Das Geheimnis der sonnigen Lichtung
- Eine bildliche Betrachtung über Selbstverwirklichung und ein Sinn erfülltes Leben -





Das Geheimnis der sonnigen Lichtung


Lichtung

Am Rande einer Lichtung stand eine hohe Fichte. In ihrer Nachbarschaft weitere ihr gleich, aber ebenso auch Bäume anderer Art und Größe. Zusammen ergaben sie ein traumhaft schönes Bild, besonders kurz nach Sonnenaufgang, wenn der nächtliche Tau noch frisch auf den Nadeln und Blätter glitzerte, die Amselmännchen, welche sich schon etwas früher ein gesungen hatten, dann auch von weiteren Kammersängern begleitet wurden und die ersten Mücken um die Astspitzen herum zu tänzeln begannen.
Am Fuße der Fichte hatten die Ameisen in den letzten Wochen einen mächtigen Hügel zusammen getragen, und ein paar Schritte weiter in die Lichtung hinein hatte sich in einem alten abgestorbenen Baumstamm und umgeben von zart violetten Glockenblumen die vor kurzem noch kleine Gruppe von Hornissen mittlerweile zu einem richtigen Staat entwickelt und machten den schmalen Waldweg vorbei an der Fichte zu ihrer Haupteinflugschneise.
Die weit ausladenden Äste der Fichte hatte gestern erst ein Graureiherpärchen als willkommene Einladung angenommen, hier hoch oben gut geschützt ein Nest zu bauen, welches, sollte nichts außerordentliches geschehen, in den kommenden Jahren wegen ihrer Baukunst an Umfang noch deutlich zulegen würde.
Überhaupt spürte man das Leben pur hier auf allen Etagen unter, zwischen und über den Waldbäumen, weshalb immer wieder Wanderer und Sonntagsspatziergänger ehrfurchtsvoll inne hielten und mit einem tiefen und entspannten Atemzug und mit geschlossenen Augen versuchten, diesen kostbaren Augenblick für die Ewigkeit tief in ihr Herz aufzunehmen, um dann im hektischen Alltag wiederum mit geschlossenen Augen von diesem zauberhaften Momenten zu zehren.

Eines regnerischen Abends tauchte zwischen den tropfenden Zweigen eine Libelle auf, die auf dem Heimflug zum nahen Teich vom Regen sichtlich überrascht worden war und nun hier unter den breiten Zweigen für eine Weile Schutz gesucht hatte.
Sie fing an zu prahlen von einem ihrer letzten Ausflüge zum nicht weit entfernten Stadtrand und versetzte dabei ihre Zuhörerschaft in sichtliches Staunen über all das, was jene nicht kannten. Ja, auch eine Tanne hatte sie dort gesehen, allerdings viel bunter und für sich ganz allein stehend, während Scharen von tanzenden und feiernden Menschen sie umringt hätten. Ja, weiße und blaue Bänder samt Fähnchen und Girlanden seien von deren stolzen Ästen herab gehangen, einfach unbeschreiblich. In der Tat stattlich und imposant anzusehen sei sie gewesen, so strahlend schön, dass sie, die Libelle, um ein Haar gegen einen Lichtmast geflogen wäre. Zudem würden die Menschen immer wieder neue Bäume dieser Art aufstellen, die sie zuvor im Wald mit Sorgfalt aussuchten.

Einmal im Leben solch ein Prachtbaum sein, das wäre endlich etwas sinnvolles, dachte die Fichte bei sich selbst angesichts all dessen, was die Libelle erzählt hatte. Nicht mehr länger Tag für Tag als eine von vielen und halb verdeckt hier am Waldesrand solch ein eingepasstes Dasein fristen zu müssen. Bunte Bänder statt Vogeldreck, Girlanden statt Mückenschwärme und tanzende Kinder statt toter Raupen und Käfer zu Füßen, welche die Ameisen unaufhörlich in den Bau schleppen. Ja, das muss die wahre Erfüllung sein für jeden Baum, absolut!
Schon seit längerem hatte sie sich ganz tief drinnen so manches Mal gefragt, was denn nun eigentlich der Sinn ihres Daseins sein könnte und auch, ob es denn nicht möglich sei, mal so richtig aus dem Schatten anderer Bäume heraus zu treten und sich auf andere Art zu verwirklichen.

Der Herbst kam und bescherte der Lichtung ein wahres Feuerwerk an Rot – und Gelbtönen mit all den unzähligen Blättern und Früchten. Das lenkte sie für eine Weile ab von ihren sinnlichen Gedanken. Als jedoch der Winter mit seinen Schneemassen ihr auch noch ein paar Äste nahm, wuchs der Wunsch des letzten Sommers so unwiderstehlich in ihr an, dass sie beinahe die ersten Buschwindröschen Anfang März übersehen hätte, die zwischen der nun Schnee freien Laub – und Nadelschicht den anbrechenden Frühling gebührend begrüßten.
Doch selbst die wärmenden Sonnenstrahlen, die emsig umher fliegenden Bienen in den Weiden und sogar die über den Himmelsschlüsselchen tanzenden Schmetterlinge vermochten nicht mehr die Leere auszufüllen, welche sie als ständige und trostlose Begleiterin empfand.

