen! So wie wir.“
Andy schüttelt verächtlich den Kopf. „Meinst du, dass deine Art, die Bibel auszulegen, an den theologischen Hochschulen bestehen kann?“
Georg bekommt einen Lachkrampf. Später fragt er: „Hatte David einen Plattenvertrag?“
„Ich jedenfalls, will meine Talente für Jesus einsetzen, voller Kraft für ihn spielen.“
„Halleluja!“, spottet Georg.
„Das ist wohl das Große, zu dem dich Gott berufen hat?“, fragt Andy spöttisch.
Max ist zu begeistert, um das noch mitzubekommen. „Versteht ihr: Jesus lebt und ich darf für ihn Musik machen und Menschen erretten. Erinnert ihr euch an die zwei Gitarristen in der Musikkneipe. Das war stark. Überall präsent sein für Jesus!“
„Du bist vollkommen größenwahnsinnig!“
„Was für eine Anmaßung...Jesus begegnet!“, entrüstet sich Andy nochmals.
Georg fällt ein: „Sag mal, hast du dich nicht über Manuela gewundert, weil die Stimmen hört? Hast du auch schon Gottes Stimme vernommen?“
Max schüttelt den Kopf und wundert sich über seine Antwort selbst am meisten: „Noch nicht. Aber wenn Jesus lebt und mich liebt, dann ist es wohl das natürlichste, dass er auch zu mir spricht.“
Georg und Andy können es einfach nicht mehr fassen. Es entsteht eine unangenehme Stille, in die Andy hineinfragt: „Habe ich das richtig mitbekommen, dass du dich ein wenig von uns – zumindest was die Band betrifft – distanziert hast?“
Max sagt entschlossen: „Ich kann unmöglich länger diese Songs spielen und vor allem nicht mehr unter diesem Bandnamen!“
„Was?!“, brüllt Georg. „Du willst unsere Band schmeißen wegen diesem Idiotenkram!“
„Du gehst einmal auf so ein Treffen und schon gibst du unsere gemeinsamen, langjährigen Ziele auf?“, will Andy etwas gemäßigter wissen.
„Versteht doch. Alles hat sich geändert. Jesus lebt! Das Leben macht jetzt plötzlich Sinn.“
„Aber Andy geht doch auch in die katholische Kirche und macht mit ‚Black Mass’ weiter. Warum hörst du auf?“
Max überlegt, zuckt die Schultern und antwortet: „Ich weiß es nicht. Irgendwie merke ich, dass das nicht zusammen passt!“
„Was weißt du schon, du Trottel!“, schreit ihn Georg aggressiv an. „Mir reicht’ s! Diesen Scheiß höre ich mir nicht mehr länger an!“
Ehe jemand etwas erwidern kann, knallt er die Tür hinter sich zu. Betroffen sehen Max und Andy ihm nach.
„Meinst du nicht, dass es gefährlich ist, sich auf etwas einzulassen, wovon du eigentlich keine Ahnung hast?“
Max hält dagegen: „Das einzige, was ich weiß, ist, dass Jesus lebt und das habe ich nicht in der katholischen Kirche erfahren, sondern auf einen charismatischen Kongress.“
„Aber es widerspricht jeglicher Vernunft, sich auf etwas einzulassen, wenn man nicht weiß worauf.“
„Ich habe Jesus gespürt. Friede, Liebe....Ewigkeit, das gebe ich nicht mehr
auf.“ Er fügt hinzu: „Da sind ein paar CDs nur Dreck...oder auch unsere Band.“
Nun steht auch Andy hektisch auf. „Na dann!“, sagt er hitzig.
Sie gehen gemeinsam nach unten. Georg ist schon weg. Andy zieht sich an.
„Ich gehe am Freitag zum Jugendtreff. Kommst du mit?“
Ohne diese Frage zu beantworten, geht Andy an ihm vorbei nach draußen.
„Machs gut!“, sagt Max etwas geknickt.
„Machs besser!“

*

In der Aula der Schule ist es mal wieder turbulent, da es im Freien viel zu kalt ist. Normalerweise gehen viele Schüler, die Nachmittagsunterricht haben, für 45 Minuten in die Stadt, doch jetzt steht eine lange Warteschlange vor dem Kiosk. Die Jungen und Mädchen stehen oder sitzen in Gruppen zusammen. Eine davon ist besonders groß.
„Das ist wirkliches Leben!“, verkündet der junge Mann. „Jesus lebt!“
Die Zuhörer schütteln den Kopf, belächeln ihn.
„Mit ihm ist das Leben nicht mehr langweilig.“
„Sag mal, Max“, wirft Tom in die Runde, „bist du jetzt total durchgeknallt? Du warst doch so dagegen, gegen diesen spießigen Kirchenkram. Was ist
mit Red Devil?“
„Damit ist Schluss! Jesus ist mein Herr und der ist ziemlich cool. Nimm mit
ihm Kontakt auf...“
„Du bist wirklich nicht mehr ganz dicht!“, entfährt es einem anderen Zuhörer.
Geflüster. Gelächter. Max zitiert die Sätze des Busfahrers: „Bittet Jesus doch darum, euch zu zeigen, dass er lebt!“
Er macht eine umfassende Armbewegung. „Ihr alle, fordert Jesus heraus, euch zu begegnen. Er ist mir begegnet, er wird euch begegnen.“
„Jesus begegnen...du spinnst!“
Viele wenden sich entrüstet und belustigt ab.
„Aber Jesus ist der Sinn des Lebens!“, ruft Max hilflos aus. „Er gibt Frieden...“
„Was machst du, Max?“ fragt sie erstaunt.
Max gibt grinsend zurück: „Jeder soll ebensoviel Glück im Leben haben wie ich und Jesus als den Lebendigen erfahren!“
Manuela sieht ihn fassungslos an.
„Ich war auf dem Kongress und da hat Jesus an mir ein Wunder...“
Weiter kommt Max nicht. Mit einem jubelnden Aufschrei umarmt Manuela den Jungen. Während sie ihn fest drückt, sagt sie leise in sein Ohr: „Da war auch ein Wunder nötig!“
Genauso schnell, wie sie ihn umarmt hat, lässt sie ihn wieder los und eilt davon. Max und die anderen blicken dem Mädchen verdutzt nach.
„Was war das?“
Der Gong ertönt. Alle strömen in ihre Unterrichtsräume. Doch viel
bekommt Max nicht mit.
„Manuela“, schwärmt er.
Er spürt noch ihren Körper, sieht ihr Gesicht ganz nah.
„Sie liebt mich doch!“
Bei diesem Gedanken wird ihm warm ums Herz. Freude jagt durch seinen Körper.
„Sie hat mich vor allen anderen umarmt!“
„Max!“, ertönt ein scharfer Befehl. „Kannst du mir verraten, wie du mit geschlossenen Augen dem Unterricht folgen kannst?“
Gelächter.
„Ja.“
Alle sehen ihn gespannt an. Der Lehrer baut sich bedrohlich nahe vor Max auf.
„Bei geschlossenen Augen kann ich mich besser konzentrieren.“
Gelächter.
„Sonst werde ich immer so abgelenkt.“
„Das genügt!“, würgt der Lehrer die Situation ab.
Das Gelächter verstummt.
„Wir sprechen uns nachher!“
Der Lehrer wendet sich ab und fährt weiter in seinem Stoff fort.
„Der hat ja den A...“ Max hält inne. „Darf ein Christ überhaupt so denken?“
Es dauert nicht lange und schon ist er wieder der Wirklichkeit entrückt.
„Sie hat mich umarmt, vor allen anderen...das heißt schon was!“
Automatisch zückt er sein Heft, wie gefordert, aus der Schultasche.
„Ihr gefällt, dass ich mit Jesus gehe!“
Mechanisch unterstreicht er die Überschrift.
„Zuerst Jesus und dann noch Manuela...wow!“
Er bedankt sich bei Gott.
Der Schulgong ertönt. Rasch packt Max seine Sachen in die Schultasche ein und will den Raum verlassen, da wird er vom Lehrer gebremst: „Ah, schau an. Jetzt ist Max quicklebendig!“
Gelächter.
„Du verlässt als Letzter den Raum!“
„Tschüss Max!“, verabschieden sich die Mitschüler schadenfroh.
Als alle gegangen sind, fragt er: „Darf ich jetzt auch...“
„Max“, der Lehrer verwandelt seine Strenge in Väterlichkeit. „Was soll das denn?“
„Was?“
„Komm schon...so geht’s nicht weiter mit dir. Du musst dich zusammennehmen!“
Max will zuerst, wie immer, gleichgültig reagieren, doch da jagt ein Gedanke durch seinen Kopf: „Sollte die Kursänderung meines Lebens auch das Verhalten in der Schule betreffen?“ Dieser Gedanke verwirrt ihn, lässt ihn unsicher reagieren, was auch der Lehrer bemerkt.
„Du könntest sicher anders, Max.“
Der Junge blickt seinen Lehrer nachdenklich an. Irgendwie ahnt er, dass das Leben mit Jesus noch einige Veränderungen seiner Einstellungen und Haltungen mit sich bringen wird. Max spürt, dass ein langer Weg vor ihm liegt. Der Junge kann nur betreten nicken, was der Lehrer als
pädagogischen Erfolg wertet.
„Packs an, Max! Es ist noch nicht zu spät!”
Sie verabschieden sich.
„Ja, es ist nie zu spät, den langen Weg mit Jesus zu bestreiten“, murmelt Max vor sich hin.

*

„Was!“ ruft Alex lachend aus.
„Ja, der behauptet, dass ihm Jesus erschienen ist“, bekräftigt Georg seine Aussage.
„Aber mal ehrlich, Max war immer der Abgedrehteste von euch dreien“, stellt Alex nüchtern fest. „Jetzt ist er halt komplett durchgeknallt.“
„Er schmeißt die Band...“, platzt Georg immer noch fassungslos heraus.
„Hallo, ihr zwei.“
Alex erstarrt vor Ehrfurcht und kann seine Augen nicht von ihr lassen.
„Darf ich mich zu euch setzen?“
Georg sieht gelangweilt weg. Innerlich kocht er. „Die hat mir gerade noch gefehlt!“
Alex schluckt aufgeregt: „Na klar!“
Lächelnd setzt sie sich.
„Heute schneit es schon den ganzen Tag. Wie wäre es mit einer Schlittentour...?“ Verheißungsvoll lächelt sie. „Danach lassen wir wieder die Flasche kreisen...“
„Super geil, Isabella“, antwortet Alex eifrig.
„Na, was ist mit dir?“, spricht das Mädchen Georg an.
„Keine Zeit“, antwortet dieser knapp.
Isabellas Augen blitzen zornig auf...aber nur kurz.
„Also Alex, ich zähle auf dich.“
Sie zwinkert ihm zu. Isabella steht auf, und bevor sie sich umdreht sagt sie zu Georg: „Ich schicke dir einen speziellen Gruß.“
Beide sehen dem Mädchen nach.
„Was für eine Frau“, begeistert sich Alex wieder einmal.
„Sag mal, was ist los mit dir?“
„Ach, die kann mich mal! Lass die Finger von der!“

*

Einsam zieht er seine Kreise durch das kalte Schneetreiben. Er braucht frische Luft, um klar denken zu können.
„Irgendwas muss dran sein“, murmelt Andy. „Max sprach von Frieden...und wie er es getan hat!“
Ihm fällt der Gesichtsausdruck von Max ein und welche Überzeugung er in seinen Augen sah.
Der Gong verkündet, dass die nächste Stunde beginnt, doch Andy muss noch für sich bleiben.
„Max war so ein Musikfan, er hätte alles getan für den Durchbruch...jetzt wirft er alles hin.“
Nach ein paar Minuten kommt er zu dem Schluss: „Entweder: es ist was dran oder Max ist echt wahnsinnig geworden!“
Andy trifft eine Entscheidung: „Was soll’ s, ich werde mir selber ein Bild davon machen.“

*

„Hey!“ schreit Max aufgebracht und wirbelt herum.
Heiteres Kichern besänftigt ihn sofort wieder. „Was, du...?“
„Habe gerade kein anderes Ziel gehabt“, gibt sie keck zurück.
Manuela hat einen weiteren Schneeball in der Hand. Max geht auf das Mädchen zu. Wie so oft versinkt er in ihren Augen.
„Wow“, denkt er, „bin ich in Hollywood?“
Langsam nähert er sich ihrem Gesicht. Als Manuela merkt, dass Max sie küssen will, sagt sie: „Wenn du es versucht, bekommst du einen zweiten Schneeball ab!“
Filmriss. Verwirrt sieht Max sie an. Sie lächelt: „Ich habe mich so gefreut. Du evangelisierst...!“
„Was tue ich?“
„Na, du erzählst von Jesus...vor ein paar Wochen warst du noch so ablehnend, denk an die Betriesbesichtigung und jetzt...“
Sie hat Tränen in den Augen.
„Und warum darf ich dich nicht küssen?“
Manuela blickt ihn ruhig an.
Max fächert seine Argumente auf: „Du hast mich vor allen umarmt, du wartest hier auf mich...“
„Eben“, verlautet Manuela fest, „ich will es dir erklären. Ich habe mich so gefreut...sehe es als geschwisterliche Umarmung!“
In Max bricht eine Welt zusammen. „Als was?“
„Na, wir folgen beide Jesus nach...Er ist das Wichtigste im Leben!“
Schweigen. Manuela merkt, wie es im Gehirn von Max arbeitet.
„Willst du keinen Freund?“, fragt Max ungläubig.
„Doch, und ich weiß, dass Jesus einen wunderbaren Mann für mich hat. Auf den warte ich.“
„Redest du von deinem Ehemann?“ Max lacht spöttisch.
Sie nickt. „Ich will auf meinen Mann warten!“
„Und was ist mit Sex?“
„Nur in der Ehe mit meinem Mann, dem ich lebenslang treu sein will!“
„Sag mal, lebst du hinter dem Mond?“
„Das will Jesus von uns...“
„Ph, dass ist die Moral der alten Spießer.“
Manuela schüttelt langsam den Kopf.
„Du kannst es in der Bibel nachlesen.“
„So ein Käse soll da drin stehen?“
„Dort steht, dass wir unsere Einstellungen ändern müssen, damit wir nicht mehr so leben und denken wie alle anderen.“
„Moment mal“, unterbricht Max das Mädchen. „Ich habe immer gesagt, dass ich anders bin, als alle anderen...“
„Ja, du hast es gesagt, aber gedacht und gehandelt hast du, wie alle anderen auch.“
„Ich bin mein eigener Herr und tue, was ich will!“
„Das sagen doch alle, zumindest leben sie so!“
Manuela hat Max allen Wind aus den Segeln genommen.
„Du bist angepasst...“
„Was?!!!“
„...angepasst an die Lebensweise der meisten. Die meisten leben ohne Gott, so wie du es vor kurzem noch getan hast.“
Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Du lebst jetzt mit Jesus, so werden sich
alle alten Einstellungen und Gewohnheiten noch verändern müssen.“
Sie lacht. „Ja, und dann wirst du nicht mehr angepasst sein. Du hast heute damit angefangen und jedem gesagt, dass Jesus lebt. Damit erst unterscheidest du dich doch von den anderen!“
Max ist verblüfft. „Wieder einmal hast du mir bewiesen, dass du klug und schön bist.“
Manuela wird kein bisschen verlegen, trotz des langen Blickes, mit dem sie sich ansehen.
„Aber eine Frage bleibt dennoch offen.“
Das Mädchen ist neugierig geworden.
„Liebst du mich?“
Manuela will antworten, doch Max unterbricht sie: „Komm mir jetzt ja nicht mit unserer Generation!“
„Der Bus ist da“, sagt das Mädchen trocken.
Max blickt sich um. „Oh! Kommst du nicht mit?“
„Nein, ich habe noch ein Treffen.“
„So, so.“
Max dreht sich um zum Gehen. Nach ein paar Schritten hält er inne.
„Übrigens...für dich warte ich tausend Jahre!“
Als Antwort bekommt er einen Schneeball ins Gesicht.

