Die Kirche ist weg
-
und erst hat es niemand bemerkt -





Die Kirche ist weg!






Ihr Turm wie ein Pfeil in den Himmel schoss,
aus rotem Sandstein – wie ein Märchenschloss.
Das schönste Gebäude an diesem Ort
nahm wie ein Schiff viele Menschen an Bord.
Zwei Zeiger kreisten an der Kirchenuhr
als ritzten sie dort eine bleibende Spur.

Die Kirche war mit Skulpturen verziert,
Engel wurden ins Gewölbe kopiert.
Von weither kamen die Menschen heran,
bestaunten das Haus – und den Wetterhahn,
der hoch oben mit dem Wind hat gedreht
und längst schon saß, bevor die Sonne aufgeht.

Zu jeder Stunde schallte es ins Tal –
schwere Glocken schlugen die Stundenzahl.
Es dröhnte und knarrte von dem Gebrüll
sogar das Eichenholz im Chorgestühl.
Und stöhnte die Orgel brav jedes Lied,
sang andächtig mit das Gemeindeglied.

Sie bauten gemeinsam das „Haus des HERRN“,
es sollte ein Zentrum sein im Ortskern.
Dort fanden sich alle am Sonntag ein,
sie brachen das Brot und tranken den Wein.
Und wenn der Pastor auf die Kanzel stieg,
hatte er seine Schafherde im Blick.

Doch im Laufe der Jahre sank ein der Turm,
man fürchtete Unheil beim nächsten Sturm.
Der schiefe Turm war plötzlich viel zu hoch,
der Hahn musste weg – und schlimmer noch:
Mit der Uhr wusste auch keiner wohin,
sie verlor ohne Turm ganz ihren Sinn.

So trug man die Steine von oben ab,
umrahmte mit ihnen ein Ehrengrab.
Die Glocken gaben die Bronze zurück
und fristen als Brunnen ihr zeitloses Glück.
Nun plätschert das Wasser in ihren Trog
und führt einen einsamen Monolog.


Das schönste Gebäude, so ganz ohne Turm,
war nicht mehr das höchste – ein kleiner Wurm.
Es sah nicht mehr wie eine Kirche aus,
wohl eher war es ein Gemeindehaus.
Nur ein Fundament erinnert daran,
dass hier mal ein Turm stand mit Wetterhahn.

Auch die Gemeinde veränderte sich,
sie wurde modern und sammelte sich
unter der Woche zu Tee und Gebäck –
und blieb dafür sonntags gerne mal weg.
So war der Pastor am Sonntag allein,
sah nur leere Bänke im hellen Schein.

Wenige Alte noch hörten ihn gern;
doch die Jungen blieben der Kirche fern.
Die Kirche nur sonntags ist nie genug,
man braucht auch im Alltag zu Gott Bezug.
Ob es nur daran lag, wer weiß das schon:
Ist die Kirche erst weg, was hat man davon?

Die Kirche im Dorf – ist das nur ein Traum?
Ein Haus aus Stein meint man damit wohl kaum.
Es ist vielmehr jede Person gefragt,
die wie ein Stein ihren Platz innehat.
Wenn jeder Stein einen anderen trägt,
wird daraus ein Haus, das die Umwelt prägt.

Kein Turm, keine Kirche, der Hirte war fort;
er fand recht schnell einen anderen Ort.
Die Menschen hatten immer mehr zu tun.
Bald fehlten die Tage, um auszuruhn,
denn Zeit kostet Geld. Und Geld tut so gut;
es macht alle reich, beschert Hab und Gut.

Jetzt stand im Ortskern das Haus lange leer.
„Es eignet sich doch als Einkaufscenter“,
so trug die Idee ein Geschäftsmann vor,
der nur hier am Ort war als Investor.
„Der Platz wäre günstig, die Substanz – sehr gut!
Wir werden uns einig, haben Sie Mut!“

„Der Mann hat ja Recht: Der Ort braucht das Geld,
verdient er doch, wenn der Umsatz anhält.“
Schnell war das Leben wieder eingekehrt,
Regale und Sparschwein wurden geleert.
Das „Haus des HERRN“ war jetzt ein Warenhaus,
wo das Geld regierte – Gottes Geist zog aus.

Doch eines Tages bemerkte ein Mann:
„Die Kirche ist weg! – Wer hat das getan?“
„Es war doch so schön mit ihr auf dem Platz“,
rief der Bürgermeister in einem Satz.
„Es gibt keine Spur, auch fehlt hier kein Mann,
der so etwas heimlich vollbringen kann.“

Das Dorf – voller Zorn – macht rasch einen Plan,
will schnell die Diebe, weil’s einer nicht kann.
So ziehn die Bewohner von Haus zu Haus,
wenden die Steine und finden heraus,
dass nirgends ein Hinweis zu finden ist.
Die Kirche wird also weiter vermisst.

„Doch wo ist der Dieb mit der Kirche hin,
was hat er mit ihr eigentlich im Sinn?
Wer hat die Kirche heimlich weggeschafft?
Das ist unmöglich mit menschlicher Kraft!
Warum ist das gerade uns passiert,
hat man den Diebstahl nicht einkalkuliert?“

Ein Archivar steigt hinauf unters Dach,
kramt in den Schriften und sieht gründlich nach,
ob irgendwo etwas vom Kirchturm steht,
auf dem sich ein stolzer Wetterhahn dreht.
Und wie er so sucht, findet er heraus:
Es gab einen Kirchturm – beim Warenhaus.

Es hat zwar der HERR vom Himmel geschaut;
er hat aber nicht die Kirche geklaut.
Sie haben nicht nach der Kirche gesehn.
Sie wollten nicht früh am Sonntag aufstehn.
Sie hatten Turm und Glocken vernichtet
und Schritt für Schritt auf die Kirche verzichtet.

Jetzt war es klar, will die Kirche leben,
muss es lebendige Steine geben,
die den Ort, an dem sie Kirche bauen,
pflegen, bewahren und nach ihm schauen.
Sonst wird die Kirche bald kein Ort mehr sein,
wo man das Wort lehrt und teilt Brot und Wein.






© Mirko Swatoch










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