Eines Morgens war schon von ferne ein lautes Dröhnen zu hören, und schon bald konnte man sie auch riechen, die Abgaswolken des Traktors, gefolgt von einer kleinen Gruppe heiterer Männer mit Seilen, Ketten und einem seltsam anmutenden Ding im Gepäck, das aussah wie eine Mischung aus Fahrradkette und Motor eines jener Knatterräder, welche sie schon öfters vor allem bei den jüngeren der vorbei ziehenden Menschen am Wochenende gesehen hatte.
Was mochten sie wohl zu solch früher Stunde hier draußen vorhaben?
Noch in diesen Überlegungen versunken, bemerkte sie, dass diese Schar direkt vor ihr zum Stehen gekommen war. Einer der Männer zeigte direkt auf sie und an ihrem mächtigen Stamm hinauf, worauf alle anderen zustimmend nickten.

Was dann geschah, war zuerst wie ein Albtraum für sie gewesen, aus dem sie erst einige Stunden später erwachte, als die Männer von einer größeren Schar wild gestikulierenden Menschen unterstützt begannen, den mittlerweile völlig nackten unteren Teils ihres Stammes mit bunten Bändern zu umwickeln, ihre zurecht geschnittene Spitze mit Girlanden zu schmücken und sie anschließend von lautem Gesang begleitet Stück für Stück aufzurichten. Und erst nachdem sie schließlich mit einem kräftigen Rums in einer Aussparung am Boden zum Stehen gekommen war, registrierte sie so richtig, was nun mit ihr tatsächlich geschehen war – ihr lang gehegter Traum war Wirklichkeit geworden und sie der bunteste, strahlendste und prächtigste Baum weit und breit!
Sie konnte es kaum erwarten, bis endlich am Wochenende aus der Stadt zahllose Besucher den Platz füllen und mit Tanzdarbietungen und fröhlichen Wettspielen der Kinder zu ihren Füßen ihr Ehrerbietung erweisen würden.

Wie viele Tage sie nun schon hier stand, wusste die Fichte nicht mehr so genau, so viel Trubel erlebte sie Tag für Tag und ganz besonders an den Wochenenden. Da machte es auch gar nichts, dass die Nadeln an den Zweigen begannen, einen bräunlichen Farbton anzunehmen. Und selbst als immer mehr von ihnen sich verabschiedeten und zu Boden fielen, hatte sie ja immer noch die schönen bunten Bänder am Stamm und die im Wind tanzenden Girlanden, schließlich war sie doch ein richtiger Prachtbaum, und man musste schon lange suchen, um ihresgleichen zu finden.
Als sie so darüber nach sann, hörte sie ein vorsichtiges ´Hallo...`, und erkannte die Libelle.
Wie viele Male hatte sie doch gehofft, diese Botin des Ruhmes hätte sie besucht, um all ihre Pracht und Schönheit zu sehen und den anderen in der Lichtung von ihrer großen Verwandlung zu berichten. Und sie hätte wer weiß was dafür gegeben, dann all die staunenden und neidischen Gesichter sehen zu können. Doch sie musste sich eingestehen, dass es ihr irgendwie nicht so recht war, dass die Libelle ausgerechnet jetzt sie von oben bis unten musterte. Hoffentlich würde deren Zwischenstopp mit den großen Facettenaugen nicht all zu lange dauern.
´Na, wie ist das wehrte Befinden?` - Das saß, auch wenn sie es nicht zugeben wollte, denn die Antwort drängte aus ihrem Inneren unliebsam in ihren Gedanken empor, als hätten sie keinen Respekt vor ihr, der stolze Fichte, dem Prachtbaum und Mittelpunkt all der Feierlichkeiten von ach so vielen Menschen.
`Gut, sieht man das nicht? Im Moment ist es etwas ruhiger geworden hier draußen. Tut auch mal gut... den ganzen Tag hier zu stehen und die vielen Besucher mit meiner Schönheit zu beglücken, ist schon manchmal anstrengend, das kannst du mir glauben, meine Werteste.`
`Hab´ dich gesehen, ein paar mal, so im vorüber fliegen, weiß also Bescheid. Hast also endlich gefunden, wonach du gesucht hast, ein Leben, das Sinn macht und ein Beispiel ist für Selbstverwirklichung. Haben nicht schlecht gestaunt, die anderen am Waldesrand, mei, mei.`
´Wie geht es ihnen denn so...`. ´Nun, es ist inzwischen einiges geschehen, seid du fort bist. Braucht dich aber nicht weiter zu interessieren, glaub mir, besser so. Muss im übrigen auch weiter. Sollte schon längst wieder zurück sein am Teich...`
´Was ist, ich meine, was braucht mich nicht zu interessieren, wie meinst du das?`
´Ach, weißt', nachdem sie dich abtransportiert hatten, sahen wir, wie das Reihernest zerstört im Nachbarbaum hing und der Ameisenhaufen total zertrampelt war. Nicht nur, dass das Reiherpärchen sich mühsam ein neues Nest bauen musste, so kurzer Hand, nein, auch die kleineren Bäume, die zuvor unter und neben dir gestanden hatten, bekamen nun den vollen Wind und Regen ab, sodass sie nur noch sehr langsam und unter Verbiegungen wachsen können. Du fehlst halt, meine ich, auch sonst. Und die Hornissen sind auch ausgewandert, dauernd in der prallen Sonne, ohne deinen wohltuenden Schatten, meine ich. Als du weg warst, machte alles, so wie es danach war, irgendwie keinen rechten Sinn mehr. Aber man passt sich halt an so gut es eben geht. Naja, inzwischen haben sich alle arrangiert und kommen mittlerweile ganz gut zurecht. Natur ist eben fortwährende Anpassung, sie ist kreativ, explosiv in ihrer Kraft und voller Lebensenergie, das haben alle schnell gelernt und das beste draus gemacht. Aber Hauptsache, du bist glücklich.
Bist ganz groß raus gekommen, muss schon sagen. Na, und die Menschen, sie werden dich auf Dauer schon nicht so einfach hier draußen stehen lassen, ich meine, damit nicht auch noch die Bänder und Girlanden den kommenden Herbststürmen zum Opfer fallen. Ich denke, du wirst sicherlich noch gebraucht. Schließlich warst du ja ihr Prachtbaum, dieses Jahr, meine ich.... Also dann mach's mal gut. Darf ich Grüße ausrichten?`
´Ja, mach mal, sehr gerne, danke...`