*

Max sitzt in seinem abgewrackten Polsterstuhl und blättert in der Bibel herum.
„Wie war das gleich noch mal....ach, hätte ich doch besser im Religionsunterricht aufgepasst!“
Langsam dämmert ihm manches.
„Ah, das ist das Alte Testament und hier das Neue...aber hallo, das Alte ist ja fünfmal so dick.“
Er lässt eine beliebige Seite aufgeschlagen, „Jesaja...komischer Name“, und beginnt irgendwo zu lesen: „Ich habe dich beim Namen gerufen, du bist mein.“
Plötzlich ist Max elektrisiert. Es ist wie auf dem Kongress. Er ist gemeint. „Wow, Gott, du bist hier und meinst mich.“
Max blättert einige Seiten weiter: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt.“
Wärme und Frieden ist in ihm. Ergriffen sagt er: „Danke, Jesus, mit ewiger Liebe...mich...“ Er hat Tränen in den Augen. Es scheint, als ob er von Liebe und der Gegenwart Gottes völlig umhüllt ist. Das ganze Zimmer ist voll damit.
„Deine spürbare Nähe ist das Schönste, was ich je erlebt habe. Danke.“
Er sitzt eine Zeitlang regungslos auf seinem Stuhl und saugt die Liebe Gottes wie ein trockener Schwamm das Wasser auf.
„Was steht denn noch im...Jeremia....noch nie gehört!“
Er blättert weiter.
„Rufe mich an, dann will ich dir antworten und will dir Großes und Unfassbares mitteilen, das du nicht kennst.“
„Jesus, lehre mich...ich will dir treu sein.“
Ein paar Zeilen weiter: „...ich will ihnen eine Fülle von Frieden und Treue offenbaren.“
„Frieden...Danke, Herr Jesus. Und du forderst nicht nur Treue, sondern bist selber treu.“
Nach einer Zeit, in der Max in sich schaut, liest er weiter: „Und ich werde sie reinigen von all ihrer Schuld, mit der sie gegen mich gesündigt haben.“
Das erregt den Unwillen des Jungen. Schuld und Sünde, das sind doch Begriffe der Spießer. Was hat sein lebendiger, cooler Jesus, der ihn liebt mit diesen alten, moralisch-verkrusteten Denksystemen zu tun? Das gibt ihm ein Rätsel auf.
„Ach, schau ich mal ins Neue Testament...“
Er schlägt das Matthäus Evangelium auf.
„Trinkt alle daraus! Denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“
„Was!“, entfährt es Max. „Dieses langweilige Zeug steht hier drin!?“
Ihm fällt ein, wie oft er gezwungen worden ist, sich diese langweiligen Texte und Prozeduren in der Kirche anzuhören und mitzuerleben.
„...beziehungsweise mitzuschlafen“, murmelt Max lächelnd.
Eilig blättert Max ins Alte Testament zurück. „Jesaja...das war super!”
“Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen.“
Max ist versucht, die Bibel wütend zuzuschlagen, doch da wird er vom nächsten Satz förmlich angezogen: „Die Strafe lag auf ihm zu unserm Frieden, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden.“
„Frieden!“, hallt in ihm wieder. Diesen erlebt er gerade. Sollte das was mit Sündenvergebung zu tun haben? Das ganze Gelaber der scheinheiligen Spießer von Sünde und Vergebung sollte das am Schluss stimmen? Hat das was mit seinem lebendigen Jesus zu tun? Max fällt eine Bibelstelle ein, die er vorher gelesen hat: „Rufe mich an, dann will ich dir antworten und will dir Großes und Unfassbares mitteilen, das du nicht kennst.“
Nach einiger Zeit des Nachdenkens stellt Max fest: „Da bin ich ja mal gespannt, was da Großes auf mich zukommen wird...Unfassbares wahrscheinlich.“

*

„Ach, das bekommen wir schon hin!“
Georg und Andy kauen lustlos an ihren Broten herum.
„Der Auftritt wird super!“, gibt Daniel überzeugt von sich. „Wir können locker ohne Max auskommen. Musikalisch war er sowieso nicht das Gelbe vom Ei!“
„Aber er war schon wichtig...coole Ideen...“
Andy pflichtet Georg frustriert bei: „Was ist ‚Black Mass’ ohne Red Devil?“
Daniel stößt es heraus: „Der war doch sowieso nicht ganz sauber!“
„Du kennst ihn halt nicht“, hält Andy dagegen.
„Bei den ersten Erfolgen hätten wir den sowieso rausgeworfen!“
„Na hör mal, wie redest du von meinem Freund!?“, ist Georg aufgebracht zu hören.
„Vorher habt ihr ihn noch beschimpft.“
„Trotzdem!“, bellt Andy zurück.
Schweigen.
„Das Programm ist gut...ihr werdet es sehen, nächste Woche sind wir die Helden der Mädchen!“
„Darauf trinken wir“, ruft Georg aus.
Nach einiger Zeit machen sich die Brüder auf den Heimweg. Es ist kalt, windig und völlig dunkel.
„Jetzt ist bei meinem Rad das Licht kaputt!“, schimpft Andy.
„Bei diesem alten Gefährt kein Wunder!“ Balsamhaft fügt Georg hinzu: „Ich leuchte dir den Weg in die ewige Heimat.“
„Ha! Ha!“
Sie fahren eine Zeitlang schweigend nebeneinander. Die Straßen sind geräumt und gut gesalzen, deshalb noch nicht eisig.
„Übrigens“, sagt Andy in die Stille hinein: „ich werde mir das charismatische Jugendtreffen ansehen!“
„Was?!“, entfährt es Georg.
„Ich muss es sehen!“
„Warum?“
„Max hat sich nicht einfach so verändert. Er muss wirklich irgendetwas erlebt haben...“
„Klar“, unterbricht ihn Georg: „Gehirnwäsche! Da ist nichts Übernatürliches passiert...einfach nur Gehirnwäsche!“
„Du machst es dir zu einfach.“
„Ach!“, winkt Georg genervt ab.
„Ich sehe mir das auf jeden Fall an!“
Schweigen.
„Tja“, seufzt Georg, „dann muss ich wohl oder übel mitkommen. Schließlich muss ich auf dich aufpassen, nicht dass du auch noch wie Max durchknallst.“
Als sie zu Hause sind, gehen sie gleich in ihr Zimmer.
„Hier ist wieder eine Luft!“, schnaubt Georg und öffnet das Fenster.
Andy vergeht das Lachen, als sein Blick - an seinem erstarrten Bruder vorbei - die Katze trifft.
„Was ist das?“, fragt Georg schockiert.
Andy tritt neben ihn und kann nicht glauben, was er da sieht. Eine tote
Katze, aufgeschlitzt, hängt im Kellerschacht. Mit dem Schwanz ist sie am Gitter befestigt. Eisiges Schweigen. Sekunden vergehen als Stunden.
„Bin ich in einem Horrorfilm?“, fragt Georg.
Andy weiß nicht, wie er reagieren soll. Georg gibt sich einen Ruck, zieht aus der Hosentasche sein Messer und schneidet das tote, grausam gequälte Tier vom Strick.
„Ich entsorge sie!“
Andy ist allein. Regungslos starrt er in den Kellerfensterschacht.
„Was hat das zu bedeuten?“
Er weiß es nicht, aber Angst beschleicht ihn. Plötzlich ist das Zimmer wieder von diesem Etwas erfüllt. Wochenlang hatte Andy Ruhe, doch jetzt ist es wieder da.
„Was ist mit dem Frieden, den ich durch die katholischen Gottesdienste erfahren habe?“
Er zerbröselt. Jetzt kommt es Andy vor, als ob dieser gefühlte Friede nur eine dünne Eisschicht auf einem Vulkan war, der kurz vor dem Ausbruch stand. Massiv trifft ihn Panik. Kalte Schauer jagen über seinen Rücken.
„Andy!“, ist plötzlich sein Bruder zu hören, der mit dem Rücken zur geschlossenen Tür lehnt. Es scheint, als wolle er sie mit aller Kraft zu halten.
„Irgendetwas verfolgt mich!“
Ein kalter Luftzug trifft die beiden. Andy schließt das Fenster.
„Als ich die Katze losließ, sprang mich etwas an!“
Erneut werden sie von einem kalten Luftzug gebeutelt.
„Wie ist das möglich? Wir befinden uns in einem geschlossenen Raum.“
„Ich glaube, wir drehen durch!“
„Wer hängt uns eine tote Katze ins Zimmer?“
„Ich glaube, das war Isabella.“
„Was?“
„Ja, sie kündigte einen speziellen Gruß an....“
„Aber....?“ Andy bleiben die Worte im Hals stecken.
„Mit der stimmt was nicht!“
„Meinst du, dass die eine...?“
„Keine Ahnung, was das für eine ist!!“, unterbricht ihn Georg wütend. „Ich dachte immer, alles sei nur ein Spiel, nur bedeutungslose Worte...“
Beide sehen zum Fenster.
„Weißt du noch, was du mir vorphilosophiert hast?“
Andy sieht Georg fragend an.
„Wie du mir erklären wolltest, dass eine kleine Veränderung große Auswirkungen haben kann? Wie du das Kreuz umgedreht und das Licht ausgeschaltet hast?“
Andy erinnert sich. „Das war Logik, du weißt ja, ich liebe es zu philosophieren...“
„Quatsch, Herr Professor“, unterbricht ihn Georg, „das ist blutige Realität!“
Entsetztes Schweigen entsteht.
„Das habe ich schon länger befürchtet“, meint Andy niedergeschlagen und blickt auf das Bandlogo.
„Womit haben wir nur gespielt?“
„Das ist ein zweiter Grund für mich, auf das christliche Jugendtreffen zu gehen.“
„Wieso?“, fragt Andy.
„Wenn dieses angstmachende Zeugs so real ist, dann muss es doch ein Gegengewicht geben!“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Vielleicht ein „Jesus lebt!“, wie Max behauptet?“
Andy findet sein Grinsen wieder. „Doch ein Dualist?“
„Herr Professor...!“, zischt Georg.

*

Das Treffen ist in vollem Gang. Ein fetziger Song wird gespielt. Die Teenies singen begeistert mit. Viele klatschen, einige heben die Hände. Alles scheint in Bewegung und lebendig zu sein. Gute Chancen für Max, unbemerkt in den überfüllten Raum zu huschen und sich in die letzte Stuhlreihe zu stellen. Er weiß ganz sicher, dass Jesus lebt und ihn liebt; um so unsicherer ist er darin, wie er sich in dieser Umgebung verhalten soll. Alle ist neu...das bedeutet für ihn fremd, sogar beängstigend.
„Was kommt auf mich zu?“, murmelt er. „Wie sind die Christen so drauf?“
In der Schule und überall von Jesus zu erzählen, fällt ihm leicht, macht ihm Spaß, aber hier fühlt er sich so...so beklemmt.
„Eigentlich komisch“, wundert sich Max und lässt seine Blicke über das Szenario gleiten. Ganz unbemerkt ist er nicht geblieben. Manuela winkt ihm zu. Wärme erfüllt sein Herz. Er winkt zurück.
Seine Aufmerksamkeit wird nun auf ein Bild gelenkt, das der Beamer an
die Wand wirft. Ein blutüberströmter Körper, der an einem Kreuz hängt. Darunter steht plötzlich der Satz eingeblendet: „Jesus starb für dich!“
Max fällt dir Bibelstelle im Jesaja ein, die er vor ein paar Tagen gelesen hatte: „Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen, um unserer Sünden willen.“
Plötzlich hallen die beiden Wörter „unserer Sünden“ durch das Universum seinen Seins.
„Meine Sünden...“, nagt es an seiner Seele, seinem Verstand und Gewissen. Der Magen rebelliert, der Darm brodelt und seine Nieren pieksen.
„Meine Sünden...“
Max blickt wieder auf das Bild. „...wegen mir durchbohrt...“
Auch bei geschlossenen Augen sieht er das Bild in sich. „...wegen mir durchbohrt...“
Max hat keine Ahnung warum, doch er weiß auf einmal, dass er vor Gott schuldig ist. Altmodische, seltsamklingende Worte fallen ihm ein, die er im Religionsunterricht, in der Kirche, von irgendwelchen moralischen Omis und Opis gehört und sich darüber lustig gemacht hat.
„Sünde, Schuld, Buße, Gerechtigkeit, Gericht, Strafe, Heilig...Gott ist heilig“, flüstert er mit Tränen in den Augen.
Max fühlt, dass zwischen Jesus und ihm eine riesige Kluft ist.
„Jesus!“, schreit es in ihm. „Du liebst mich doch!“
Max streckt seine Hände aus. „Ich will dir doch folgen!“
Aber es geht nicht. Dieser Abgrund stellt sich in den Weg. „Mein Gott, was soll ich denn tun?!“
Max öffnet die Augen. Er weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Doch jetzt erst realisiert er, dass keine Musik mehr spielt. Viele neben ihm knien am Boden. Einige weinen. Der Beamer zeigt eine Sonne. Darunter steht der Bibelvers: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt wird nicht in der Finsternis bleiben.“
Noch treffender können diese Worte seinen Zustand nicht beschreiben. Jesu Licht und Heiligkeit haben in sein Inneres geleuchtet. Jetzt merkt Max wie viel Dunkles in ihm ist.
„Herr, vergib mir bitte meine Sünden.“
Er weiß nicht genau, was jetzt zu tun ist. Er ist sprachlos. Max spürt Gottes Gegenwart. Ehrfurcht macht sich breit. „Ehrfurcht“, flüstert Max.
Diese steht im krassen Gegensatz zu seinen hochmütigen Proklamationen, dass er sein eigener Herr sei und nur mache, was er wolle. Wie passt das mit seinem Entschluss zusammen, dass Jesus sein Herr sein soll?
„Jesus, verzeih mir bitte meinen Hochmut und die Rebellion gegen dich. Verzeih mir, dass ich unabhängig von dir sein wollte.“
In diesem Moment beginnt ein junger Mann von der Bühne her zu sprechen: „Gott hat eingegriffen. Er selbst hat den Ablauf des Treffens über den Haufen geworfen. Es gibt keine Predigt. Gott selbst hat gesprochen. Er ist hier, wir alle spüren seine Heiligkeit.“
Nach einer Pause fährt er fort: „Wenn zwischen Gott und dir Sünde steht, dann komm nach vorne, bekenne deine Sünden und wir werden für dich beten.“
Max spürt in sich, dass er nach vorne gehen soll.
„Komm und suche den Herrn, solange er sich finden lässt. Er hält dir seine Hand hin. Ergreife sie! Deine Entscheidung in diesem Augenblick wird dein Leben bestimmen, das irdische und das ewige.“
Der Sprecher macht eine kurze Pause.
„Das absolut Bedeutendste im Leben ist, diese Fragen zu beantworten: „Lebst du mit oder ohne Gott, bist du ihm treu oder betrügst du ihn, bleibst du bei ihm oder verlässt du ihn, wendest du dich Gott zu oder zeigst du ihm die kalte Schulter?“
Die Sätze schweben über die Versammlung, sickern langsam in das Bewusstsein der Hörer.
„’Wähle mich!’, fordert Jesus Christus auf. Wähle das Leben! Wähle Liebe und Glück! Jesus weint und er lacht. Er freut sich und kämpft um dich mit seiner Liebe. Spürst du sein Werben? Hörst du seinen Ruf? Dann mach ganze Sache mit Jesus! Liebe ihn und diene ihm als deinem Herrn. Er will dich ganz...nicht mehr und nicht weniger! Fang ein neues Leben mit ihm an, so wirst du wiedergeboren, ein Kind Gottes. Ist das nicht herrlich? Ein
kompletter Neuanfang, vollkommen umgeben mit seiner herrlichen Liebe.“
Der Sprecher springt und hüpft im Kreis herum: „Ich freue mich!“, ruft er immer wieder aus.
Plötzlich ist alles ruhig. Auch der Leiter auf der Bühne. Irgendwann ist ein Mädchen zu hören: „Ich liebe dich. Hör auf, deine Wege zu gehen und folge mir nach.“
Die Sprecherin befindet sich mitten unter den Leuten und ist gut zu verstehen, obwohl sie kein Mikrofon benützt. Aber man könnte auch eine Stecknadel fallen hören, so leise ist es. Nach geraumer Zeit verlautet der Mann auf der Bühne: „Wer jetzt auf Gottes Ruf reagieren möchte, komme nach vorne!“
Max setzt sich sofort in Bewegung. Er will zu Jesus und alles beiseite räumen, was ihn daran hindert. Max will den Abgrund überwinden. Doch er ist nicht der einzige. Viele junge Leute eilen nach vorne. Irgendwann kommen zwei junge Männer zu ihm. Einer davon ist der Sprecher, der ihn auch begrüßt: „Hallo, ich bin Jonathan!“
„Max!“
Sie geben sich die Hände.
„Was bewegt dich?“
„Ich weiß, dass Jesus lebt und mich liebt....doch da ist so eine Grube, die mich hindert, zu ihm zu kommen.“
Wissend nickt der junge Mann mit dem Kopf. „Weißt du, warum es diesen Abgrund gibt?“
Max sieht ihn fragend an.
„Sünde! Sünde trennt dich von Gott. Ohne Gott sind wir tot, denn Er ist das Leben. Somit führt Sünde immer zum Tod.“
„So krass habe ich das noch nie gesehen.“
„Aber Jesus starb an deiner Stelle. Er selbst war ohne Sünde. Er trug deine und meine.“
Max fällt das Bild von dem Gekreuzigten ein: „...wegen meiner Sünde...“
Erneut fühlt Max eine schwere Last auf sich.
„Er starb für dich, weil er dich liebt. Bitte ihn um Vergebung für alles, was du ihm und anderen Menschen angetan hast. Er wird dir vergeben und du darfst mit ihm ewig leben. Willst du ein Gebet nachsprechen?“
Max nickt bewegt.
„Lieber Herr Jesus. Danke für Deine Liebe und Deinen Tod am Kreuz. Bitte vergib mir alle meine Sünden, auch die verborgenen. Jesus, sei mein Herr. Ich will das tun, was du willst und nicht mehr das, was ich will. Amen!“
Max spricht die Sätze konzentriert nach.
„Jetzt bist du ein Kind Gottes...“
Sie umarmen sich lachend.
„...ein echter Christ.“
Der Mann weiß gar nicht, was diese wenigen Worte für Max bedeuten, da sich die Frage löst, die ihm Andy und Georg nach dem Kongress stellten, warum er noch kein Christ sei. Jetzt weiß er es: es fehlte das Bereuen und Bekennen seiner Sünden, die Jesus vergibt. Jetzt erst fällt Max auf, dass die Last weg ist. Er fühlt sich ganz leicht und frei. In einem inneren Bild sieht er, wie Jesus ihn umarmt.
„Der Abgrund zwischen Jesus und mir ist weg. Ich bin bei ihm!“, ruft Max jubilierend aus.
„Spitze!“, ist plötzlich eine Frauenstimme zu hören.
Da werden die drei auf das Mädchen aufmerksam, das schon eine Weile dabeisteht. Manuela strahlt über das ganze Gesicht. Tränen der Freude kollern über ihre Wangen.
„Kennt ihr euch...?, fragt Jonathan irritiert.
Statt eine Antwort zu geben, umarmen sich die zwei impulsiv. Nach
einiger Zeit erklärt Manuela: „Max geht mit mir in die Schule und ihr hättet ihn mal vor ein paar Wochen erleben sollen.“
„Das stimmt....kaum zu glauben“, pflichtet Max bei. „Aber seit dem Kongress...“
„Weißt du was“, unterbricht ihn Jonathan, „das erzählst du mir mal in Ruhe. Ich finde Bekehrungstorys immer hoch interessant. Aber jetzt...“,
Jonathan macht eine umfassende Handbewegung, „müssen wir noch für die anderen da sein.“
Max sieht sich um. Noch viele Teenies warten stehend, sitzend, liegend auf Gebetsunterstützung. Da bleibt sein Blick an einem Jungen hängen, der sich ganz auf den Boden ausgestreckt und Gott ausgeliefert hat.
„Den kenne ich“, entfährt es Max überrascht und freudig.

*

„Ach, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee war!“
Andy sieht seinen Bruder scharf an. „Bekommst du kalte Füße? Denk dran, du musst auf deinen kleinen Bruder aufpassen!“
Je näher sie sich dem hellerleuchteten Gebäude nähern, desto mehr Widerwille kommt in Georg hoch.
„Das vorher...das war doch nur Einbildung.“
„Die gequälte Katze bloß Einbildung...?“
Andy schüttelt den Kopf. Jetzt treten sie aus der Dunkelheit in den
Lichtkegel des Gebäudes, in dem der Jugendtreff stattfindet.
„Noch kann ich abhauen“, denkt Georg bei sich.
Doch ehe er sich versieht, ist er umgeben von Scharen Jugendlicher, die alle in das Gebäude hineinströmen.
„Das sind ja wirklich viele junge Leute...“, staunt Andy.
„Ich glaube, ich hau ab!“ Mit diesen Worten bleibt Georg abrupt stehen. Andy sieht ihn fest an. „Erinnere dich, zu Hause wartet das schwarze Loch auf dich!“
„Und du meinst, hier gibt es die Lösung?“
„Zumindest ist es hier um Beträchtliches heller als in unserem Zimmer“,
meint Andy spöttisch und deutet auf die Beleuchtung des Hauses.
„Grüß euch“, ist plötzlich eine Stimme zu vernehmen, „seid ihr zum erstenmal hier?“
Sie nicken.
„Ich bin der Jonathan“, stellt sich der Fremde vor.
Andy und Georg nennen ihre Namen.
„Das freut mich, dass ihr da seid.“
Er bemerkt ihr Zögern.
„Kommt nur herein, wir beißen nicht.“
„Warum macht ihr...“, Andy fehlen die Worte und deutet um sich, „...das hier?“
„Warum?“
Jonathan lacht.
„Weil Jesus lebt und uns liebt. Wir wollen ihn gemeinsam feiern als unseren Freund und Retter.“
„Warum seid ihr dann nicht katholisch?“, fährt ihn Georg an.
„Ich habe nichts dagegen, wenn ihr Jesus in der katholischen Kirche suchen wollt. Hier suchen wir ihn auf diese Weise. Aber entscheidend ist doch, dass wir Jesus finden und mit ihm leben, oder?“
Ein kurzer Augenblick des Schweigens vergeht.
„Ihr zwei seid herzlich willkommen. Wenn ihr wollt, kommt herein. Aber ihr müsst nicht. Jeder kann sich frei entscheiden. War nett, euch kennen zu lernen.“
Unschlüssig stehen die beiden da.
„Max redet genau wie der...Jesus, Jesus...das haben die ihm schon in so kurzer Zeit eintrichtern können!“
Andy fällt das CD-Cover ein. „Was willst du? Dass eine Bestie an den Fäden zieht oder dass Jesus dein Leben bestimmt?“
„Gibt’s für dich kein Zwischendrin mehr?“
Andy zuckt mit den Schultern. „Angenommen, es gibt tatsächlich kein Zwischendrin, das würde bedeuten, entweder Jesus lebt oder du wirst bis
an dein Lebensende von einer toten Katze angesprungen.“
Georg denkt nach. Dabei verfinstern sich seine Gesichtszüge erheblich. Etwas später macht er eine wegwerfende Handbewegung: „Gut, gehen wir rein, hören uns den Scheiß ein, zwei Stunden an und dann hauen wir ab in die Musikkneipe!“
„Was sind schon zwei Stunden im Leben...“, sagt Andy grinsend und fügt hinzu: „...oder gar gegen die Ewigkeit?“
Zuerst durchqueren sie einen langen, engen Gang, was gar nicht so leicht fällt, da viele Jugendliche kreuz und quer in die unterschiedlichsten Richtungen streben. Doch der helle, große, einladende Raum am Ende des „Tunnels“ versetzt auch sie ins Staunen. Alles ist hell und freundlich. Die Stuhlreihen sind schon ziemlich gefüllt.
„Komm! Setzen wir uns dort hinten hin. Da haben wir alles im Überblick.“
Nachdem sie Platz genommen haben, lassen sie alles eine Weile auf sich wirken.
„Was auch kommen mag...eines muss man ihnen lassen. Die Gemälde sind wirklich anspruchsvoll und vielsagend.“
Für so was hat Georg nicht mal ein müdes Lächeln übrig.
„Schau dir mal die Hasen an.“
Georg zwinkert seinem Bruder zu. „Ob die wohl auch viel zu sagen haben?“ Er lacht.
Andy folgt den Blicken seines Bruders. Nach einiger Zeit stellt er fest: „Die wirken ganz normal...nicht irgendwie altmodisch-verklemmt.“
Musiker betreten die Bühne. Kurz darauf beginnen diese zu spielen. Schon nach wenigen Takten muss Andy anerkennen: „Donnerwetter. Die haben was los!“
Georg nickt. „Max hat da nicht übertrieben.“
Plötzlich fängt er zu lachen an.
„Schau mal!“, fordert er Andy auf.
Ein Mädchen schwenkt eine Fahne.
„Die Abbildung ist vielleicht kitschig“, bemerkt Andy
Georg lacht noch immer. „Fahnen schwenken...“
Spöttisch macht er die Bewegung nach. Andy hebt plötzlich balsamhaft seine Arme hoch. Zuerst versteht Georg seinen Bruder nicht, doch dann bemerkt er ebenfalls, dass viele Anwesende die Hände in die Luft halten.
„Haben die zu viel Western geschaut?“
„Hände hoch“, lacht Andy.
Ein Gitarrensolo zwingt die beiden zum Zuhören.
„Mann, wenn ich so spielen könnte!“, stöhnt Georg.
Ein Bild wird mit einem Beamer an die Wand geworfen. Ein blutüberströmter Körper hängt am Kreuz. Georg sucht nach einer spöttischen Bemerkung, doch sein Übermut ist wie weggepustet. Er blickt zu Andy und merkt, dass es ihm auch so geht. Statt eines ironischen Lächelns blickt er nachdenklich nach vorne. Das Bild...na klar, oft schon gesehen und gehört: Jesus der Gekreuzigte. Aber irgendwie ist es jetzt anders. Irgendetwas geschieht...
Die Band bricht mit der Musik ab. Jetzt ist es beträchtlich ruhiger, so hören Georg und Andy die Menschen irgendetwas Unverständliches murmeln, dann sind wieder deutsche Wortfetzen zu hören. Einige knien sich hin, andere heben die Hände. Es scheint, als ob sie von Ehrfurcht ergriffen worden wären.
„Ehrfurcht vor Jesus?“, murmelt Georg gedankenversunken vor sich hin, was Andy hört.
„Ja, Ehrfurcht“, denkt er, „aber hier wirkt es ganz anders, als in der katholischen Kirche, nicht jahrhundertealt und verstaubt, sondern echt und lebendig.“
Ein anderes Bild wird an die Wand geworfen, das eine Sonne zeigt und darunter steht zu lesen: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt wird nicht in der Finsternis bleiben.“
Da fällt Andy ein, was er selbst vor der Veranstaltung Georg sagte:
„Zuhause wartet das schwarze Loch.“
Keine Ahnung, warum er das gesagt hat, doch jetzt fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: ihr Zimmer ist wirklich ein dunkles, unheimliches Loch, nicht nur wegen dem Keller. Es ist ihm, als ob düstere Schwaden durch das Zimmer ziehen. Das Bandlogo, der Name, die CDs...alles ist finster! Wie passen Finsternis und Licht zusammen? Gott und der Teufel? Einerseits geht er in die katholische Kirche, um das Licht zu finden, andererseits umgibt er sich zu Hause mit dunklen, mysteriösen Dingen. Jesus ist Licht...somit vertreibt er die Dunkelheit und ihre Ausdrucksformen.
„Wo wird das in meinem Leben real?“
Andy wird aus seinen Gedanken gerissen, als ein junger Mann auf der Bühne zu rufen beginnt: „Komm und suche den Herrn solange er sich finden lässt! Er hält dir seine Hand hin. Ergreife sie!“
Erneut wird Andy aus der Zeit gebeamt.
„Das ist die Antwort!“, murmelt er mit geschlossenen Augen.
Ihm ist plötzlich klar: das einzig Richtige, was er jetzt tun kann, ist Jesu Hand zu ergreifen. Andy fühlt sich persönlich eingeladen von Jesus.
„Das gibt es ja gar nicht“, entfährt es ihm, „das ist ja wie Max es erzählt hat: Jesus lebt! Er beruft heute noch.“
Gefühle und Gedanken überschlagen sich in seinem Kopf. Ihm ist, als fahre er Karussell. Der Sprecher auf der Bühne scheint auch Karussell zu fahren. Er springt und hüpft umher und ruft unentwegt: „Ich freue mich!“
Andy blickt seinen Bruder an. Georg sieht etwas verkniffen aus.
„Da staunst du, was?“, spricht ihn Andy an. „Man kann also nicht nur auf Höllenmusik tanzen!“
Doch Georg reagiert nicht. Überhaupt legt sich von einem Augenblick zum anderen ein Schweigen über die Versammlung. So was haben Georg und Andy noch nie erlebt. Eine Ruhe, eine Stille, die eine Ehrfurcht in ihnen erzeugt. Es ist unbeschreiblich, aber es wird von etwas Unsichtbarem bewirkt.
„Es macht keine Angst“, stellt Andy fest. „Das hier Erlebte ist so ganz anders, als die Panik, die dieses unsichtbare Etwas in meinem Zimmer erzeugt.“
Folgende Worte dringen an Andys Ohr: „Wer jetzt auf Gottes Ruf reagieren möchte, komme nach vorne!“
„Sonst noch was!“, pustet Georg heraus. „Der will doch nur...“
Ihm bleiben die Worte im Halse stecken, so erschrickt er.
„Andy!“
Fassungslos sieht er ihm hinterher.
„Er geht einfach nach vorne!“
Georg schüttelt den Kopf, als wolle er sich von einem Traum befreien.
„Das gibt es ja gar nicht!“
Er sieht von hinten, wie zwei Jungs zu Andy kommen, mit ihm reden. Georg fühlt sich alleingelassen, einsam.
„Was mach ich bloß?“, denkt er hektisch.
Immer mehr Leute strömen nach vorne.
„Was ist, wenn das mit Jesus stimmt und ich bleibe alleine zurück?“
Wo ist das Bild mit der Sonne? Es ist mutiert zu etwas Dunklem. Überall schleichen schwarze Katzen herum. Er reibt sich die Augen, schüttelt sich. Beruhigt atmet er aus, als er das Bild wieder wahrnehmen kann. Jetzt erst liest er den Satz darunter: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt wird nicht im Finstern bleiben.“
Erneut ist es Georg, als ob ihn schwarze Katzen umschleichen und ihm schmeicheln: „Bei uns ist die wahre Party!“
Ihm fällt der Abend bei Isabella ein und wie er auf dem Pentagramm kniete. Warum sprang er so spontan heraus? Nach einiger Zeit murmelt er: „Nein, es ist mehr als nur ein Spiel, es sind nicht bloße Worte.“
Ihn schaudert, so wie vorher, als er die tote Katze wegwarf. Werden ihn bis zum Lebensende tote Katzen verfolgen und Angstgefühle auslösen? Gibt es nur Jesus als Alternative? Jesus, das Licht...Licht vertreibt die Dunkelheit. Kann Jesus die Angst vor toten Katzen – oder das, was dahintersteht – vertreiben?
„Verschwinde hier“, faucht es ihm ins Ohr.
Er sieht sich um. Keiner da. Wo kommen diese Stimmen er? Er beginnt zu schwitzen. Etwas schnürt ihm den Hals zu. Er schnappt nach Luft.
„Deine einzige Rettung ist, wenn du jetzt abhaust!“
Etwas später, hört er noch eindringlicher: „Die Sekte wird dich fressen!“
Das Bild von der Sonne verdunkelt sich wieder allmählich.
„Warum gehst du nicht einfach in die Musikkneipe?“
Georg fragt sich: „Denke ich das, oder...“, ihm wird ganz anders, „...höre ich Stimmen? Solche Stimmen von Isabella? Drehe ich jetzt durch?“
Gehetzt blickt er nach allen Seiten. Er fühlt sich in die Enge getrieben, an die Wand gedrückt.
„Nein!“, schreit es in seinem Inneren und er rennt nach vorne.
„Jesus, bist du der Ausweg?“
Er muss es probieren, im Moment sieht er keine anderen Perspektiven mehr für sich.
Währenddessen macht Andy mit den zwei Jungs alles klar.
„Willst du Jesus mit eigenen Worten ausdrücken, was du auf den Herzen hast?“, wird Andy gefragt.
„Jesus, ich ergreife deine Hand und nehme dich als meinen Herrn an. Bitte verzeih mir, wo ich meinte, alles haben zu können: Himmel und Hölle, Heiligkeit und Sünde, Leben mit dir und mein eigener Herr sein.“
„Du hast heute vor der sichtbaren und unsichtbaren Welt proklamiert, dass Jesus dein Herr sein soll und hast ihm die Sünden bekannt, die dir jetzt bewusst sind.“
Der Sprecher blickt Andy fest an: „Jesus vergibt dir. Du bist jetzt ein Kind Gottes und hast ewiges Leben aus seiner Gnade. Was völlig Neues beginnt
jetzt. Du wirst sehen, den Weg mit Jesus zu gehen, ist voll das Abenteuer!“
Andy erfüllt Freude, die die zwei Jungs mitempfinden. Sie umarmen sich. Er spürt einen Frieden, wie er es noch nie erlebt hat. So setzt er sich auf einen Stuhl und genießt die Nähe Jesu in sich. Es ist kaum zu glauben: Jesus ist da!
Irgendwann dreht er sich um. Da wo Georg sein sollte, sind nur leere Stühle zu sehen.
„Ob er gegangen ist?“
Andys Augen durchsuchen den Raum.
„Hey, da ist Max!“
Er wird von einem Mädchen umarmt. Ist das seine Manuela?
„Er hat gar nicht erzählt, dass es schon soweit mit ihnen ist.“
Die zwei jungen Männer, einen davon kann er als Jonathan erkennen, wenden sich einer Gestalt zu, die ganz auf den Boden ausgestreckt ist.
„Moment mal“, entfährt es Andy, „das ist ja Georg!“
Sogleich erhebt er sich und tritt neben Max, der sich ebenfalls Georg zugewandt hat.
„Andy!“, sagt Max überrascht. “Hast du auch Jesus...“
Der Angesprochen nickt.
„Ja!“, ruft Max, und die beiden umarmen sich überschwänglich. „Das Wunder ist passiert!“
Jetzt wenden sie sich Georg zu. Er steht wieder auf seinen Beinen und hört Jonathan zu: „...Jesus allein ist die Alternative. Das hast du richtig erkannt. Er ist dein alleiniger Retter! Wenn du Freiheit von diesen angstmachenden Phänomenen und Stimmen erlangen willst, gibt es nur einen Weg: kehr um zu Jesus! Bitte ihn um Vergebung deiner Sünden und
nehme ihn als deinen Herrn an.“
Georg zuckt mit den Schultern. „Mir bleibt keine andere Wahl!“
Jonathan spricht ihm ein Gebet vor, das Georg nachbetet.
„Jetzt ist mir leichter“, stellt Georg fest.
„Du hast dich scheinbar schon ziemlich weit ins Okkulte vorgewagt. Wenn solche Stimmen wieder kommen, verweise sie in Jesu Namen. Auch wenn es anfangs so scheint, als habe sich gar nichts verändert, sei gewiss: es hat sich alles geändert. Du bist jetzt ein errettetes Kind Gottes. Der Teufel hat sein Besitzrecht an dir verloren. Er ist ein Lügner und ein Meister der Täuschung. Er will dir vorgaukeln, dass du ihm nicht entrinnen kannst. Verweise diese Lügen im Namen Jesu. Mit Jesus kannst du den Teufel überwinden!“
Jonathan sieht Georg fest an. „Du gehörst Jesus. Amen!“
„Amen!“
Als Jonathan mit seinem Begleiter weitergegangen ist, stürzen sich Max und Andy auf Georg. Lachend umarmen sie sich.
„Willkommen im Boot“, jubelt Max.
„Was Unfassbares ist heute passiert!“
Georg nickt. „Ja, Andy, Jesus hat spürbar in mein Leben eingegriffen. Das kann ich nie mehr leugnen. Jesus lebt!“
„Sag ich doch“, ist Max zu hören.
Georg bemerkt das Mädchen, das dicht hinter Max steht.
„Hey, wer ist das?“
Max und Manuela sehen sich glücklich an.
„Ist das Manuela?“, fragt Georg. „Allerhand...da stellt sich die Frage: wer ist die Schnecke und wer der Düsenjäger?“
Die drei Jungs lachen, Manuela nicht. Sie weiß auch gar nicht, worum es geht.
„Wir haben dir viel zu verdanken“, spricht Andy zu Manuela.
Diese blickt ihn fragend an.
„Na, ohne dich wären wir nicht hier...“
„...wenn du Max nicht so...na, sagen wir...so angezogen hättest“, fügt Georg hinzu. Lachen.
„Aber sag mal, seid ihr zwei schon...“
Andy blickt Max neugierig an.
Max und Manuela lächeln sich zu.
„Keine Antwort, ist auch eine Antwort“, gibt Georg von sich. „Komm Andy, lassen wir die beiden allein, wir haben noch etwas zu erledigen!“
„Was denn?“
Georg grinst. „Das schwarze Loch...!“
„Ah, dann nichts wie los!“
„Wir sehen uns.“
Lange blicken sich Manuela und Max in die Augen.
„Heute ist ein wunderbarer Tag.“
Schweigen entsteht. Sie fühlen sich tief verbunden.
„Du liebst mich, stimmt’ s?“, fragt jetzt Max ohne Umschweife.
Fest erwidert sie: „Wie viele Jahre willst du auf mich warten...tausend?“
Gemeinsam lachen sie los.