Was die Libelle vorher gesagt hatte, traf auch kurz darauf ein. Ein paar Arbeiter ließen nur wenige Tage später die einsame Fichte herab gleiten auf den Platz direkt neben Säge, Hobel und Schraubensatz, nahmen die mittlerweile doch recht zerschlissenen und vergilbten Behänge ab und...

Da war sie wieder, die gute alte Fichte, für ihre ehemaligen Mitbewohner am Waldesrand zwar nicht mehr wieder zu erkennen, aber immerhin doch recht praktisch und auf lange Nutzungsdauer angelegt. Das Forstamt hatte nämlich entschieden, den vielen begeisterten Wanderern zuliebe, eine massive Vesperbank samt Sitzmöglichkeiten mit Ausblick auf die sonnige Lichtung aufzustellen. Und damit nach den Pausen auch alles wieder so sauber wie zuvor bleiben würde, stand nur fünf Meter weiter ein nagelneuer Natur-Abfallsammler aus echtem Fichtenholz zwischen den inzwischen an ihm empor gewachsenen Brennesselsträuchern...



Fragen auf dem Weg zur sonnigen Lichtung

Was macht ein Sinn erfülltes Leben aus?

Welche Rolle spielen die eigenen äußeren und inneren Grenzen?

Ist ein sinnvolles Leben von anderen abhängig?

Wenn ich mich nicht um meine Selbstverwirklichung kümmere, wer denn dann?

Muss ich mich überhaupt selbst verwirklichen, um glücklich zu sein, oder wacht vielleicht Gott über den Sinn meines Lebens?

Hat Gott auch dann noch einen Plan hat, wenn ich alles selber zerstört habe?

Wo stehe ich jetzt, wo will ich hin, und welche Rolle spielt meine persönliche Berufung für ein sinnerfülltes Leben?

Haben meine Neigungen und Begabungen etwas mit dem Sinn meines Lebens zu tun?

Kann ich überhaupt leben ohne die Antwort auf die Frage nach der Bestimmung meines Lebens?



Antworten im Licht der Heiligen Schrift

Psalm 139, 16: ´Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht gebildet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.`

1.Korinther 12, 27: ´Ihr seid aber zusammen der Leib Christi und Glieder, ein jeder nach seinem Teil.`

Epheser 2, 10: ´Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus für guten Werke, welche Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.`

Jeremia 29, 11: ´Denn ich weiß wohl, welche Gedanken ich über euch habe, Gedanken des Friedens und nicht des Leidens, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.`

Zephania 3, 17: ´Denn der HERR, dein Gott, ist bei dir, ein starker Held der rettet; er wird sich über dich freuen und dir freundlich sein und vergeben und jauchzt über dich mit lautem Jubel.`

Kolosser 1, 27: ´Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit!`


Joachim Kretschmann




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