7.

„Du hast dich ja voll verändert!“, staunt Anna. „Letztes mal, als ich hier war, warst du noch voll der gestörte Nullbocktyp...“
„Na, ja“, unterbricht Max seine Schwester etwas genervt, „du bist ja auch lange weg gewesen.“
„Fünf Wochen“, sagt Anna, zu Manuela gewandt: „Das liegt an dir.“
Manuela schüttelt lachend den Kopf.
„Doch!“, behauptet Anna energisch: „Wir Frauen können doch die Männer positiv als auch negativ beeinflussen...“
„Spar dir jetzt deine Emanzipationsscheiße...ich will in Ruhe essen!“, unterbricht sie der Vater derb.
Dieser schneidet ein ordentliches Stück Fleisch ab und schiebt es sich in den Mund. Dabei blickt er etwas wild um sich.
„Aber das stimmt schon“, versucht die Mutter versöhnlich einzugreifen, „seit Max Manuela kennt, hat sich vieles verändert...Max hört nicht mehr diese schlimme Musik...“
„...und vor allem hat sich die Lautstärke geändert!“, wirft sein Vater ein.
„Max schreibt bessere Schulnoten...“
„Aber das liegt nicht an mir“, sagt Manuela fest.
Max schießt es heraus: „Das ist doch wegen Jesus!“
„Was?“, fragt Anna, die sich unter dem Gehörten überhaupt nichts vorstellen kann.
„Jesus lebt! Er ist mir begegnet und hat mich verändert.“
Anna lacht.
„Uns hat er den Scheiß auch schon reingedrückt!“, brummelt der Vater.
„Bist du jetzt völlig von der Rolle?“
„Nein! Jesus liebt dich. Deshalb will er auch eine Beziehung zu dir haben. Das ist der Sinn des Lebens!“
Verdutzt fragt Anna: „Seid ihr in einer Sekte?“
„Quatsch! Probier es einfach aus. Schrei zu Jesus, bitte ihn, dir zu begegnen.“
„Beziehung zu Jesus“, wiederholt Anna spöttisch.
„Als ob das Katholische nicht reichen würde!“, gibt der Vater von sich.
„Du interessierst dich doch gar nicht dafür!“
Der Vater lacht. „Ich glaube, dass aus einem Pfund Rindfleisch eine gute Suppe wird.“
Anna und Max verdrehen die Augen.
„Also, ich schaue mir das mal an“, ist die Mutter zu hören. „Neben dem Jugendtreff gibt es einen Sonntagsgottesdienst.“
„Ja, ja, mach nur, dann habe ich wenigstens Zeit für den Frühschoppen.“
Lachen.
„Der ganz normale Wahnsinn“, flüstert Max Manuela ins Ohr.
„Hey, Flüstern ist nicht erlaubt...übrigens, wie kommt so ein bildhübsches
Ding dazu, sich auf unseren Max einzulassen?“
„Jetzt ist aber Schluss!“, schimpft die Mutter.
„Wird genauso sein, wie bei uns“, der Vater deutet auf seine Frau, „hätte
auch niemand für möglich gehalten, dass du mich heiratest!“
Dröhnendes Gelächter.
„Das könnte mir nie passieren“, gibt Anna pikiert von sich.
„Ja, ja, keiner will mich haben.“
„Doch!“, ist plötzlich Max zu hören.
Überrascht blicken alle auf ihn.
„Jesus liebt alle!“
Der Vater winkt ab.
„Du scheinst ja voll überzeugt zu sein“, bemerkt Anna.
„Na klar. Jesus ist für mich so real wie du...wie das Sichtbare. Stell dir doch vor, der Schöpfer des ganzen Universums kommt und liebt dich, trifft dich und gibt dir einen Kuss.“
Anna sieht ihn fassungslos an. „Eines steht fest: du hast dich vollkommen verändert.“
„Je mehr du mit einem Menschen Zeit verbringst, um so besser lernst du ihn kennen. Genauso ist es mit Jesus. Suche ihn...“
„Dazu habe ich gar keine Zeit.“
„Er hält dir die Hand hin.“
„Habe ich nichts dagegen.“
„Aber sei doch aktiv!“
„Keine Zeit!“
„Aber du kannst doch Jesus keinen Korb geben.“
„Interessiert mich nicht. Karriere ist das einzig Wichtige. Du brauchst Geld, einen flotten Wagen...“
„Endlich jemand mit Fachverstand!“ Der Vater macht eine umfassende Handbewegung. „Durch Arbeit habe ich euch versorgt.“
„So wie man den Körper versorgt, muss man sich auch um die Seele
kümmern.“
„Max, da hast du recht“, pflichtet ihm die Mutter bei. „Liebe...“
„Liebe, Liebe“, äfft ihr Mann sie nach. „Sorge ich etwa nicht für euch!?“
„Doch...“
„Na also!“
Betretenes Schweigen.
Max denkt wieder: „Der ganz normale Wahnsinn!“
„Aber du hast doch selber gesagt, dass Max sich so verändert hat.“
„Ja, ja, aber wegen ihr...und nicht wegen dem Jesusgelabere.“
„Sehe ich auch so....“, sagt Anna.
Die Mutter denkt nach und schüttelt ihren Kopf. „Nein! Ich kenne meinen Sohn...da ist noch was anderes geschehen.“
„Sie sehen das völlig richtig“, ist Manuela zu hören. „Max’ Veränderung hat Jesus bewirkt und nicht ich.“
„Wie lange bist du schon bei dieser S.... Gruppe dabei?“, will Anna wissen.
„So lange ich denken kann. Meine Mutter hat mich mitgenommen.“
„Und dein Vater...?“
Manuela zuckt mit den Schultern. „Meine Eltern sind geschieden. Keine Ahnung, wo mein Vater ist.“
„Und glaubst du auch wie Max...?“
Sie nickt. „Jesus ist mein Herr und ich liebe ihn und möchte tun, was er
von mir will.“
Schweigen. Selbst der Vater hat jetzt keinen Kommentar bereit. Nach einer Zeit durchbricht Max euphorisch die Stille: „Jesus hat uns zusammengeführt!“
„Oh“, stöhnt Anna, „das hört sich nach ewiger Treue an.“
„Jawohl!“
Anna schüttelt lachend den Kopf.
„Deine Moral möchte ich haben“, ist der Vater zu hören. „Kannst du nicht eine normale Ehe anstreben?“
„Du nennst deine Ehe normal?“
„Natürlich!“
„Glücklich?“
„Selbstverständlich!“
Anna lacht. „Nein, ich möchte keine „normale“ Ehe führen.“
Mutter schüttelt den Kopf. Der Vater lacht.
„Mit Jesus kann man sich treu sein...“
„Das erzählt mir ein 16-jähriger!“, schimpft der Vater.
„Hör mal, ihr kennt euch erst ein paar Monate!“
„Mit Jesus schaffen wir das.“
„Das ist Überzeugung!“, ist nun Mutter zu hören.
„Warten wir ab!“, sagt Anna.

*

Vor ihnen breitet sich eine wunderschöne Winterlandschaft aus. Keuchend stapfen die beiden durch den tiefen Schnee die Böschung hinauf. Wie selbstverständlich halten sie sich an den Händen.
„Ich hoffe, du bist nicht zu schockiert wegen meinem Vater...“
Manuela lacht.
„Ich bin das gewöhnt...“
Erstaunt blickt Max seine Freundin an.
„...gewöhnt von dir.“
„Was!?“, entfährt es Max. „Ich habe keinerlei Ähnlichkeiten mit meinem Vater!“
„Das hättest du wohl gerne.“
Sie blickt ihn fest an. „Ihr beide seid euch ziemlich ähnlich.“
Max schnaubt.
„Jetzt bist du der Schockierte, oder?“
Sie lacht.
„Was habe ich denn für Ähnlichkeiten mit meinem Vater?“
„Den Humor zum Beispiel. Aber das ist noch lange nicht alles. Deine Art, wie du auf Dinge reagierst, deine Selbstmitleidstour...“
„Moment mal!“, unterbricht er Manuela, „Was heißt hier Selbstmitleidstour?“
„Die Story: Keiner mag mich!“
Max denkt nach.
„Du bist halt von deinen Eltern geprägt...wie wir alle von unseren Eltern geprägt wurden.“
Max fallen die Worte von Andy ein, der ihm das auch schon mal gesagt hatte. Damals hat er aufbegehrt. Doch jetzt?
„Das ist keine Schande! Hast du dir schon mal überlegt, dass Gott dir deine Eltern gegeben hat?“
Tief blicken sie sich in die Augen.
„So wie du vorher selbst gesagt hast, dass Jesus uns zusammengeführt hat, so hat Gott vor der Erschaffung der Welt bestimmt, in welchem Jahrhundert, in welchem Land du leben sollst. Es gibt keine Zufälle!“
Max spürt, wie ihn Gottes Liebe von allen Seiten umgibt.
„Schön, da fühlt man sich geborgen.“
„Lies mal Psalm 139. Eine meiner Lieblingsstellen.“
Sie fügt hinzu: „Es ist einfach ein Wunder. Gott kennt alle Menschen. Er hat für alle einen Plan.“
„Was hat Gott für einen Plan mit dir?“
„Meine Vision für mein Leben ist, dass ich Jesus auf der ganzen Welt verkündige mit Musik.“
Max staunt: „Das ist ein Wunder!“
Manuela blickt ihn fragend an.
„Ich glaube auch, dass Jesus mit mir so was vorhat!“
„Gott ist gut“, lächelt Manuela wissend.
„Du hast es gewusst?“
Sie nickt leicht. „Gott widerspricht sich nicht. Er hat doch Mann und Frau zusammen berufen!“
Sie nehmen sich fester an der Hand.
„Wir können gleich starten!“
„Womit?“
„In ein paar Wochen ist doch ein Schulkonzert. Wie wäre es, wenn wir dort auftreten?“
„Wir beide?“
Sie nickt. „Ich weiß auch schon ein passendes Lied.“
„Ich habe immer gesagt, dass nachspielen für mich nicht in Frage kommt...“
„Der Song ist von mir.“
„Du schreibst auch?“
„Schon lange!“
„Warum hast du das nicht erzählt?“
„Kann ja nicht jeder so herumposaunen wie du, dass er ein berühmter Musiker werden will!“
Sie lachen.
„Da fällt mir ein: warum bist du so zurückhaltend in der Schule?“
„Wie meinst du das?“
„Na, du erzählst nie etwas von Jesus.“
Manuela lächelt. „Erstens erzähle ich schon von Jesus. Ich habe halt eine andere Art wie du. Nicht jeder ist gleich, so hat auch jeder eine andere Art, von Jesus zu erzählen. Und diese Vielfalt ist gut so! Zweitens warst du schon immer ein missionarischer Typ. Du hast deine Meinungen und Einstellungen immer stark vertreten und versucht, andere zu beeinflussen. Drittens muss sich noch herausstellen, wie du sein wirst, wenn die...sagen
wir...Anfangsverliebtheit verflogen ist.“
„Hä!“
„Du bist von Jesus total begeistert. Im Überschwung überfährst du alles...sogar ein Stoppschild.“
„Was willst du damit sagen?“
„Manchmal ist es besser, nichts von Jesus zu erzählen, oder nicht mit Volldampf.“
„Was? Alle sollen doch erfahren, das Jesus lebt!“
„Ja, aber du musst dich da von Gott führen lassen. Jeder ist eben anders, somit braucht es auch unterschiedliche Methoden. Du bist manchmal so, als ob du 70-jährigen Rockmusik und Jugendlichen Volksmusik vorspielen wolltest.“
Max blickt sie immer noch fragend an.
„Es ist nicht schlimm, wenn du am Anfang vieles nicht verstehst. Gott offenbart es dir, wenn die Zeit reif ist.“
Max nickt. „Sehe ich auch so. Ich lebe mit Jesus...mehr benötige ich nicht.“
„Siehst du, ähnlich ist es mit den Menschen, die Jesus noch nicht kennen. Die einen sind reif, auf die Botschaft positiv zu reagieren, andere dagegen denken darüber nach oder reagieren aggressiv darauf.“
Sie lächelt. „Wie gesagt, jeder Mensch, jede Situation ist anders, lass dich von Jesus leiten und es passt!“
Längst haben sie die Natur verlassen und ziehen durch die Straßen der Stadt. Der Schnee ist hier schwarz verfärbt.
„Da sind wir.“
Manuela öffnet die Haustür des Wohnblocks.
„Im dritten Stock zu wohnen, nicht gerade ein Traum!“, stöhnt Max.
Oben angekommen, schließt Manuela die Tür auf.
„Hallo! Da seid ihr ja!“, werden sie überschwänglich von ihrer Mutter begrüßt. „Das ist also der Max.“
Schon schüttelt die Frau die Hand des Jungen.
„Schön.“
Die Frau wendet sich ihrer Tochter zu: „Schatz, ich weiß, wir haben uns verabredet...aber leider ist etwas dazwischen gekommen.“
„Was?“ Manuela verdreht die Augen.
„Ein wichtiger Termin in der Gemeinde...“
Die Frau merkt, wie sich das Gesicht ihrer Tochter immer mehr verfinstert. Sie nimmt sie in die Arme und flüstert: „...ein Seelsorgegespräch. Ein andermal, o.k.?“
Mutter und Tochter sehen sich an.
„O.k.“
Die Frau zieht sich an. Bevor sie die Türe schließt, ruft sie noch: „Kaffee und Kuchen stehen auf den Tisch. Tschüß!“
„Tschüß!“
Manuela sieht Max mit großen Augen an.
„Sie war immer so!“
Das Mädchen gibt sich einen Ruck. „Komm mit!“
Sie setzen sich an den Tisch und Manuela schenkt Kaffee in die Tassen.
Max nimmt sich ein Stück Kuchen. „Das schmeckt.“
Stille.
„Warum bist du so traurig?“
„So war es immer...für die Gemeinde hat sie immer Zeit...für mich...“, sie fasst sich und meint lächelnd: „...keine Selbstmitleidstour!“
Sie blicken sich an.
„Auch Christen haben Fehler, die anderen wehtun. Ich gebe alles Jesus, werfe mich voll auf ihn. Er ist die einzige Konstante in meinem Leben.“
Wieder sehen sie sich schweigend an.
„Wir müssen Jesus mehr vertrauen als uns, wir müssen ihn mehr lieben als uns. Dann können wir eine glückliche Beziehung führen...mit Gott als Dritten im Boot.“
Etwas unsicher fragt Max: „Dass ein heilloses Durcheinander herrscht in den Beziehungen der Menschen, die Gott nicht kennen, ist ja hinlänglich bekannt. Sollte es bei Christen nicht anders sein?“
„Sollte schon!“ sagt sie etwas ironisch.
Nach einiger Zeit fügt sie hinzu: „Es scheint, als habe der Zeitgeist auch die Christen erfasst. Bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit trennt man sich. Keiner ist mehr konfliktfähig, sondern nur noch egoistisch.“
Wieder entsteht ein tiefes Schweigen, das die beiden nicht als unangenehm empfinden.
„Wir müssen immer an unserer Beziehung arbeiten – gemeinsam Zeit verbringen und reden.“
Sie lächeln sich an.
„Komm!“ Sie packt seine Hand. „Ich spiele dir jetzt das Lied vor.“
Manuelas Zimmer ist gemütlich eingerichtet. Überall steht so Kleinkram rum – typisch für Mädchen. Dem Bett gegenüber befindet sich eine Couch, auf die er sich setzt. Max ist fasziniert, wie feinfühlig sie Gitarre spielt, was wunderbar zu ihrer Stimme passt.

Du hast mich erschaffen, für dich allein.
Dein Ruf zur Ewigkeit, alles andere verblasst.

Ich weiß nicht, wie es genau sein wird:
aber bei Dir ist es schön.
Vor Deinem Angesicht ist immer Freude.

Noch vor Erschaffung der ganzen Welt, hast du von mir gewusst.
Wo ich wohne, wie alt ich werde; alle Tage hast du schon gesehen.

Ich weiß nicht, wie es genau sein wird:
aber bei Dir ist es schön.
Vor Deinem Angesicht ist immer Freude.

Das Lied hinterlässt einen tiefen Frieden.
„Super!“
„Danke.“
Unsicher fragt Max: „Aber wozu brauchst du mich?“
„Zwei Gitarren sind besser als eine.“
„Aber...“
„Kannst du improvisieren?“
„Nicht gut.“
„Wende dich an Jesus. Mit ihm kannst du es lernen.“
„Meinst du?“
„Klar. Gib Jesus alles, was du hast. Nicht nur das Schlechte, die Sünden und Fehler, sondern auch das Gute, deine Gaben und Wünsche. Gott hat dich geschaffen. Er reinigt dich, auch deine musikalischen Fähigkeiten. Er gibt dir zurück, wie er will. Vielleicht anders, aber immer besser. Das darfst du dann für Ihn und sein Reich einsetzen.“
Sie lächeln sich an.
„Schade, das ich keine zweite Gitarre habe, sonst könnten wir gleich zum Üben anfangen.“
Max deutet auf ihr Bücherregal. „Hast du die alle gelesen?“
„Die meisten.“
„Ich habe es gewusst: du gehörst zu den Weltwundern.“
Sie steht auf und meint lächelnd: „Mädchenromane werden dich nicht interessieren, aber das vielleicht...?“
Max nimmt es entgegen. „Sind da Bilder auch drin?“
„Max!“, ruft sie fassungslos.
„Hey, für dieses dicke Buch würde ich drei Jahre benötigen!“
Schon hat sie ein dünnes Büchlein parat. Max schüttelt den Kopf.
„Ich lese nicht...außer die Bibel. Wenn man sich vorstellt, der ewige Gott teilt seinen Willen mit.“
Begeistert sehen sie sich an.
„Ein Liebesbrief Gottes“, sagt Manuela.
Jetzt ist es passiert. Max versinkt in Manuelas Augen. Ihre Nähe...er meint zu fallen, wenn er sich nicht an ihr festhält. So umarmt er sie. Das Mädchen sieht ihn aus großen Augen an und umklammert ihn ebenfalls ganz fest. Seine Lippen nähern sich den ihren. Er glaubt, sie schon zu berühren...doch da ist plötzlich Manuelas Hand zwischen ihren Mündern.
„Das geht zu schnell...viel zu schnell.“
Max steht da wie ein begossener Pudel, der momentan die Orientierung verloren hat. Aber er ringt um Fassung.
„Wir werden uns nicht sehr oft alleine treffen...das ist zu gefährlich.“
Max ist immer noch sprachlos. Ist sie ein General? Ein General der Keuschheit!
„Darf ich dich zum Abschied küssen?“
Sie schüttelt den Kopf.
In Gedanken versunken geht er durch die Kälte.
Ist sie verklemmt? Will das Jesus wirklich? Vor der Ehe keinen Sex...? Wie soll er das so lange aushalten? Er muss es in der Bibel finden. Zuhause angekommen, sucht er sogleich eine Begegnung mit Gott. Max betet: „Jesus, ich gebe dir mein ganzes Aufgewühltsein, alles, was ich nicht verstehe. Ich sage dir, dass ich dir vertraue. Jesus, du bist gut. Du weißt,
was gut für mich ist. Du kennst mich besser, als ich mich selber.“
Max spürt die Nähe Gottes um sich. Seine Liebe.
„Danke Jesus.“
Er genießt eine Weile die Gegenwart Gottes. Plötzlich sieht er ein Bild vor seinen geistigen Augen. Ein schmaler Weg, vielleicht eine Brücke, ganz schmal, über einen tiefen Abgrund. Er erschrickt über die Tiefe und über die Dunkelheit, die dort unten herrscht. Irgendwann spürt er in sich die Aufforderung: „Bleibe auf dem schmalen Weg, lebe in meinem Willen, sonst stürzt du ab.“
„Ja, Jesus“, reagiert Max ehrfürchtig, „ich will dir folgen und mit dir leben. Danke Herr, für deine Gnade.“

*

Andy stapft durch den Wald. Auch hier liegt tiefer Schnee. Er liebt es, immer wieder einzubrechen und bis zu den Knien, manchmal noch tiefer, in der weißen Pracht zu versinken. Immer und immer wieder fallen ihm die Worte ein: „Den Weisen hat er es nicht offenbart.“
Das ist aber hart. Man kann sich doch nur mit dem Verstand, mit der Logik, der Wahrheit nähern.
Schockiert denkt er: „Oder fordern die Christen, dass man seinen Verstand ausschalten soll? Niemals!“
Das Problem ist beträchtlich, um so schwerer ist es, eine Antwort zu finden. Zuerst merkt er es nicht, aber um sein Herz wird es warm. Er tritt aus dem Wald heraus und hat freien Blick über eine riesige weiße Fläche. Gerade noch sieht er, wie die Sonne untergeht. Sanft rot taucht sie die Umwelt in ihr Licht.
„Nähere dich mit dem Herzen“, ist plötzlich in seiner Gedankenwelt.
„Nähere dich mit dem Herzen“, murmelt Andy vor sich hin. „Eigentlich logisch...“
Lachend schüttelt er über sich den Kopf: „...logisch...“
„Eigentlich klar, denn Liebe und Vergebung sind unlogisch, auf Rache und Vergeltung zu verzichten ist unlogisch.“
Unentwegt blickt er in diese herrliche Szenerie des Sonnenuntergangs. Er spürt plötzlich die Ewigkeit Gottes.
„Danke Vater.“
Geborgenheit umgibt ihn. Andy weiß, dass er in die Hand Gottes geschrieben ist. Mit tiefem Frieden schlägt er den Heimweg ein.

*

Es ist, als ob selbst die Luft zum Atmen hier unten jetzt klarer ist, seit sie
das Bandlogo abgekratzt, Posters und diverse CDs weggeworfen haben. Die düsteren Nebelschwaden haben sich verzogen. Obwohl im Keller, wirkt der Raum jetzt nahezu hell und freundlich.
„Alles ist frisch und neu!“, stellt Georg fest.
Im Nachhinein kommen ihm die Angstzustände vor, als ob eine wilde Katze ihre Krallen in seinen Rücken gegraben hätte.
„Gott sei Dank ist sie abgeschmettert. Jesus hat mir meine Sünden vergeben und er heilt meine Wunden.“
Erneut liest er sich die Bibelstelle laut vor: „Christus ist nun auch ein Mensch geworden wie wir, damit er durch seinen Tod dem Satan – als dem Herrscher des Todes – die Macht entreißen konnte. So hat er alle befreit, die aus Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben hindurch Gefangene des Satans waren.“
Wieder treffen diese Aussagen die Mitte seines Seins. Georg hat Tränen in den Augen.
„Danke Jesus!“
Da klopft es an der Tür.
„Hi!“
„Hallo, Max.“
“Das Zimmer hat sich aber verändert.”
Max blickt sich um.
„Da liegt ja unser Bandzeug...jetzt proben wir doch bei euch...“
„...und das ohne Bandlogo!“
Sie lachen.
„Wie schnell sich alles ändern kann...“, meint Georg und schnippt mit den Fingern, „...und alles ist anders.“
„Das stimmt. Bei dir war es echt krass...du warst ja fast der Antichrist.“
Sie lachen.
Georg sagt ernst: „Der Teufel hätte mich auch beinahe gefressen...aber
Jesus ist der Sieger.“
„Was haben wir für Käse erzählt“, meint Max, „von wegen alles nur Worte, alles nur ein Spiel!“
Georg pflichtet ihm bei. „Eigentlich ist das Hochmut...“
„...und Verblendung. Wie kann man Jesus und Satan gleichsetzen?“
„In Wirklichkeit passen die sowenig zusammen wie Licht und Finsternis!“
„Neulich habe ich im Römerbrief gelesen, dass wir lange genug im Dunkeln geschlafen haben. Wir sollen endlich aufwachen und im Licht leben.“
„Das trifft es gut: leben mit Jesus ist einfach 180 Grad anders als ohne ihn.“
„Es ist auch 180 Grad anders, Jesus nur vom Hörensagen zu kennen oder ihn als den Lebendigen zu erfahren“, ist plötzlich Andy zu hören, der den Raum unbemerkt betreten hat.
„Sag ich doch“, grinst Max. „Übrigens habe ich einen neuen Song geschrieben...den ersten christlichen.“
„Halleluja!“
Andy und Max sehen Georg strafend an, der sich die Hand vor dem Mund hält. „Lass hören!“
Max greift sich eine Gitarre und legt los.

Du willst fliegen wie ein Vogel, hoch über den Wolken.
Fliegen durchs All. Dafür probierst du alles aus.
Du sprichst von Wiedergeburt, völlig neue Chance.
Bewusstseinserweiterung. Dafür probierst du alles aus.
Du hast recht, man kann fliegen wie ein Vogel.
Raustreten aus dem alten Leben.
Es liegt da wie eine leere Hose am Boden,
und du bist frei.

Wiedergeboren, fliegen wie ein Vogel,
verwurzelt in Jesus.
Ihn fest umarmen,
Jesus, sei mein Herr.

Georg und Andy sind zuerst sprachlos.
„Hey, das ist genau das, was ich erlebt habe.“
„Der Song...großartig, vollkommen anderer Stil!“
„Ich habe Jesus gebeten, er soll mir helfen, Songs zu schreiben, die ihn verherrlichen. Ich will, dass die Hörer durch meine Musik von Jesus berührt werden. Jeder soll Jesus erfahren. Er ist der Retter von Sünde, Tod, Teufel und Hölle!“
„Das ist eine Mission!“
„Du glaubst also immer noch, dass Jesus dich berufen hat, für ihn Musik zu machen?“, fragt Andy.
„...wie David“, meint Georg etwas spöttisch, „hast du schon einen Plattenvertrag?“
Max lässt sich nicht aus der Fassung bringen und deutet auf das Bandzeug. „Noch nicht...wollt ihr trotzdem mitmachen?“
„Du meinst, für Jesus zu spielen?“
Max nickt.
„Will das Gott von uns?“
Max zuckt die Schultern.
„Jesus ist der Herr. Ihn müsst ihr fragen. Fragt ihn, was er von euch will, wie ihr eure Talente in das Reich Gottes investieren könnt...ich hoffe, dass wir weiter miteinander Musik machen können...mit Manuela.“
„Was?“, entfährt es Georg entsetzt. „Wir haben doch immer gesagt, dass wir keine Weiber auf die Bühne lassen!“
„Manuela schreibt super Songs und Gitarre kann sie auch ganz gut spielen. Singen habt ihr sie ja schon gehört.“
Georg schlägt sich wieder einmal mit der flachen Hand an die Stirn, um einen beträchtlichen Knall zu erzeugen. Andy schüttelt den Kopf. „Wenn sich alles verändert hat, vielleicht auch das?“
Entgeistert blickt Georg um sich: „...womöglich auch das.“
„Das Leben mit Jesus hat tausend Überraschungen bereit.“
„Das erscheint mir auch so!“

*

Das Haus ist eigentlich mehr eine Villa, mit einem großflächigen Garten, der tatsächlich kunstvoll angelegt ist. Zügig geht er auf dem Pflasterweg zur Haustür, die sich öffnet.
„Hallo!“
Sie lächelt ihn viel versprechend an. „Komm rein!“
„Nein, lieber nicht...ich wollte dir nur sagen, dass es mir leid tut, wie ich mich letzthin aufgeführt habe.“
„Schon vergessen...kannst ruhig reinkommen.“
Isabella hat wieder dieses unschuldig-mädchenhafte Gesicht aufgesetzt. Wenn Georg sie nicht kennen würde, wäre er erneut darauf reingefallen.
„Wenn dir Schaden entstanden ist, will ich gerne dafür zahlen.“
Sie macht eine wegwerfende Handbewegung.
„Außerdem wollte ich dir noch etwas mitteilen. Keine Ahnung, was du wirklich glaubst und tust, aber ich habe mich zu Jesus bekehrt.“
„Was?“, ruft das Mädchen laut lachend aus. „Ausgerechnet du?“
„Ja, ich weiß, habe immer ziemlich gelästert...aber Jesus war selbst mir gnädig und hat mich von Ängsten befreit.“
Er blickt Isabella ernst an. „Jesus ist der Sieger!“
Isabellas Augen verfinstern sich.
„Der Sieger über Satan!“
„So!“, trompetet sie wütend aus. „Haben es die Kirchenheinis wieder
einmal geschafft, einen Menschen total zu verblöden!“
„Jesus liebt auch dich und du kannst zu Ihm kommen...“
„Diese alten Lügen!“, bricht es hysterisch aus ihr heraus.
Ruhig spricht Georg weiter: „Jesus hält dir seine Hand hin. Es ist nicht zu spät...egal, wie tief du gesunken bist, Jesus kann dich aus jedem Sumpf holen.“
Sie lacht gehässig. „Wie denn...dein Jesus ist ans Kreuz genagelt?! Das ist wirklich ein Ausdruck von Stärke!“
Georg wirkt nach außen hin völlig ruhig. Innerlich brodelt es. Angst. Gier. Er schaut auf Jesus.
„Noch einmal entschuldige ich mich...“
„Ach, verschwinde!“, herrscht sie ihn an. „Das wird dir noch leid tun!“
Gespenstisches Lachen.

*

„Wo hing sie?“
Georg öffnet das Kellerfenster und deutet in den Schacht hinein.
„Was sollen wir jetzt machen?“, fragt Georg voller Panik.
„Beruhige dich erst mal. Darf ich für dich beten?“
Georg nickt fahrig.
Jonathan legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Herr Jesus, ich danke dir, dass du alles unter Kontrolle hast. Gib Georg deinen Frieden.“
Jonathan blickt Georg an. „Jesus ist stärker! Wir werden diesen Mächten verbieten, euch weiter zu belästigen.“
Georg, Andy und Max, der auch gekommen ist, sehen sich an.
„Zunächst werde ich für euch und dann für den Raum beten. Herr Jesus, ich danke dir für die drei Freunde, dass du sie zu dir gezogen und errettet hast. Mit deinem Blut hast du sie erkauft. Sie gehören nicht mehr sich selbst...und schon gar nicht mehr dem Teufel. Halleluja! Alle Flüche, die über Georg und Andy ausgesprochen wurden, breche ich in Jesu Namen!
Amen!“
Er macht eine Pause und fährt dann fort: „Ebenso bitte ich, dass du dieses Zimmer reinigst und mit deiner Gegenwart erfüllst. Ich rufe deinen Sieg aus über alles, was gegen diesen Raum, dieses Haus, ausgesprochen wurde und breche es in Jesu Namen! Amen!“
Erleichtert sehen sie sich an. Lächeln.
„Ich habe gesehen, wie ein Schwert Stricke zerschnitten hat“, begeistert sich Andy.
„Du warst aber nie sonderlich kriegerisch“, meint sein Bruder dazu.
Jonathan schüttelt den Kopf: „Nein, das war ein sogenanntes Bild, ein prophetischer Eindruck. Gott hat dir eben gezeigt, was er getan hat, was in der unsichtbaren Welt passierte.“
„Wow, Andy ein Prophet“, ist Max voller Bewunderung zu hören.
„Zerschnittene Stricke....das bedeutet Freiheit“, gibt Andy von sich.
„Super!“, freut sich Georg.
„Jetzt tun wir noch eins...wir gehen betend um das Haus, um so einen Schutzzaun zu errichten und das Land einzunehmen.“
Sprachlos sehen ihn die drei Jungs an.
„Kommt einfach mit!“
Draußen angelangt, geht Jonathan los. „Herr, wir bitten dich, dass du das Haus mit deinen Engeln umstellst. Halte deine mächtige Hand über dieses Grundstück, dass nichts mehr Böses landen kann. Baue einen Schutzwall, einen heiligen Feuerwall. Pass auf deine Kinder auf, Herr Jesus! Amen!“
Nachdem sie einmal herum sind, kehren sie in den Keller zurück.
„Das war mal eine andere Art von Prozession“, jubelt Max.
„Man hat so richtig gespürt, wie was passiert ist!“, verlautet Georg.
„Gebet ist die mächtigst Waffe, die wir haben“, sagt Jonathan .
„Das Blut Jesu reinigt und schützt uns. Der Heilige Geist erfüllt und leitet uns.“
„Du meinst diese Taube?“, fragt Max etwas belustigt.
„Der Heilige Geist ist so real wie Jesus. Er ist so wichtig, dass Jesus selbst sagte, das es gut ist, wenn er geht, denn dann kann der Heilige Geist kommen. Er erfüllt uns, gibt uns Kraft. Mit ihm wird das Leben für Gott erst möglich. Aus eigner Kraft, sich bemühen, Gottes Willen zu tun...vergesst es!“
Max bleibt der Mund offen. „Ich will aber Jesu Willen tun!“
„Hat noch niemand für euch gebetet, dass ihr mit dem Heiligen Geist erfüllt werdet?
„Nicht das ich wüsste“, gibt Andy nachdenklich von sich.
„Wollt ihr das?“
„Unbedingt“, schießt Max heraus.
Die Brüder geben ebenfalls ihre Zustimmung.
Jonathan legt den drei Freunden nacheinander die Hände auf.
„Ich danke dir Vater, dass du den Heiligen Geist gern gibst. Du kennst ihre Herzen. Aufrichtig bitten sie dich, dass du sie erfüllst mit deinem Geist. Komm, Heiliger Geist und wehe wie du willst!“
Eine ehrfürchtige Stille breitet sich aus.
„Es geschieht etwas“, denkt Andy. „Etwas ist da...aber es jagt keine Angst
ein...es schenkt Frieden.“
Er schließt die Augen. Einige Zeit später hört er Gemurmel. Komisch. Hat er das nicht schon auf dem Jugendtreff gehört? Er schaut auf. Max steht mit erhobenen Armen da und gibt diese Laute von sich. Georg weint. Er hat seinen Bruder noch nie weinen sehen.
Andy sieht auch nicht das, was Georg vor Augen hat. Wunderbare Landschaft. Bäume. Grüne Wiesen. Ein Fluss. Und er, Georg, sitzt am Tisch, der mit Essen gedeckt ist. „Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde!“
„Halleluja!“
Jonathans und Andys Augen treffen sich.
„Das Wirken des Heiligen Geistes empfindet jeder anders. Ich weiß noch, als ich zum erstenmal mit dem Heiligen Geist erfüllt wurde, lief alles sehr nüchtern ab. Das machte nichts, denn er hatte mich trotzdem geheilt. Der eine redet sofort in Zungen, der andere später, vielleicht nie. Aber ihr dürft alle drei der festen Überzeugung sein, dass ihr mit Heiligem Geist erfüllt seid. Amen!“
„Amen!“
Die drei Freunde lächeln sich etwas benommen an.
„Was ich noch wissen möchte“, ist Andy zu hören, „gibt es einen Unterschied zwischen Prophetie und Wahrsagerei?“
„Der Teufel ist der Affe Gottes. Er versucht immer das Original zu kopieren...oft täuschend ähnlich. Man muss aufpassen.“
„Ich glaube, das haben wir drei in letzter Zeit erlebt“, meint Andy.
Georg und Max nicken dazu.

*

Die drei betreten den vertrauten Raum, der wie immer mit Zigarettenrauch vernebelt ist.
„Komisch, obwohl ich erst vor ein paar Tagen hier war, ist mir dieser Laden so fremd!“, ist Andy zu hören.
„Eine Atmosphäre!“ fügt Georg hinzu.
„Hallo, Harry!“, begrüßt Max den Wirt.
„Ihr seid mir vielleicht Helden.“
„Ja, weißt du...“
„Da liegt ihr mir jahrelang in den Ohren, dass ihr bei mir spielen wollt...und wenn es dann soweit ist, zieht ihr den Schwanz ein!“
„Weißt du...“, beginnt Andy zaghaft.
Auch Georg windet sich.
„Jesus lebt!“, ruft Max aus, der das Ruder wieder übernimmt.
Harry winkt ab.
„Hat mir Daniel schon erzählt, dass ihr in einer Sekte gelandet seid!“
Die drei begehren auf.
„Kannst du dich an diese zwei Gitarristen erinnern, die von Jesus gesungen haben?“
„Natürlich! Hervorragende Musiker!“
„Die haben doch Jesus verkündigt...?“
Harry lacht.
„Wisst ihr das noch nicht? Musik...auf die kommt es an. Melodie, Harmonie, Gefühle, von mir aus Provokation. Was die da für ein hirnloses Zeugs singen, interessiert doch nicht.“
„Aber...“
„Nichts aber...wollt ihr jetzt einen Drink bestellen oder rausfliegen?“
Sie bestellen. Es ist noch zu früh, um abzuhauen. Mit den Getränken in der Hand, sehen sie sich um. Wie immer ist wilde Musik zu hören. Ein paar tanzen, die Frauen sind aufreizend, die Männer cool. Max dreht sich um und erstarrt. Zwei Augen dicht an den seinen, zwei Augen, die ihn hassend durchbohren.
„Du bist schuld!“
„Wie...?“
„Wir könnten heute hier auf der Bühne stehen!“
Daniel blickt zu Georg und Andy.
„Wie habt ihr euch nur von diesem kranken Idioten beeinflussen lassen können!“
Georg baut sich mit seiner Lederjacke vor ihm auf. „Weißt du, Jesus hat mich befreit...“
„...von deinem letzten bisschen Verstand!“, unterbricht ihn Daniel aggressiv, der ebenfalls in Kampfstellung geht.
Andy zupft Georg an der Schulter. „Ich glaube nicht, dass wir das Evangelium mit dem Schwert verbreiten sollen, wie etwa Karl der Große....“
Andys Worte werden von schallendem Gelächter übertönt.
„Der Witz war gut...Georg...Karl der Große...“
Die Situation entspannt sich. Zu Max gewandt sagt Daniel: „Ich dachte du wärst der Spinner“, jetzt deutet der Sprecher zu Georg und Andy, „aber die beiden machen dir ganz schön Konkurrenz!“
Nachdem sich Daniel ausgelacht hat, sagt er nüchtern: „Ich finde andere Musiker und ich werde den Durchbruch schaffen...ihr Pfeifen.“
Verächtlich will er sich abwenden.
„Aber Jesus möchte auch eine Beziehung zu dir und hält dir die Hand hin.“
Daniel spuckt Max vor die Füße und weg ist er. Betreten blicken sich die drei an.
„Missionare haben es ganz schön hart“, sagt Georg.
„Ja“, meint Andy ironisch und deutet auf die Spucke am Boden, „die ersten Giftpfeile kommen schon geflogen.“
„Und nun müssen wir zur Missionsstation zurückkehren“, sagt Max und blinzelt Andy an, „eine Lehmhütte ohne Strom.“ Lachen.

8.

Die Zahlen und Buchstaben sind klein gedruckt und stehen eng zusammen. Hinzu kommt, dass die Beleuchtung sehr schlecht ist.
„Also, Fahrplan lesen ist eine Kunst für sich.“
Nach geraumer Zeit kommt er zu dem Ergebnis, dass er noch eine Stunde auf den Bus warten muss. Obwohl März, ist es immer noch kalt. So geht er lieber in die Bahnhofshalle. Gut gelaunt, lässt er noch mal den Tag Revuepassieren. Das Vorstellungsgespräch lief gut und endete mit einer Zusage. Jubel ist in ihm. Was wohl Manuela und seine Eltern sagen werden?
Die Wartehalle ist mit Menschen vollgepfropft. Er sieht sich um. Da ist noch ein Platz neben einem jungen Mann mit langen Haaren frei. Max lächelt ihn an. Doch abweisende Augen treffen ihn.
„Er braucht unbedingt Jesus!“, denkt Max.
Ohne Zeit zu verlieren, schießt er die Frage heraus: „Glaubst du an Jesus?“
Der Mann erschrickt nicht und lächelt sogar. Max bekommt Aufwind. Er setzt zum nächsten Satz an, doch die Worte bleiben in seinem Hals stecken. Er spürt den Luftzug. Lebt er noch? Wenige Zentimeter vor seiner Stirn entfernt blitzt die scharfe Klinge eines Schwertes.
Als Max sich setzte, bemerkte er, dass der Mann einen „Stock“ auf seinem Schoß liegen hatte: das war die Scheide eines Schwertes. Als Antwort auf Max’ Frage, hob der Mann den vermeintlichen „Stock“ blitzschnell hoch und zog gleichzeitig das Schwert ca. 20 Zentimeter aus der Scheide.
Kalte Augen blicken Max an. „Wo war nun dein Jesus?“
Blitzschnell verschwindet das Schwert in der Scheide und die Waffe liegt wieder auf seinem Schoß. Der Mann wirkt ganz normal. Nichts verrät den „Samurai“, der nur noch zu zischen braucht: „Lass mich in Ruhe!“
Ganz benommen wankt Max davon, so, als ob er besoffen wäre. Verwirrt, schreit er innerlich zu Jesus: „Hilf mir! Rette mich!“
Max spürt Jesu Nähe und wird ruhiger. Hat er gerade ein Stoppschild überfahren, von dem Manuela neulich sprach?
„Bitte vergib mir, Jesus, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Segne diesen Mann. Verwandle seine Kälte durch deine Liebe in Wärme. Amen!“
Der Bus kommt, Max steigt ein.
„Hallo!“, begrüßt ihn der Busfahrer.
„Schon lange nicht mehr gesehen.“
„Ja, ich bin versetzt worden.“
Anstatt etwas Belangloses zu sagen, etwa „Wie geht’s?“, stellt der Mann folgende Frage: „Hast du es ausprobiert?“
Max lächelt, denn er weiß sofort, was der Mann meint.
„Ja, ich habe es ausprobiert.“
„Und...?“
„Seltsame Dinge sind passiert.“
Fragend sieht ihn der Mann an.
Max sagt trocken: „Ich habe mich zu Jesus bekehrt.“
„Wirklich?“
„Wenn ich es sage!“
„Genial!“
Etwas später folgt die Frage: „Was liegt dir am Herzen, für Jesus zu tun?“
Max schüttelt den Kopf. Der Kerl ist direkter als ich.
„Von Jesus zu erzählen...“
„Super!“
„Aber...“
„Was aber?
Max berichtet ihm die Story mit diesem Samurai und durchlebt dabei noch einmal den Schrecken, der dadurch ausgelöst wurde. Der Busfahrer bemerkt es und nickt bedächtig mit dem Kopf.
„Wir alle bekommen mal eine auf den Deckel, aber wir dürfen nicht klein beigeben, sondern müssen mit Jesus mutig vorwärts gehen.“
Ein paar Fahrgäste steigen ein. Einige kaufen Fahrkarten.
„In welcher Gemeinde bist du eigentlich?“
„In einer Freikirche, in der es nicht so wild abgeht wie bei euren Jugendtreffs.“
Der Mann lacht. Max sieht ihn verdutzt an.
„Es ist egal, in welcher Gemeinde du bist, solange Jesus klar im Mittelpunkt von allem steht. Keine Kirchenmitgliedschaft oder der treue Besuch einer Gemeinde kann dich retten. Die Beziehung zu Jesus ist allein entscheidend!“
„Was liegt dir denn auf dem Herzen, für Jesus zu tun? Fahrkarten verkaufen?“
Der Mann grinst. „Du wirst es nicht glauben, aber beim Busfahren kann ich Leuten von Jesus erzählen, die sonst einen weiten Bogen um Kirche und Religion machen. Man muss die Menschen überraschen mit ungewöhnlichen Sätzen und Taten, in Situationen, in denen sie nicht damit rechnen. Glaube mir, eine Begegnung mit mir, werden einige Fahrgäste ihr ganzes Leben lang nicht mehr vergessen!“
Sie lachen.
„Manuela, zwei Freunde und ich wollen eine Rockband gründen, um Gleichaltrige zu erreichen.“
„Hey, das finde ich hervorragend!“
Nach einiger Zeit sagt der Busfahrer: „Wichtig ist, dass du weißt, was Gott von dir will und dass du dieses Ziel verfolgst und nicht mehr aus den Augen lässt. Jahrelang war ich unsicher. Was sagt meine Frau, was der Christ oder der Leiter? Aber es ist gut, wie ich bin. Gott hat mich geschaffen. Ich darf meine eigene Meinung haben. Ich muss keinen Menschen gefallen, sondern Gott. Er hat mir meine Gaben und Aufgaben gegeben. Er wird mich beurteilen und belohnen. Dasselbe gilt für alle Christen, auch für dich.“
Nachdenklich sieht Max den Busfahrer an.
„Halt, ich muss ja aussteigen!“

*

Die zwei geben sich zur Begrüßung die Hand.
„Komm rein!“, fordert Michael seinen Gast auf.
Andy betritt die Wohnung.
„Das ist aber eng hier.“
„Du sagst es. Aber warte, bis du erst mein Zimmer siehst.“
Sie gehen hinein. Andy bleibt wie angewurzelt stehen.
Michael bemerkt es. „So schlimm ist es auch wieder nicht! Gut, ein wenig klein ist es schon, aber im Vergleich“, Michael hebt seinen Zeigefinger, „zu
90 % der Weltbevölkerung bin ich reich!“
Er schiebt Andy einen Stuhl hin. Dieser setzt sich an den Tisch.
„Warte, mit Musik wird es gleich gemütlicher.“
Sofort sind grell-schneidende Gitarrenriffs zu hören. Andy greift sich an den Kopf. Er hat es gewusst, denn über Michaels Bett hängt ein Poster, das er früher selber in seinem Zimmer hängen hatte. Michael setzt sich auf den zweiten Stuhl und greift sich ein Buch, das mit ein paar anderen auf dem Tisch herumliegt.
„Sollen wir gleich das Thema Schöpfung versus Evolution diskutieren, oder...?“ Michael hält inne. „Andy, geht’s dir nicht gut?“
Etwas verwirrt antwortet der Angesprochene: „Doch...nein...es ist nur...“ Andy fasst sich: „Warum hörst du diese Musik? Ich habe bei meiner Bekehrung damit Schluss gemacht!“
Michael bringt ihn mit einem lauten Lachen zum Schweigen. „Sei doch nicht so gesetzlich. Du darfst das nicht so eng sehen. Genieße das Leben.“
„Eben, weil ich das Leben genieße, höre ich doch keine Musik, die den Tod verherrlicht!“
Michael blickt nun etwas finsterer. „Du hast dich erst bekehrt und willst mich belehren? Glaube mir, Gott ist die Liebe. Er steht da drüber. Musik ist geil. Egal, was die singen. Das ist nicht ernst zu nehmen.“
„Alles nur ein Spiel, was?“
„Ja genau!“
Andy kann es nicht glauben. Fassungslos schüttelt er den Kopf.
Michael meint: „Weißt du, wenn du von klein auf mit diesem heiligen Geschwafel aufwächst, du es mit zehn Jahren schon auswendig aufsagen kannst und von jedem Satz das Ende kennst, wenn du den Anfang hörst, dann wird das alles ein wenig langweilig.“
„Aber Jesus und der Teufel, Leben und Tod, Heiligkeit und Sünde stehen sich als Feinde gegenüber. Diese Rockgruppe verherrlicht das Böse.“
Michael winkt ab. „Ich habe genug von diesem: Du darfst das nicht, du darfst dieses nicht! Bevor ich alt werde, will ich noch ein wenig Spaß haben!“
„Jesus ist für uns gestorben, um uns aus diesen Dingen zu befreien. War das Spaß für ihn?“
Michael grinst spöttisch.
„Du amüsierst dich mit Sachen, wegen denen Jesus alles aufgab, um uns daraus zu erretten!“
„Nicht schlecht! Ich sehe schon, du hast Talent zu einem Prediger.“
Lachen.
„Aber Jesus ist doch so real. Es ist spannend, mit ihm zu leben.“
„Warte mal ab, dir wird das Bibellesen auch noch langweilig. Die Jugendtreffs laufen doch auch nach Schema F ab.“
Andy sieht ihn betroffen an.
„Pass auf, dass du nicht abfällst“, bei diesen Worten hebt er den Zeigefinger, doch der gespielt strenge Gesichtsausdruck verwandelt sich in Spott.
„Kennst du den Dieter?“
Andy schüttelt den Kopf.
„Das wundert mich. Normalerweise kommt er auf jeden Neuen sofort zu
und drückt ihm irgendetwas rein.“ Michael verstellt erneut seine Stimme und sein Gesicht: „Es ist eine Schande für den Mann, lange Haare zu tragen.“
Erneut lacht Michael. „Wirst schon sehen. Bald wird er dir das reindrücken.“
Andy versteht gar nichts mehr.
„Früher gab es viele solche Dieter.“
„Und jetzt gibt es mehr Michaels?“
„Gott sei Dank!“ Nach einer Pause fügt er hinzu: „Was glaubst du, wie viele ich schon gesehen habe, die nicht mehr kommen und von dem
ganzen Zeug nichts mehr wissen wollen!“
Andy erwidert fest: „Jesus liebt uns und er ist heilig. Du kannst nicht beides haben: Gott und Sünde. Du musst dich entscheiden. Außerdem, wenn man etwas Bedeutendes bringen will, dann erfüllt man am besten
Gottes Willen. Das ist das einzige, was in Ewigkeit bleibt.“
Michael sieht ihn nachdenklich an. „So, wie du das sagst, klingt das sehr authentisch. Man könnte meinen, dass du Jesus wirklich real erlebt hast und...“
Andy unterbricht ihn: „Hast du denn Jesus nicht als den Lebendigen erfahren?“
Michael zuckt gleichgültig die Schultern. „Vielleicht. Ich weiß es nicht. Die Erwachsenen sagen schon. Ist das bedeutend?“
„Na klar: Jesus liebt dich! Das ist doch bedeutend! Er hat dich geschaffen und kennt dich! Das ist doch bedeutend!“
„Worte, Gedanken, Philosophie...“
„Nein, das ist doch die reale Wirklichkeit!“
Müde lächelt Michael. „Tausend mal gehört. Können wir jetzt über das Thema Schöpfung versus Evolution philosophieren. Da werden dir ein paar Lichter aufgehen!“
„Philosophie und Logik bringen mir nichts mehr, wenn das Denken nicht im realen Leben greift...und Jesus greift im realen Leben ein.“
Michael blickt Andy an. „Donnerwetter, du hast wirklich Talent zum Prediger!“

*

Georg sitzt in seiner Bude und lernt für die nächste Matheschulaufgabe. Da klopft es an der Tür.
„Komisch“, denkt Georg, „habe gar keinen kommen hören.“
„Herein.“
Die Tür geht auf, und Georg verschlägt es die Sprache, als er die hereinkommende Person erkennt.
„Hi, Georg.“
Dieser muss sich räuspern, aber seine Stimme hört sich immer noch kläglich an.
„Wir haben doch ausgemacht, dass ich vorbei schaue.“
„Das war doch nur ein allgemeiner Spaß!“
„Mit Rosi macht man keine Späße!“
Ehe sich Georg versieht, hat sie den dicken Wintermantel ausgezogen. Der enge, schwarze Pullover betont ihren Oberkörper, was die Sache für Georg nicht einfacher macht. Er konzentriert sich, in ihr Gesicht zu blicken, was sie natürlich merkt. Überlegen grinst sie ihm zu.
„Findest du nicht, dass wir gut zusammenpassen würden?“
Georg ist sprachlos. Er war der Meinung, dass in der christlichen Jugendgruppe alles anders läuft. Schon nähert sich das Mädchen verdächtig nah.
„Joseph ist vor der Frau seines Arbeitgebers davongelaufen. Soll ich aus meinem eigenen Zimmer fliehen?“, denkt Georg und fragt sie: „Willst du mich heiraten?“
„Was?“, entfährt es dem Mädchen entgeistert.
Doch nun lacht sie. So absurd ist diese Frage für Rosi.
„Mein Freund Max erzählte mir, dass eine Beziehung immer die Ehe, also
die lebenslange Treue, zum Ziel haben muss.“
Rosi blickt böse. „Ja, ja, die Manuela, eine ganz Heilige.“
„Aber sollte nicht jeder, der in die Jugendgruppe geht...jeder Christ..., dieses Ziel haben?“
„Warum?“, haucht sie verführerisch.
„Na, weil Jesus das gesagt hat. Das steht in der Bibel.“
„Wo?“
„Das solltest doch du besser wissen als ich. Von klein auf dabei, und dein Vater ist Pastor!“
„Hör auf damit!“, schreit sie plötzlich. „Ich bin Rosi, und ich bin ich!“
Das Mädchen setzt sich auf sein Bett, vergräbt das Gesicht in ihren zwei Händen und weint heftig.
„So, was jetzt?“, denkt Georg hilflos.
Er tritt etwas näher an sie heran.
„Äh, Rosi...“
Blitzschnell zieht sie ihn auf das Bett und umklammert ihn. Georg spürt ihre Hände überall. Ihre Küsse brennen wie Feuer.
„Georg, rette mich!“
Wie eine Ertrinkende hält sie sich an Georg fest.
„Aber Rosi...retten kann dich nur Jesus!“
Das Mädchen erstarrt. Wie leblos bleibt sie liegen. Diese Gelegenheit nützt Georg, um sich aus ihren Fängen zu befreien. Als er steht, betrachtet er Rosi.
„Wenn mir das jemand vor kurzem erzählt hätte...“, denkt Georg.
Ruckartig erhebt sich Rosi, wirft sich den Mantel über, den sie rasch zu- knöpft.
„Rosi...die Tochter des Pastors! Was glaubst du, was da los sein würde, wenn ich nicht mehr funktionieren würde?“
„Das heißt, du bist nur zum Schein Christ?“
„Hütet euch vor der Heuchelei“, lässt Rosi balsamhaft erklingen.
Aggressiv setzt sie hinzu: „Mit 18 bin ich weg!“
Schon ist sie verschwunden. Georg steht ganz benommen da. Es kommt ihm so vor, als ob gerade ein Wirbelsturm durch das Zimmer gebraust ist.
Völlig erledigt lässt er sich auf sein Bett fallen.
„Jesus, du bist mein Retter, egal, was andere sagen.“
Er weiß nicht, wie lange er so daliegt. Aber jetzt hört er eine Frauenstimme. Kommt sie zurück? Klopfen. Schon öffnet sich die Tür.
„Hallo!“
Georg begrüßt die Ankommenden erleichtert.
„Was sagst du zu dieser Räuberhöhle?“, fragt Max Manuela.
„Nicht schlecht.“
„Vor ein paar Wochen wäre dein Kommentar anders ausgefallen, schätze ich.“
„Hat bei dir alles geklappt?“, wendet sich Georg an Max.
Dieser nickt. „Also zuerst Bürokraft, wenn ich gut bin, kann ich Bürokaufmann weitermachen...“
„...und wenn du besser bist, wirst du Betriebswirt!“
Lachen.
„Ist Andy gar nicht da?“
Georg sieht auf die Uhr.
„So spät ist es schon? Ist gar nicht seine Art.“
„Sag mal...geht’s dir nicht gut?“
Georg überlegt, ob er es erzählen soll.
„Jetzt sag schon!“
Georg lacht verlegen. „Es war gerade Rosi da.“
„Unsere Rosi?“
Georg nickt.
„So hoher Besuch.“
„Sie wollte mit mir Mathe lernen.“
Lachen. Manuela blickt finster.
„Liegen sie dir immer noch zu Füßen?
„Nun, es war...“
Georg blickt Manuela an, die wissend nickt.
„Hey! Was geht da ab?“, fragt Max, der sich ein wenig außen vor gelassen fühlt.
Georg sucht nach Worten. Spontan spricht er Manuela an: „Ich dachte, dass in der Jugendgruppe alle nach Jesus suchen und nach seinem Willen leben wollen. Wie kann dann so was passieren?“
Manuela antwortet bedächtig: „Jeder hat einen freien Willen, jeder kann frei entscheiden. Es liegt an jedem persönlich, ob er eine Beziehung zu Jesus bejaht und diese pflegt. Da kann kein Dritter von außen etwas machen.“
„Moment mal, redet ihr von Rosi, die immer so tolle und feurige Gebet spricht?“, will Max wissen.
„Ja, genau.“
„Jetzt verstehe ich aber gar nichts mehr.“

*

„Aber das genau unterscheidet uns doch von einer Sekte. Wir machen unseren Mitchristen keine Vorschriften, wie sie zu leben haben. Jeder muss sich selbst von Gott leiten lassen.“
Andy sieht ihn an. In seinem Hirn findet gerade ein Gedankenmarathon statt.
„Wir Leiter können nur Hilfestellung geben. Wir können Themen ansprechen, die uns Gott aufs Herz legt. Aber wie sich die einzelnen Jugendlichen entscheiden, das Gehörte umzusetzen, das dürfen wir nicht mehr steuern!“
Andy sitzt auf der gemütlichen Ledercouch. Vor ihm steht auf dem Tisch ein Glas Orangensaft, aus dem er jetzt einen tiefen Schluck nimmt.
„Warum haben so viele Jugendliche, die einmal zur Jugendgruppe gingen, die Schnauze voll von Gott und einem christlichen Leben?“
„Das hat viele Gründe. Vielleicht hat ihnen Gott gezeigt, was sie aufgeben sollen, oder er hat ihnen gesagt, was sie für ihn tun sollen und das hat ihnen nicht gefallen. Manche lassen sich nie ganz auf Jesus ein, genießen nur die Gemeinschaft. Andere lassen sich nicht taufen...“
„Hä! Was hat die Taufe damit zu tun. Das ist doch nur ein altes Ritual.“
Jonathan lächelt.
„Bist du als Baby getauft worden?“
Andy nickt.
„Hattest du da schon Sündenerkenntnis?“
Grinsend schüttelt Andy den Kopf.
„Siehst du, bei der Taufe werde ich in Jesu Tod mit hineingenommen. Was das Untertauchen ins Wasser bedeutet. Das Wiederauftauchen stellt das neue Leben in Jesus dar.“
„Das ist ja genau das, was ich gerade erlebt habe. Gott hat mir meine Sünden gezeigt. Ich bin von meinem egoistischen Lebensstil umgekehrt, um mit Jesus zu leben.“
„Die Taufe stellt das dar. Wir werden in ein paar Monaten erneut die Gelegenheit bieten, sich taufen zu lassen. Überleg es dir.“
„Also, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das Leben mit Jesus langweilig werden kann“, sagt Andy begeistert.
Jonathan grinst. „Warte mal ab, bis du die Dinge auch tausendmal gehört hast. Oder Gott dir dein Innerstes zeigt und du dich fragst: das soll ich sein? Es kommen Flauten und Probleme. Routine kann sich so leicht einschleichen. Das sind ganz normale Dinge des Menschseins. Wichtig ist, dass du trotz allem bei Jesus bleibst. Egal, was ist. Schau auf ihn. Das ist der einzige Punkt in unserem Leben, in dem wir stur sein dürfen.“
Lachen.

*

„Mit 18 bin ich weg, sagte sie.“
Wortlos sieht Max von einem zum anderen.
Irgendwann verlautet Manuela: „Manche werden von ihren Eltern gezwungen, Christ zu sein.“
„Aber Rosi hat doch schon sooft Gott erlebt!“
„Hat sie das?“
Die Jungs sehen Manuela an.
„Es gab mal eine Phase, in der ich auch nur unter Zwang zum Jugendtreff
ging. Oft war es so, dass die Leute neben, vor und hinter mir Jesus erlebt haben...und ich war meilenweit von Gott entfernt.“ Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Gott ist allgegenwärtig. Die Frage ist: bist du bei Gott?“
„Und wie hast du die Kurve gekriegt?“
„Es war in einem Gottesdienst. Der Prediger sprach von der Liebe Gottes...in Wirklichkeit sprach er jedes Wort für mich. Da wurde mir bewusst, wie Jesus mich liebt...und wie weit ich mich von ihm entfernt hatte, obwohl ich ihn schon so gut kannte. Ich kehrte zu ihm zurück und von diesem Zeitpunkt an, ging ich fest mit Jesus. Egal, ob ich Lust hatte, oder es mir schlecht oder gut ging.“
Das Mädchen hat Tränen in den Augen. Sie blickt Max fest an und sagt: „Beziehungen muss man eben pflegen.“
Schweigen.
„Wir wollten uns doch treffen, um das Programm zusammen zu stellen. Darf ich euch ein Lied vorspielen? Es würde jetzt gut passen.“
„Gerne“, erwidert Georg und reicht ihr eine Gitarre.

Manchmal bin ich glücklich, mit mir zufrieden.
Das Leben ist schön, doch Du bist noch viel schöner.

Ich komme zu Dir, und möchte Dich spüren.
Deine Nähe tut so gut.
Du umarmst mich mit Deiner Kraft.
Und doch so zärtlich.
Und Du sagst zu mir, und meinst es ehrlich:
Ich habe dich lieb.

Manchmal bin ich unten, alles ist mies.
Was vor einer Minute klar war, ist wie weggeblasen.

Ich komme zu Dir, und möchte Dich spüren.
Deine Nähe tut so gut.
Du umarmst mich mit Deiner Kraft.
Und doch so zärtlich.
Und Du sagst zu mir, und meinst es ehrlich:
Ich habe dich lieb.

„Super“, ist eine Stimme zu vernehmen, „der Song kommt ins Programm.“
„Hey Andy, wo warst du so lange?“
„Ich war eben bei Jonathan, der hat mich auf eine geniale Idee gebracht: wir lassen uns taufen. Dazu laden wir unsere Eltern, Verwandte und Freunde ein, die sich dann alle bekehren...“
„In welche Heldenträume hast du dich denn verrannt?“
Andy erzählt ihnen, was er heute erlebt hat.
„Höre dir mal meine Story an“, meint Georg.
Betroffen blicken sie sich an. Manuela durchbricht das Schweigen: „Um so
wichtiger ist es, dass wir unsere Generation für Jesus begeistern!“
Sie stimmen zu.
„Du meinst, dass Musik der richtige Weg ist?“
„Auf jeden Fall ein wichtiger.“
„Ich habe schon gehört, dass ihr zwei bei dem Schulkonzert gut angekommen seid.“
Manuela lacht. „Egal, wie es ihnen gefällt...peppige Musik hören sich die meisten an. So werden viele zum erstenmal mit der Wahrheit von Jesus konfrontiert. Das ist die Chance!“
„Also, packen wir es an!“

9.

Sie sehen abwechselnd durch den Spalt des Vorhangs in den
Zuschauerraum hinein.
„Vor so vielen Leuten habe ich noch nie gespielt“, flüstert Georg nervös.
„Das klappt schon“, beruhigt ihn Manuela. „Stell dir vor, dass du nur für Jesus spielst.“
„Jesus, hilf mir, richtig zu spielen“, betet Max und erschrickt, als plötzlich dröhnendes Gelächter aus nächster Nähe in sein Ohr dringt.
„Der verrückte Max! Was machst du denn hier? Ah...seine zwei Freunde sind auch da. Wer ist denn die Kleine? Schätzchen, du sitzt im falschen Boot. Wenn es kentert, werde ich dich retten.“
„Das war ein schöner Vortrag“, gibt Manuela keck zurück. „Wenn du so gut spielen kannst wie Sprüche klopfen...alle Achtung!“
Daniel lacht. „Ich spiele Schlagzeug...zwei Minuten Trommelwirbel und ihr werdet vergessen sein.“
Der Moderator des Abends tritt auf die Bühne. „Herzlich willkommen bei der heurigen Veranstaltung, in der wir jungen Nachwuchskünstlern den Raum geben möchten, ihr Können unter Beweis zu stellen. Wir haben fünf Gruppen ausgewählt, die aus den unterschiedlichsten Stilrichtungen kommen. Den Anfang machen zwei Liedermacher.“
„Wir sind die Highlights!“, brüstet sich Daniel.
„Was?! Dann bist du der Typ, der mit unserem alten Namen auftritt.“
„Ihr habt mir ja erklärt, dass ihr gestorben seid...oder wie war das?“
Lachen.
„Ich war jedenfalls der einzige Überlebende der Band und sah mich gezwungen, die gute Tradition weiterzuführen.“
Seine Worte tropfen vor Spott und Ironie. Max, Georg und Andy blicken sich an. Letzterer sagt: „Es ist irgendwie makaber!“
„Wann seid ihr denn dran?“
„Vorletzter.“
„Das trifft sich gut. Die Zuhörer werden euch von der Bühne pfeifen...dann können wir länger spielen. Übrigens...ich nenne mich jetzt Red Devil!“
Lachend entfernt er sich und lässt einen vollkommen zerstörten Max zurück.
„Was habe ich nur angerichtet?“
„Max!“, sagt Manuela fest.
Aufgebracht fährt er sie an: „Habe ich nicht gleich gesagt, dass wir nicht
auftreten dürfen, wenn als Highlight eine Band Namens „Black Mass“ spielt.“
„Und ich sage dir nochmals: willst du all die Jugendlichen dem Teufel überlassen?!“ Die vier sehen sich an.
„Wir säen die Botschaft und überlassen das Wachsen Gott. Aber säen und ernten müssen wir.“
Manuela legt ihre Hand an Max’ Wange.
„Hey! Ich liebe dich...und Jesus auch.“
Max lächelt sie an.
„Was sagt ihr zu dem Auftritt?“, fragt Max.
„Sie hat recht“, meint Georg knapp.
Mittlerweile beenden Folksänger ihren Auftritt und eine Blues-Rock-Band beginnt zu spielen.
„Vielleicht ist das eine starke Botschaft von Gott?“, sagt Andy. „Nicht nur, das wir mit unserem alten Namen konfrontiert werden. Mit Daniel treten wir gegen unsere konkrete Vergangenheit an.“ Nach einer Pause fügt er fest hinzu: „Heute werden wir geprüft, ob wir wirklich neue Menschen geworden sind.“
„Ist Gott nicht großartig!“, ruft Manuela begeistert aus. „Mit Jesus werden wir überwinden. Säen wir die Botschaft und dann werden wir sehen, was Gott daraus macht!“
Die vier nicken sich zu.
„Beten wir noch. Jesus, ich bitte dich, dass wir prophetisch singen und spielen. Mach uns eins. Du sollst wirken, berühre du die Zuhörer. Amen.“
Schon werden sie angesagt. Auf der Bühne spielen sie zuerst Max’ Song. Erleichtert stellen sie fest, dass ihr Stil ankommt. Wie vereinbart, sagt Andy das nächste Lied an, das er und Georg geschrieben haben.
„Vielleicht ist es euch auch schon mal so gegangen. Ihr wisst etwas, und das ist so klar, dass ihr vergesst, dass ihr es wisst. Dann werdet ihr daran erinnert: Ah, das habe ich auch schon mal gewusst. Aber gleichzeitig erkennt ihr, dass es doch ganz anders ist, wie ihr gedacht habt, dass es ist. Weiß noch irgendwer, wovon ich rede? Nein? Auch gut, denn ich weiß auch nicht mehr, was ich sagen wollte. Aber vielleicht fällt es mir wieder ein...und euch auch...während des nächsten Liedes.“
Sanft fängt der Song an. Etwas jazzig, aber groovig.

Gott hat uns erschaffen aus Liebe.
Wir haben mit Ihm gelebt.
Er hat uns Grenzen gesetzt,
die gut für uns sind.
Er hat bestimmt:
Ungehorsam ist Sünde,
Sünde führt zum Tod.

Jetzt jault voll eine verzerrte E-Gitarre auf. Natürlich Max.


Der Teufel sagt: „Das stimmt gar nicht!“
Gott ist ein Tyrann. Er hält dir das Beste vor.“
Der Sound wird wieder melodischer.

Ich glaube Gott! Entscheide mich für Jesus.
Mein Glück ist nicht die Unabhängigkeit.
Ich glaube Gott! Entscheide mich für Jesus.
Mein Glück ist die Beziehung zu Gott.
Ich glaube Gott! Entscheide mich für Jesus.
Mein Glück ist, Gott zu dienen.

Zwischen dem Gesungenen, improvisiert Andy an der Akustikgitarre. Schlagartig fährt wieder die E-Gitarre dazwischen.

Der Teufel sagt: „Das stimmt gar nicht!“
Du wirst sein wie Gott: angebetet und selbständig.

Ich glaube Gott! Entscheide mich für Jesus.
Mein Glück ist nicht die Unabhängigkeit.
Ich glaube Gott! Entscheide mich für Jesus.
Mein Glück ist die Beziehung zu Gott.
Ich glaube Gott! Entscheide mich für Jesus.
Mein Glück ist, Gott zu dienen.

Nach einem langen Instrumentalteil folgen die Zeilen:

Ich werde erfüllt von Jesu Nähe.
Ich werde satt, wenn ich Gottes Willen tue.

Jesus, ich bete dich an.
Du bist mein Schöpfer.
Jesus, ich bete dich an.
Du bist mein Retter.

Die Aufmerksamkeit der Zuhörer löst sich in langanhaltendem Beifall. Zum Schluss spielen sie einen Song von Manuela. Unter donnerndem Applaus verlassen sie die Bühne. Glücksgefühle durchströmen sie.
Der Moderator kommt ihnen ganz aufgelöst entgegen. „Was Schreckliches ist passiert.“
Fragend sehen sie ihn an.
„Die Jungs von ‚Black Mass’ haben sich zerstritten.“
Daniel kommt drohend auf sie zu. Er hinkt und hat ein blaues Auge. Der Applaus hält an. Zugaberufe mehren sich.
„Habt ihr Lust noch ein paar Nummern zu spielen?“
Daniel packt Max am Kragen. „Nur über meine Leiche!“
Ordner des Hauses trennen die zwei.
„Siehst du“, sagt Manuela, „Jesus ist stärker!“
„Das beweist wieder, wie blöd ihr Christen seid...nicht Jesus hat Max
geholfen, sondern die Security-Männer.“
„Nein, ich meine den Musikabend. Nicht ‚Black Mass’ ist das Highlight,
sondern Jesus!“
Verblüfft sieht Daniel das Mädchen an.
„Daniel, das mit Jesus würde ich mir noch mal überlegen“, fordert ihn Max auf.
Unter den Flüchen von Daniel kehren sie auf die Bühne zurück und werden stürmisch begrüßt. Zum Abschluss spielen sie einen Song, den sie zu viert geschrieben haben.

Komm! Steh jetzt auf!
Komm! Werde jetzt Licht!
Ja, komm! Steh jetzt auf!
Hast lange genug geschlafen,
warst wie tot.
Doch jetzt steh auf!

Umgeben von Dunkelheit,
stehe ich auf und werde jetzt Licht.
Und Du,
Jesus kommst,
und zeigst,
zeigst mir den Weg.
Du bist Licht und wer Dir folgt
wird niemals im Dunkeln bleiben.








Martin Huber-Siegl










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